Energieversorgung Ohne Gas geht’s nicht

Die Welt soll elektrisch werden. Doch Gas wird auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen. Zu diesem Ergebnis kommt eine noch unveröffentlichte Studie des Beratungsunternehmens Enervis.

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Audi betreibt seit 2013 im norddeutschen Werlte eine Anlage, die aus erneuerbarem Strom synthetisches Erdgas produziert. Quelle: dpa

Berlin Das politische Ziel einer klimaneutralen Energieversorgung bis zum Jahr 2050 lässt sich am effizientesten erreichen, wenn mittels erneuerbarer Energie hergestelltes Gas eine gewichtige Rolle spielt. Das ist das Ergebnis einer Studie des Beratungsunternehmens Enervis, die dem Handelsblatt vorliegt. In Auftrag gegeben wurde die Studie vom Bundesverband Windenergie (BWE) und von der Initiative Erdgasspeicher (Ines).

Die Studie widmet sich einer der Kernfragen der Energiewende: Lassen sich künftig alle klimarelevanten Sektoren – vom Verkehr bis zur Industrie – direkt mittels Strom aus erneuerbaren Quellen speisen? Die Verfechter einer „all electric society“ sagen: Ja, das geht. Die Autoren der Studie dagegen raten zur Vorsicht. In vielen Anwendungsfällen, so argumentieren sie, ist der Rückgriff auf „Grünes Gas“ die sinnvollere Alternative.

Unter Grünem Gas versteht man beispielsweise Wassersstoff oder Methan, die auf der Basis von erneuerbarem Strom hergestellt werden. Dahinter stecken Technologien, die auf dem erprobten Verfahren der Elektrolyse basieren. Wenn der Strom, der für die Elektrolyse benötigt wird, aus erneuerbaren Quellen stammt, entstehen klimaneutrale Brennstoffe. Ein Beispiel dafür: Audi betreibt seit 2013 im norddeutschen Werlte eine Anlage, die aus erneuerbarem Strom synthetisches Erdgas produziert. Mit dem erzeugten Gas können 1.500 Audi jeweils 15.000 Kilometer pro Jahr kohlendioxidneutral fahren.

Dem Anwendungsbereich des so hergestellten Gases sind keine Grenzen gesetzt. Es kann auch in Gaskraftwerken zur Stromproduktion eingesetzt werden oder fürs Heizen von Gebäuden.

Ein Blick auf den Wärmesektor belegt die Potenziale von synthetischem Gas. Zwar lassen sich theoretisch bestehende Heizsysteme, die fossile Energieträger verwenden, durch strombasierte Systeme ersetzen, etwa durch elektrische Wärmepumpen oder Elektroheizer. Es zeige sich jedoch, so heißt es in der Studie, „dass eine maximale Elektrifizierung des Wärmemarktes als inneffizient bezeichnet werden kann“.

Um das System zu optimieren und „damit die volkswirtschaftlichen Kosten zu reduzieren, sollten fast 400 Terrawattstunden erneuerbare Gase im Wärmemarkt eingesetzt werden“, schreiben die Autoren der Studie. Sie rechnen vor, der Einsatz gasbasierter Heizsysteme anstelle von strombasierten Systemen könne im Zeitraum von 2017 bis 2050 Kosten in Höhe von rund 70 Milliarden Euro bei den Letztverbrauchern einsparen.

Im Verkehrssektor setzen die Autoren insbesondere im Schiffsgüterverkehr auf erneuerbare Gase, weil dort nach Einschätzung von Fachleuten eine Elektrifizierung an technische Grenzen stößt. Auch beim industriellen Rohstoffeinsatz kommt der Studie zufolge dem erneuerbaren Gas eine tragende Rolle zu.

Großen Nutzen sehen die Autoren darin, dass bei einem Einsatz erneuerbarer Gase auf die vorhandene Erdgasinfrastruktur (Leitungen, Speicher) zurückgegriffen werden kann. „Werden strombasierte Systeme anstelle von gasbasierten Heizsystemen eingesetzt, verdreifacht sich der erforderliche Stromnetzausbau auf der Transportebene, weil die saisonalen Verbrauchsspitzen in den Winterzeiten durch das Stromnetz transportiert werden“, heißt es in der Studie. Diesen kostenträchtigen Ausbau erspare man sich durch die Nutzung der vorhandenen Gasspeicher und Gasnetze zum Transport erneuerbarer Gase. Die Autoren der Studie beziffern allein diesen Kostenvorteil auf „rund 160 Milliarden Euro bis 2050“.

Die Autoren resümieren, das Energiesystem des Jahres 2050 könne nur dann Treibhausgasneutralität erreichen, wenn erneuerbare Gas in signifikantem Umfang einsetzt würden.

Unumstritten ist der Einsatz erneuerbarer Gase nicht. Die Verfechter der Idee einer „all electric society“ verweisen auf die niedrigen Wirkungsgrad der Umwandlungsverfahren. Es sei daher sinnvoller, den aus erneuerbaren Quellen produzieren Strom direkt zu nutzen und ihn nicht erst in einen anderen Energieträger umzuwandeln. Die Befürworter dagegen rücken die Vorteile in den Vordergrund: Wenn man den Strom erstmal in Gas umgewandelt hat, lässt sich das Gas fast beliebig speichern und transportieren. Es weist zudem einer erheblich höhere Energiedichte auf als eine Batterie. Damit ist es für bestimmte Anwendungsbereiche – etwa im Mobilitätssektor – prädestiniert.

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