Energiewende Reservekraftwerke werden Milliarden verschlingen

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Zeitdruck

Wie groß der Zeitdruck ist, machten Ende Januar Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) und sein baden-württembergischer Kollege Winfried Kretschmann (Grüne) klar. Ausdrücklich forderten sie die Bundesregierung auf, „neue Förderinstrumente für konventionelle Kraftwerke zu beschließen, um die Grundlastversorgung mit Strom zu sichern“. Die beiden Landeschefs blicken mit Sorge auf die Abschaltung des bayrischen Kernkraftwerks Grafenrheinfeld im Jahr 2015, bei der auf einen Schlag 1400 Megawatt wegfallen.

Noch kann niemand genau sagen, wie teuer ein doppelter Boden für die Energieversorgung in ganz Deutschland genau wird. Experten gehen aber davon aus, dass den Stromkunden zusätzliche Kosten drohen, die sich in den ersten zehn Jahren auf einen mittleren zweistelligen Milliardenbetrag addieren könnten. Damit käme zur EEG-Umlage ein weiterer dicker Batzen.

Die Zeit drängt, denn der vorrangberechtigte Ökostrom überschwemmt so sehr das Netz, dass sich die Betreiber von Kohle- und Gaskraftwerken zu immer schmerzhafteren und teureren Einschnitten gezwungen sehen. Nach einer Studie der Unternehmensberatung A.T. Kearney im Auftrag der WirtschaftsWoche mussten die Versorger in Deutschland, bedingt durch die Energiewende, gigantische Summen auf ihr Kraftwerksvermögen abschreiben. Allein bei den vier Konzernen E.On, RWE, Vattenfall und EnBW sowie den acht großen Stadtwerken wie Köln, Leipzig, München oder Mannheim addiert sich dieser Wertverlust von 2011 bis heute auf 6,4 Milliarden Euro. Nicht darin enthalten sind die vielen anderen Versorger.

Wie schwer die Energiewende die Branche trifft, zeigt der Fall RWE. Deutschlands zweitgrößter Versorger hinter E.On erklärte am vergangenen Dienstag, in den letzten drei Monaten des vergangenen Jahres 3,3 Milliarden Euro seines Vermögens abgeschrieben zu haben, davon 2,9 Milliarden Euro auf nicht ausgelastete konventionelle Kraftwerke. Dadurch werden die Essener 2013 wahrscheinlich zum ersten Mal in der Unternehmensgeschichte rote Zahlen schreiben. Und das ist nicht das Ende. „Das Tempo der Wertvernichtung hat in den vergangenen drei Jahren richtig Fahrt aufgenommen“, sagt A.T-Kearney-Berater Kurt Oswald über die Betreiber konventioneller Kraftwerke.

Sichtbarster Ausdruck der Verwüstungsspur, die der Ökostrom im deutschen Kraftwerkspark hinterlässt, sind die Anträge auf Stilllegungen, die der Bundesnetzagentur vorliegen. Danach wollen die Versorger aktuell 37 von gut 330 Kraftwerksblöcken für immer abschalten. Die Anlagen reichen aus, um fast ein Viertel der deutschen Haushalte ein Jahr mit Strom zu versorgen. Und die Zahl der Meiler, die die Betreiber aussortieren wollen, weil sie wohl nie mehr Gewinne machen werden, steigt rasant. Vor Weihnachten waren es noch 26 Blöcke, über den Jahreswechsel kamen elf dazu.

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