ENF-Treffen Koblenz Die Populisten ernten, was die etablierten Parteien säten

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Die Repräsentationslücke

Was die selbst erklärten „Patrioten“ Europas gemeinsam zu bieten haben, machten sie in allen Reden überdeutlich. Destillieren lassen sich drei große Versprechen: Freiheit, Souveränität und Schutz. Das sind uralte politische Bedürfnisse. Sie stehen am Anfang aller modernen Staaten, die nach einer weltlichen Legitimation vor ihren Bürgern suchten.
Ein wachsender Teil der Bürger vieler europäischer Staaten sieht diese Bedürfnisse von den etablierten politischen Eliten vernachlässigt - und ist daher empfänglich für Alternativangebote. Die Ursachen für den Erfolg dieser neuen Parteien sind daher nicht in erster Linie bei diesen selbst zu suchen. Da bricht kein finsteres Unglück aus historischen Untiefen unverdient über sonst glückliche und funktionierende Gesellschaften herein. Ihr Erfolgsgeheimnis ist auch nicht in erster Linie in den demagogischen Fähigkeiten ihrer Protagonisten zu verorten. Obwohl man Geert Wilders und Marine Le Pen rednerisches Talent und verführerisches Charisma nicht absprechen kann.


Die Ursachen für das, was sich in Koblenz nun in konzentrierter Form beobachten ließ, liegen bei den etablierten Parteien. Sie haben offensichtlich versagt vor der Aufgabe, politische Grundbedürfnisse zu befriedigen. Oder wie es die Politologin Karin Priester formuliert: „Populisten ernten nur dort, wo andere gesät und ein Vakuum der politischen Repräsentation hinterlassen haben.“
Das Vakuum ist nicht in irgendeinem Nebenschauplatz der Politik entstanden, sondern bei Kernanliegen des Staates: Souveränität, Freiheit, Sicherheit. Wenn bei einem wachsenden Teil der Bevölkerung der Eindruck entsteht, dass diese existentiellen Ansprüche, die viel älter und grundlegender sind als etwa sozialstaatliche Versorgung, nicht erfüllt werden, ist das nicht den verunsicherten Bürgern anzukreiden, sondern den politischen Verantwortungsträgern.


Jean Asselborn, Sigmar Gabriel, Malu Dreyer, die sich zu den Gegendemonstranten in Koblenz gesellten, hoffen vermutlich immer noch, dass dieses „neue Europa“ wie ein Spuk verschwindet. Doch danach sieht es nicht aus. Schon gar nicht angesichts des Mannes, der die westliche Führungsmacht in den kommenden vier Jahren regieren wird – und dessen Sieg von den meisten Rednern in Koblenz begrüßt wurde.
„Jeannie wird nicht in die Flasche zurückgehen“, prophezeite Wilders. Er dürfte so lange recht behalten, wie die etablierten politischen Kräfte in Brüssel und den europäischen Hauptstädten weiter davon träumen, dass man nur geschlossen klare Kante gegen rechts zeigen müsse, um die neuen Gegner als unwählbare Nazis zu entlarven und verblendete Wähler zurückzugewinnen. Das ist ein eitler Irrtum. Moralisierende Sozialpädagogik überzeugt niemanden, der frustriert nach Repräsentanz für seine politischen Interessen sucht. Wer Angst hat, dass unbegrenzte Einwanderung seinen Lohn drückt und seine nationale Identität raubt, der wird sich nicht von Benefizkonzerten und Gegendemos bewegen lassen, wieder Sigmar Gabriels SPD oder Francois Hollandes Sozialisten zu wählen. Allenfalls wird er nicht mehr offen darüber reden, wen er zu wählen gedenkt.


Wilders könnte sich natürlich auch irren. Und die etablierten Parteien könnten das Entscheidende dazu beitragen. Wenn sie zu grundlegenden Korrekturen eigener Fehlentscheidungen bereit wären, also dazu, die selbst verursachte Repräsentationslücke zu schließen und wieder glaubwürdig selbst das anzubieten, was ihre verlorenen Wähler bei der neuen Konkurrenz suchen.

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