Der zentrale Satz des ganzen Dokuments fällt schon in der Einleitung: „Die gern geführte Diskussion über die ‚richtige’ Höhe des Wachstums geht daher am Kern der Sache vorbei. Vielmehr sind neue Ideen und Produktionsverfahren und damit Wachstum dringend notwendig zur Lösung der ökonomischen, ökologischen und Sozialen Herausforderungen“. Damit ist eigentlich alles gesagt. Dieser Satz erklärt vermutlich auch die Dürftigkeit der noch folgenden 95 Seiten. Die ganze Enquete-Kommission, das wollen die Autoren unmissverständlich zeigen, sei eigentlich überflüssig. Alles, was dann folgt, will das durch einen Blick zurück weismachen. Dabei ist die Darstellung der historischen Leistung der sozialen Marktwirtschaft über mehrere Seiten ebenso dürftig und unnötig wie die langatmige Definition des Begriffs des BIP. Beides kann man sehr viel verständlicher bei Wikipedia nachschlagen.
Was ist aber mit dem „Stellenwert“ dieses BIP in der Gesellschaft? War das nicht die eigentlich zu beantwortende Frage? Darauf gibt die Kommission keine klare Antwort. Wachstum ist für die Autoren dieses Berichts entweder ein unhinterfragtes Ziel oder wird als Bedingung jeglichen politischen Erfolges betrachtet. Was ist, wenn es ausbleibt? Paqué und Carstensen haben offenbar beschlossen, dass diese Frage ein Tabu sein soll.
Ludwig Erhardt war vor 50 Jahren schon weiter
Die Autoren sind blind für die entscheidenden Perspektiven bei der Betrachtung von Wachstum. Sie verzichten auf jede Einbindung der globalen Verhältnisse. Schließlich fehlt aber vor allem jegliches Verständnis für die kulturellen und historischen Bedingungen von ökonomischer Leistungsfähigkeit und Innovationskraft: Auch die Bereitschaft und die Fähigkeit, sich (noch) mehr anzustrengen, sind Voraussetzungen von Wachstum. Und beide sind keine historisch konstanten Größen. Die Autoren scheinen die gesamte Wachstumsdebatte der vergangenen vierzig Jahre überhaupt nicht zu kennen - oder ignorieren sie bewusst.
Ludwig Erhardt war 1961 schon weiter als Paqué und Carstensen heute. Damals – auf dem Höhepunkt der Wachstumsfreude – sagte Erhardt voraus, dass sich dereinst „die Woge bricht, wo der Aufwand an materiellen Mitteln, an Fleiß, an körperlicher und geistiger Kraft, sich nicht mehr lohnt“. Aber weder dies, noch seine Prophezeiung von 1964 haben sich bis zu seinen Enkeln in CDU und FDP herumgesprochen: „Wir werden sogar mit Sicherheit dahin gelangen, dass zu Recht die Frage gestellt wird, ob es noch immer richtig und nützlich ist, mehr Güter, mehr materiellen Wohlstand zu erzeugen oder es nicht sinnvoller ist, unter Verzichtsleistungen auf diesen ‚Fortschritt’ mehr Freizeit, mehr Besinnung, mehr Muße und mehr Erholung zu gewinnen.“ Nun sitzen da ein halbes Jahrhundert später seine Parteifreunde beisammen und ihnen fällt nichts dazu ein, als ein müdes Herunterbeten ältlicher VWL-Lehrmeinungen.
Auch in dem kleinen Kapitel „Zukünftige gesellschaftspolitische Gestaltung der Sozialen Marktwirtschaft“ ist kein einziger zukunftsweisender oder halbwegs origineller Gedanke zu erkennen, sondern nur bekannte Zitate der Klassiker Wilhelm Röpke und Alexander Rüstow aus fernen Wirtschaftswunderzeiten. Sätze aus einer anderen Zeit, als die „Ermöglichung der Teilhabe an wirtschaftlichem Wachstum“ für ein kriegsversehrtes Volk verheißend waren.
Wer soll das lesen? Und was soll diese Lektüre auslösen? Die Antwort kann nur lauten: niemand und nichts. Und das wohl mit Absicht. Der ganze Bericht hat ganz offensichtlich nur den Zweck, sein Thema durch Lehrbuch-Wissen und Phrasen tot zu schreiben. "Wenn man Wert darauf legt, dass es keinen Impuls gibt, dann muss man es so machen", kommentiert Meinhardt Miegel das Werk.