Entschädigungen für Dieselkäufer Zehn Prozent vom Autopreis – pauschal?

Das mögliche Autokartell wirft die Frage auf: Wie lässt sich das Kartellrecht ändern, um Kunden angemessen zu entschädigen? Einige Vorschläge sind schwierig umzusetzen, andere hätten längst beschlossen werden können.

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Unter Verdacht: Laut „Spiegel“ sollen sich Vertreter von VW, Audi, Porsche, BMW und Daimler jahrelang in geheimen Zirkeln über ihre Fahrzeuge, Kosten, Zulieferer und auch den Umgang mit dem Thema Diesel-Abgase abgesprochen haben. Quelle: dpa

Berlin SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz brachte die Brisanz des Diesel-Skandals kürzlich auf den Punkt: „Wenn sich die Kartellvorwürfe bestätigen sollten, wäre das ein ungeheuerlicher Vorgang. Es wäre ein gigantischer Betrug zulasten der Kunden und der oftmals mittelständischen Zulieferunternehmen“, sagte Schulz. „In diesem Fall müssen die verantwortlichen Manager die Konsequenzen tragen.“ Keinesfalls dürfe das Problem zulasten der Arbeitnehmer gehen. Diese hätten weder Kartellabsprachen getroffen noch den Dieselbetrug zu verantworten.

Schulz spricht an, was Verbraucherschützer schon länger umtreibt: Die Sorge, dass Verbraucher bei Kartellverstößen am Ende die Zeche zahlen. Der Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) und die Grünen wollen deshalb die Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen geschädigter Verbraucher deutlich verbessern. Zwar sind derzeit schon individuelle Entschädigungen möglich, ihre Rechtsdurchsetzung ist aber schwierig. Im Fall des Diesel-Skandals müssten betroffene Verbraucher argumentieren, „dass ihnen ein Auto verkauft wurde, das auf einem technischen Stand ist, der nicht dem entspricht, was möglich gewesen wäre“, sagte etwa der Düsseldorfer Kartellrecht-Professor Christian Kersting kürzlich im Deutschlandfunk. Hier sei „viel Nachweisarbeit zu leisten“.

Noch schwieriger sei es, wenn der Verbraucher argumentiere, dass er eine Innovation verpasst habe, die er anderswo zu einem günstigen Preis hätte kaufen können, nun aber zum selben Preis ein weniger innovatives Auto bekommen habe als versprochen. Hier „wird man sich vor Nachweishürden sehen, die man nur sehr schwer überwinden kann“, sagte der Rechtsprofessor.

Die andere Variante wäre, die Verbraucher kollektiv zu entschädigen. Auch das ist derzeit nicht problemlos möglich, zumal es noch kein entsprechendes Klageinstrument gibt. Die von Justizminister Heiko Maas (SPD) ersonnene sogenannte Musterfeststellungklage würde es Verbrauchern erlauben, gemeinsam und ohne hohes Kostenrisiko ihr Recht auch gegen große Konzerne durchzusetzen. Doch das Vorhaben wurde von der Union in dieser Legislaturperiode blockiert – vornehmlich von Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU). Dass sich sein Parteichef Horst Seehofer nun wegen der Diesel-Abgasaffäre plötzlich offen für das Instrument zeigt, bringt den Verbrauchern wenig. Eine gesetzliche Regelung ist vor der Bundestagswahl nicht mehr möglich.

Verbraucherschützern schwebt nun alternativ vor, zumindest einen Teil der Kartellstrafen dem Verbraucherschutz zu Gute kommen zu lassen. „Im Fall eines Kartells muss die Beweisführung für die Kartellbehörden und Verbände vereinfacht werden und die Bußgelder zweckgebunden dem Verbraucherschutz zu Gute kommen. Auch die Frist für Schadenersatzansprüche muss verlängert werden“, sagte die verbraucherpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion Nicole Maisch dem Handelsblatt.

Der Bundesregierung warf sie vor, es versäumt zu haben, mit den jüngsten Änderungen am Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) die Rechte der Verbraucher zu stärken. Betroffene hätten nach wie vor „zu schlechte Möglichkeiten, ihre Ansprüche geltend zu machen“.

Ähnlich äußerte sich der VZBV-Chef Klaus Müller. „Wenn sich Autobauer tatsächlich abgesprochen haben, erwarten wir zweierlei: Die Autohersteller müssen alle betroffenen Verbraucher entschädigen. Außerdem sollten Kartellstrafen zweckgebunden im Sinne der Verbraucher verwendet werden“, sagte Müller dem Handelsblatt.

Er begründete seinen Vorstoß damit, dass es „vollkommen realitätsfern“ sei, wenn jeder Verbraucher selbst nachweisen müsse, welcher Schaden ihm durch ein Kartell entstanden sei. „Damit die geschädigten Verbraucher das Geld zurückerhalten, das ihnen zusteht, muss bei Kartellverstößen deshalb eine Schadenshöhe vermutet werden können“, schlägt der VZBV-Chef vor. „Im Fall des möglichen Autokartells hieße das beispielsweise, dass Verbraucher pauschal von einem Schaden in Höhe von 10 Prozent des Neuwagenpreises ausgehen können sollten.“


Umleitung von Kartellstrafen in Verbraucherschutz rechtlich umstritten

In dieselbe Richtung denkt die Grünen-Verbraucherpolitikerin Maisch. Mit Blick auf mögliche Kartellabsprachen der großen deutschen Autobauer sprach sie von einem weiteren „Tiefpunkt für die deutsche Automobilindustrie“, sollten sich die Vorwürfe bewahrheiten. Die Verbraucher müssten dann angemessen entschädigt werden. „Dabei sind Schäden von mindestens 10 Prozent des Verkaufspreises anzunehmen“, sagte sie.

Eine Verschärfung des Kartellrechts ist jedoch kompliziert. Bisher fließen Geldbußen aus Kartellverfahren nicht zweckgebunden dem allgemeinen Bundeshaushalt zu. Etwaige Änderungen müssten im Kartellrecht vorgenommen werden. Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) wurde erst Anfang März geändert – allerdings ohne die im Gesetzgebungsverfahren angemahnten Änderungswünsche zu Gunsten des Verbraucherschutzes.

Die VZBV-Expertin Jutta Gurkmann plädierte seinerzeit in der Anhörung zu dem Gesetz dafür, dass zumindest ein Anteil dessen, was an den Bundeshaushalt gehe „zweckgebunden wieder auch dem Verbraucherschutz zufließt, weil es in der Regel ja durchaus einen beträchtlichen Betrag gibt, der aus der Verbraucherschädigung entstanden ist“. Das werde sich auch mit einer Verbesserung der Rechtsdurchsetzungsbefugnis nicht ändern, „weil wir durchaus sehr häufig Streuschäden haben, bei denen wirklich niemand daran denkt, sie allen Ernstes einklagen zu wollen“, so Gurkmann. Daher wäre auch für die allgemeine Verbraucherarbeit eine finanzielle Unterstützung aus dem Topf der Kartellbußgelder wünschenswert.

Rechtlich denkbar wäre tatsächlich, Kartellstrafen in eine Art Sondervermögen des Bundes zur Finanzierung der Verbraucherarbeit von Verbraucherorganisationen umzuwidmen. Doch der wissenschaftliche Dienst äußerte schon vor drei Jahren Bedenken. Ein solcher Vorschlag sei im Hinblick auf die Verfassungsgrundsätze der Einheit und Vollständigkeit des Haushalts sowie das Gesamtdeckungsprinzip entsprechend des Haushaltsgrundsätzegesetzes „kritisch zu bewerten“.

Soll heißen: Die Bundesjuristen befürchten, dass das Budgetrecht des Bundestages aufgehebelt werden könnte, wenn die Entscheidungsbefugnis über die Ausgabenbedarfe und also auch die Bereitstellung von Haushaltsmitteln vom Parlament weg hin zum zuständigen Bundesministerium verlagert wird. Die Rechtsexperten gehen sogar noch weiter: Selbst ohne ein Sondervermögen sei „eine dauergesetzliche Zweckbindung von Kartellstrafen zugunsten der Verbraucherarbeit mit dem Grundsatz der Gesamtdeckung kaum vereinbar“. Die Verbraucherpolitik stellt nämlich, so die Juristen, „keine spezifische Aufgabe dar, die sich von anderen ebenfalls aus dem Bundeshaushalt finanzierten Bundesaufgaben (politische Bildung, Kulturförderung etc.) wesentlich unterscheidet bzw. abgrenzt.“ Überzeugende Gründe für eine dauerhafte finanzielle Priorisierung der Verbraucherpolitik seien jedenfalls nicht ersichtlich.

Wohl wissend, dass eine Kartellrechtsänderung nicht so einfach umzusetzen ist, mahnte VZBV-Chef Müller ein Entschädigungsangebot der Hersteller an. „Dieselgate, Zwangsumrüstungen und Fahrverbote verunsichern Verbraucher und bringen nicht nur den Diesel, sondern einen ganzen Standort in Verruf“, sagte er. Politik, Hersteller und Behörden müssten daher beim Diesel-Gipfel „ganz konkrete Schritte“ beschließen und Vertrauen wiederherstellen. Dass Verbraucher- und Umweltschützer zu dem Spitzentreffen nicht eingeladen seien, ist für Müller nicht nachvollziehbar. „Schließlich sind Verbraucher – Autobesitzer und letztlich alle Menschen – vom Abgasbetrug betroffen.

Maisch sprach sich überdies für die Einführung von Verbraucher-Sammelklagen aus. „Schon die Diskussion über die Vorwürfe zeigt erneut, wie dringend wir endlich Gruppenverfahren für die kollektive Rechtsdurchsetzung brauchen“, sagte die Grünen-Politikerin. Die Grünen würden daher in der kommenden Legislaturperiode sowohl neue Klageinstrumente als auch eine Kartellrechtsänderung auf die Tagesordnung setzen. „Union und SPD haben hier nicht geliefert“, sagte sie. „Stattdessen haben sie sich viel zu lange vor den Karren der Wirtschaft spannen lassen.“

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