Wie auch immer die Koalitionsparteien sich einigen werden, der Streit über die Neuregelung der Erbschaftssteuer erscheint in der Berichterstattung als durchschaubares Geschacher. Der angeschlagene Sigmar Gabriel will seinen Genossen einen Sieg schenken – und das bedeutet, dass die „Reichen“ mehr bezahlen müssen als bisher. Horst Seehofers CSU dagegen baut den Popanz der in den Ruin besteuerten Familien(unternehmen) auf, als deren Retter er sich präsentieren will.
Die Frage nach dem Sinn und der moralischen Rechtfertigung der Besteuerung von Erbschaften taucht da in der Regel kaum auf. Stattdessen kratzen Politiker wie Beobachter gleichermaßen mit ihren Argumenten und Motiven nur an der Oberfläche einer Institution, die wie kaum eine andere die Eigentums- und damit Machtverhältnisse in unserer Gesellschaft Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung bestimmt.
Die Diskussion um die Erbschaftssteuer findet in einer Gesellschaft statt, die einerseits alle durch Geburt statt durch eigene Taten erworbenen Ungleichheiten für nichtig und inakzeptabel hält und sie daher mit Antidiskriminierungsgeboten zu nivellieren trachtet. Die einzige akzeptierte Ungleichheit: die des materiellen Besitzes. Aber dass der eine mehr Geld als der andere besitzt, kann in säkularisierten, kapitalistischen Gesellschaften nur unter einer Bedingung widerspruchsfrei gerechtfertigt werden: Wenn „Leistung“ der Grund dafür ist. „Leistung muss sich lohnen“ ist daher ein politischer Schlachtruf, gegen den heute kaum ein Kraut gewachsen ist.
Da scheint, könnte man meinen, das Recht aufs möglichst unbegrenzte Erben kaum zu rechtfertigen zu sein. Denn beim Erben geraten beide Vorgaben - Gleichheits- und Leistungsprinzip - in einen unauflösbaren Konflikt miteinander: Erben kommen genauso unverdient durch die biologische Lotterie der Geburt an ihre Vermögen, wie Afrikaner zu ihrer Hautfarbe. Erbschaften stehen daher, wie die Soziologen Jens Beckert und Lukas Arndt vom Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung feststellen, „quer zur Legitimation sozialer Ungleichheit aus Leistungsunterschieden“.
Man könnte also meinen, dass in einer solchen Gesellschaft hohe Steuern auf Vermögen und Erbschaften weitgehend akzeptiert werden. Aber das ist nicht der Fall. In Deutschland sind nicht nur die Erbschaftssteuersätze gering, sondern offenbar auch die gesellschaftliche Akzeptanz der Steuer generell.
Dabei steht Deutschland schon jetzt ausgesprochen erbschafts- und vermögensfreundlich da. Nur etwa jeder 40. Euro, den der deutsche Fiskus einnimmt, stammt aus einer Steuer auf Vermögen, im amerikanischen Staatsäckel ist es jeder zehnte Dollar. Selbst kleinste Nachlässe werden in den USA mit 18 Prozent, solche mit einem Wert von mehr als einer Million Dollar abzüglich eines Freibetrages mit 40 Prozent besteuert. Auch in den meisten europäischen Staaten ist die Erbschaftssteuer deutlich höher als in Deutschland.