Erderwärmung Klimaforscher fordern ernsthaften Umgang mit Fakten

Anlässlich des bevorstehenden G20-Treffens in Hamburg stellen deutsche Klimaforscher Fakten zum bereits beobachtbaren Klimawandel vor. Auch in Deutschland sind die Folgen der Erderwärmung bereits spürbar.

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Auch in Deutschland sind die Auswirkungen des Klimawandels zu spüren. Quelle: dpa

Berlin Für Klimaforscher Mojib Latif ist Schluss mit lustig. „Wir widersprechen vehement öffentlichen Beiträgen, die in der Bevölkerung zur Verunsicherung über die Faktenlage hinsichtlich des Klimawandels führen können“, sagte der Vorsitzende des Deutschen Klimakonsortiums (DKK) am Donnerstag in Hamburg. „Der Klimawandel ist eine Tatsache und der Mensch die Hauptursache. Ohne die menschliche Aktivität, insbesondere die Verbrennung von Kohle, Öl und Gas“, so Latif, „lassen sich die beobachtbaren Veränderungen im Klimasystem nicht erklären.“

Kritiker betonen gern, dass es über Jahrtausende einen natürlichen Wechsel von Kalt- und Warmzeiten gegeben hat. Das bestreitet auch Latif nicht, sagt aber, dass die derzeit beobachtbare schnelle Erwärmung in nur etwa 150 Jahren eine völlig neue Entwicklung sei. Der Vergleich mit früheren Warmzeiten sei unzulässig. Werde nicht gegengesteuert, drohten schwerwiegende weitverbreitete und irreversible Folgen für Menschen und Ökosysteme.

Angesichts des Treffens der Staatschefs der 20 führenden Industrienationen in Hamburg und der Dringlichkeit eines weltweiten Klimaschutzes präsentieren einen Tag vor Beginn des Gipfels deutsche Klimaforscher Fakten zum Klimawandel. Weltweit seien die Folgen des Klimawandel zu beobachten, sagte Paul Becker, Vizepräsident des Deutschen Wetterdienstes (DWD). In Deutschland zähle unter anderem das Niederschlagsverhalten dazu, etwa im Winter, aber auch die Starkregen im Sommer. Der eindeutige Nachweis einer Änderung meteorologischer Extreme sei aufgrund des sehr seltenen Auftretens solcher Ereignisse nach wie vor schwierig zu führen, sagte Becker. Klar ist aber: Starkniederschläge mit lokalen Überschwemmungen haben sich in den vergangenen Jahrzehnten gehäuft. Darauf hatte bereits das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) Ende Juni hingewiesen, als Regenmassen halb Berlin lahmlegten. Ein Gradmesser sind auch die Schäden aufgrund schwerer Gewitter. Weltweit hat sich laut Daten des Rückversicherers Munich Re seit 1980 die Zahl schadensrelevanter Naturereignisse insgesamt etwa verdreifacht. „Schwergewitter in Europa richten zunehmend größere wirtschaftliche Schäden an“, sagte Peter Höppe, Leiter der Georisikoforschung von Munich Re, dem Handelsblatt. Auch in Deutschland steigen die Risiken: „Wir müssen uns auf mehr Starkregen einstellen, auf häufigere Stürme und nassere Winter – und natürlich auf den Anstieg des Meeresspiegels“, sagte Jens Kerstan, Umweltsenator in Hamburg. Die Konsequenz: „Wir erhöhen die Deiche, sorgen für vernünftige Versickerung von Regenwasser oder pflanzen klimaresistente Bäumen in Straßen und Parks.“

Folgende Fakten zum Stand der Forschung hat der Verbund der Klimaforscher, dem beispielsweise das Deutsche Klimakonsortium, die Deutsche Meteorologische Gesellschaft, Munich Re und der Deutsche Wetterdienst angehören, unter anderem zusammengetragen:

1.     Die Luft an der Erdoberfläche hat sich bereits deutlich erwärmt – und zwar um knapp ein Grad Celsius im Vergleich zu vorindustrieller Zeit. In Deutschland ist es seit 1881 im Mittel sogar um 1,4 Grad Celsius wärmer geworden und liegt damit über dem globalen Trend.

2.     Seit mehreren Jahrzehnten zeigt sich ein klarer Aufwärtstrend. Seit den 1960er Jahren war jede Dekade wärmer als die vorherige. Und die bisherigen Daten für das laufende Jahrzehnt deuten darauf hin, dass auch die Dekade 2011 bis 2020 einen neuen Höchststand markieren wird.

3.     Die Häufung von Temperaturrekorden in den vergangenen Jahren ist ungewöhnlich. 16 der 17 wärmsten Jahre seit Beginn der Aufzeichnungen traten nach dem Jahr 2000 auf, alle fünf wärmsten seit 2010.

4.     Die Anzahl heißer Tage (Lufttemperatur höher als 30 Grad Celsius) ist in Deutschland seit den 1950er Jahren von etwa drei Tagen im Jahr auf derzeit durchschnittlich neun Tage im Jahr angestiegen. Die Zahl der Eistage (unter 0 Grad) hat dagegen abgenommen. Auch die Häufigkeit und die Intensität von Hitzewellen hat sich in Deutschland verändert. 14-tägige Hitzeperioden traten beispielsweise in Hamburg vor 1994 nicht auf. Seitdem gab es dort solche Ereignisse schon viermal. Bei ungebremsten Treibhausgasausstoß wird eine weitere Zunahme heißer Tage vorausgesagt.

5.     Das Risiko von Hochwassern nimmt zu, ebenso die Schäden durch schwere Gewitter.

6.     Die Ozeane haben sich deutlich erwärmt. Die Temperatur der oberen Wasserschichten der Weltmeere ist zwischen 1980 und 2015 um etwa 0,5 Prozent gestiegen. Es gibt allerdings auch Seegebiete, in denen die Wassertemperaturen in dieser Zeit gesunken sind, etwa der Nordatlantik. In anderen stieg die Temperatur dagegen überproportional.

7.     Der Meeresspiegel steigt – seit 1880 im weltweiten Durchschnitt um circa 20 Zentimeter, allerdings mit großen regionalen Unterschieden. Gründe für den Anstieg: die thermische Expansion des Ozeans infolge der Erwärmung, aber auch die Abschmelzprozesse auf Grönland, den Gletschern und der Antarktis. Das grönländische Eisschild schwindet um 250 bis 300 Milliarden Tonnen pro Jahr, das trägt mit jährlich rund 0,6 Millimetern zum Anstieg der globalen Meeresspiegelhöhe bei. Auch in Nord- und Ostsee steigt der Meeresspiegel, an der deutschen Nordseeküste um 1,6 bis 1,8 Millimeter jährlich. Eine Folge ist, dass Sturmfluten höher ausfallen.

8.     Der Kohlendioxid-Gehalt der Atmosphäre nimmt stetig zu, sie liegt derzeit rund 41 Prozent über dem vorindustriellen Niveau.

9.     Die Ozeane versauern aufgrund des höheren Kohlendioxids in der Luft, das teilweise von den Meeren aufgenommen wird.

Küsten und Küstenstädte gelten als besonders anfällig für die Folgen des Klimawandels. Alle G20-Mitgliedsstaaten und viele ihrer bevölkerungsreichsten und wirtschaftsstärksten Regionen sind bereits heute von den steigenden Fluten betroffen, heißt es in dem Papier der Klimaforscher. Laut Schätzungen des Weltklimarats Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), einer Institution der Vereinten Nationen, bedroht der Meeresspiegelanstieg bis zum Jahr 2100 die Siedlungsräume von hunderten Millionen Menschen. Am stärksten betroffen sind demnach Küstenmetropolen in Asien, aber auch Miami und New York sind durch Fluten gefährdet. „Die Höhe der zu erwartenden Schäden und die Kosten für notwendige Schutzmaßnahmen hängen stark davon ab, wie sich der weltweite Ausstoß von Treibhausgasen in den kommenden Jahren entwickelt“, warnten die Klimaforscher am Donnerstag in Hamburg. Die Verwundbarkeit nehme aber über die nächsten Jahrzehnte drastisch zu.

Zeit zum Gegensteuern

Die Natur- und Umweltschutzorganisation WWF forderte die G20 zum Handeln auf. Es sei höchste Zeit, dass die Staatengemeinschaft begreife, dass unser wirtschaftlicher Wohlstand unmittelbar vom Wohlergehen unserer Umwelt abhänge, sagte Eberhard Brandes, Geschäftsführender Vorstand des WWF Deutschland. „Verpesten wir mit Kohlekraftwerken weiter unsere Luft, befeuern die Klimakrise und vermüllen unsere Meere, ist kein Land gefeit vor den extremen Folgen dieser ungeheuren Fahrlässigkeit. Da hilft ganz sicher auch kein Protektionismus“, sagte Brandes weiter. „Wenn die Administrationen einzelner Länder vor den Problemen lieber die Augen verschließen, müssen die anderen diese umso entschlossener angehen.“

Die G20-Mitglieder seien nicht nur die führenden Wirtschaftsmächte, sondern auch die größten Umweltsünder, kritisierte der WWF. In Deutschland sei der CO2-Ausstoß seit 2009 nicht mehr gesunken. Um die Klimaschutzziele für 2020 noch zu erreichen, müsse die Bundesregierung umgehend das Ende der Kohleverstromung einleiten und die dreckigsten Meiler spätestens 2019 abschalten.

Auch Wirtschaftsvertreter der G20 forderten vom Gipfel ein klares Zeichen für Klimaschutz. „Klimaschutz und Wirtschaftswachstum müssen sich nicht ausschließen. Ganz im Gegenteil“, sagte Jürgen Heraeus, Präsident des offiziellen Wirtschaftsdialogs Business 20 (B20), am Donnerstag. Um die notwendigen Innovationen in den Unternehmen aber weiter voranzutreiben und einen fairen Wettbewerb sicherzustellen, brauche es die Umsetzung des Pariser Klimaabkommens. In Paris hatte sich die Staatengemeinschaft im Dezember 2015 darauf geeinigt, die Erderwärmung gegenüber vorindustrieller Zeit auf unter zwei Grad Celsius zu begrenzen. Auf diesem Pfad befindet sich die Welt aber noch lange nicht.

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