Erdgas Verkannter Klimaschützer

Politiker sehen im Erdgas trotz Vorteile gegenüber Kohle und Öl keine Zukunft. Doch eine Energiewende ohne Gas sei illusorisch, sagt die Gasbranche. Wie der Brennstoff den Klimaschutz voran treiben könnte.

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Besonders wurmt es die Gasbranche, dass sich die Politik beim Umbau des Verkehrssektors allein auf Strom fokussiert. Quelle: dpa

Berlin Für Jens D. Müller ist die Sache klar: Sollte es in Deutschland zu einer Jamaika-Koalition kommen, so twitterte er kürzlich, werde Gas im Energiemix an Bedeutung gewinnen. Denn ohne Kohle und Atom werde mehr Gas gebraucht, da ist sich Müller, im Hauptberuf Pressesprecher von Nord Stream 2, sicher. Sein Unternehmen will eine zweite Pipeline bauen, die Erdgas von Russland durch die Ostsee nach Deutschland bringt. Müllers Optimismus ist vor diesem beruflichen Hintergrund leicht zu erklären.
Doch Zweifel sind angebracht. Seit langem schon fühlt sich die Gasbranche in Deutschland von Teilen der Politik bestenfalls ignoriert, teilweise sogar gemobbt.

Jahrelang war unbestritten, dass Gas der ideale Partner der erneuerbaren Energien ist. Denn unter den fossilen Energieträgern erzeugt Gas bei der Verbrennung am wenigsten CO2, es ist somit weitaus klimafreundlicher als Kohle und Öl. Auch beim Beheizen von Gebäuden kann Gas diesen Vorteil gegenüber Kohle und Öl ausspielen.

Doch die energiepolitische Debatte hat sich gewandelt. Wichtige Player, insbesondere Politiker der Grünen, sehen für Erdgas trotz seiner Vorteile gegenüber Kohle und Öl keine rosige Zukunft mehr. Sie wollen das Zeitalter fossiler Brennstoffe lieber gleich komplett beenden. Investitionen in Gaskraftwerke bewerten sie daher so skeptisch wie jedes andere Engagement in fossilen Energieträgern. Ihr Szenario ist die „all electric society“, in der Strom aus erneuerbaren Quellen die entscheidende Rolle spielt: Autos fahren mit Batterieantrieb, geheizt wird mit elektrisch betriebenen Wärmepumpen – schlicht alles soll elektrisch werden. Gas als Übergangslösung spielt in diesen Überlegungen eine untergeordnete Rolle. Das gilt für Gaskraftwerke genauso wie für den Gaskessel im Heizungskeller oder die Gaspipeline durch die Ostsee.

Die Gasbranche hält die Idee, die Energiewende ohne Gas bewältigen zu wollen, für illusorisch. „Erdgas ist ein Schlüssel zu echtem Klimaschutz. Die Politik sollte diesen Schlüssel nutzen“, sagt Ludwig Mohring, Geschäftsführer des Erdgasversorgers Wingas und Aufsichtsratschef der Brancheninitiative „Zukunft Erdgas“. Klimaschutz sei bisher ein Lippenbekenntnis der Politik, die seit Jahren keine Reduktion von CO2 in Deutschland erreicht habe, klagt Mohring. „Wirksamen und bezahlbaren Klimaschutz bekommen wir nur, wenn wir endlich auch auf Erdgas setzen“, sagt der Gasmanager.

Tatsächlich hinkt Deutschland bei der Erreichung seiner Klimaschutzziele hinterher. Die Gasbranche lockt mit dem Argument, einen raschen Beitrag zur CO2-Reduktion leisten zu können. Besonders große Reduktionspotenziale sieht die Gasbranche beim Beheizen von Gebäuden. „Wenn wir schnell und stark Klimaentlastung schaffen wollen, dann müssen wir ran an den Wärmemarkt, und zwar technologieoffen mit dem Ziel möglichst kosteneffizienter CO2-Reduzierung. Abwrackprämie für alte Heizungen, Abschreibemöglichkeiten für Sanierungen, Hocheffizienzförderung – die Lösungen sind bekannt, die Politik darf nicht länger warten“, sagt Timm Kehler von Zukunft Erdgas.

Tatsächlich aber wird das Werben der Gasbranche derzeit kaum beachtet. Im Gegenteil: In der abgelaufenen Legislaturperiode hat das Bundeswirtschaftsministerium eine Änderung der Förderbedingungen für den Austausch von Heizkesseln in Angriff genommen. Wer sein altes Gerät gegen einen modernen Gasbrenner mit Brennwerttechnik austauscht, soll künftig trotz beträchtlicher CO2-Einsparungen keine Förderung mehr erhalten.

Besonders wurmt es die Gasbranche, dass sich die Politik beim Umbau des Verkehrssektors allein auf Strom fokussiert: „Eine Verkehrswende nur mit Elektroautos wird es in einem Markt von über 40 Millionen Autos in Deutschland nicht geben“, warnt Kehler. Die Politik handele fahrlässig, wenn sie andere Alternativen zur Reduzierung von CO2, Stickoxiden und Partikeln vernachlässige. Tatsächlich ist Gas ein erprobter Energieträger im Verkehrssektor. Eine Steigerung des Anteils gasbetriebener Fahrzeuge könnte erhebliche CO2-Reduktionen bringen. Und das unter Benutzung bereits vorhandener Infrastruktur.

Die Branche sieht sich auch im Mobilitätsbereich als natürlicher Partner der erneuerbaren Energien: Aus Wind- oder Sonnenstrom lassen sich mittels Elektrolyse CO2-neutral gasförmige und flüssige Kraftstoffe produzieren. „Grünes Gas“ oder entsprechender flüssiger Kraftstoff, zusammen als „E-Fuels“ bezeichnet, sind nicht nur für den Mobilitätssektor interessant. Sie lassen sich zudem in vorhandene Infrastruktur – Netze, Tanks, Speicher – integrieren. Damit könnten sie dazu beitragen, ein weithin ungelöstes Problem zu lösen: Strom ließe sich in Form von E-Fuels gewissermaßen speichern.

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