Erdogan vs. Gülen-Bewegung Deutsche Politik warnt Türkei vor Einflussnahme

Die türkischen Einflussversuche in Deutschland sind auf scharfe Kritik gestoßen. Politiker von Koalition und Opposition lehnen es strikt ab, vermeintliche Erdogan-Gegner in die Türkei auszuliefern.

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Die Einflussversuche des türkischen Präsidenten sorgen in Deutschland für Empörung. Quelle: AP

Berlin Der Versuch der türkischen Regierung, gegen in Deutschland lebende Anhänger des Predigers Fethullah Gülen vorzugehen, stößt auf deutliche Kritik in Berlin. Politiker von CDU, SPD und Grünen warnten den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan eindringlich davor, seinen innenpolitischen Konflikt auch in Deutschland auszutragen.

„Es ist nicht im Sinne der Verhältnismäßigkeit, befreundete Staaten durch Auslieferungsgesuche für innere machtpolitische Ambitionen zu missbrauchen. Die Bundesregierung sollte deshalb deutlich machen, dass die Rechtsstaatlichkeit in Deutschland vollumfänglich gewahrt bleibt“, sagte der Obmann der Unions-Fraktion im Auswärtigen Ausschuss, Roderich Kiesewetter (CDU), dem Handelsblatt. Die Zugehörigkeit zur Gülen-Bewegung sei dabei keine Rechtfertigung. „Deshalb müssen klare individuelle Anhaltspunkte für eine Teilnahme am oder Hilfe für den Putschversuch vorgebracht werden.“

Der CDU-Außenpolitiker Karl-Georg Wellmann betonte, dass aus Deutschland nur dann an ein anderes Land ausgeliefert werden dürfe, wenn gewährleistet sei, dass ihn dort ein rechtsstaatliches Verfahren erwarte. „Das ist in der Türkei in keiner Weise mehr gewährleistet. Der Rechtsstaat wird dort gerade mit atemberaubender Geschwindigkeit demontiert“, sagte Wellmann dem Handelsblatt. „Grundlegende rechtsstaatliche Prinzipien und europäische Werte scheinen in der Türkei keine Geltung mehr zu haben.“ Hinzu komme, dass der Präsident und die führende AKP Partei die Einführung der Todesstrafe planten. „Dieses wäre dann sowieso ein absoluter Ausschließungsgrund für eine Auslieferung.“

Erdogan hält den im US-Exil lebenden Gülen für den eigentlichen Drahtzieher des gescheiterten Putsches vom 15. Juli. Die Bewegung um den Geistlichen gilt in der Türkei als terroristische Organisation. Im Rahmen der Maßnahmen gegen mutmaßliche Anhänger der Putschisten wurden bislang über 60.000 Menschen von ihren Posten in Militär, Bildungswesen und Verwaltung entfernt.

Im Ausland wächst die Sorge, Erdogan wolle nicht nur gegen die Aufständischen vorgehen, sondern die gesamte Opposition ausschalten. „Jetzt gehen die Reaktionen über jedes Maß hinaus“, sagte der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) den Dortmunder „Ruhr Nachrichten“.

Der Sprecher des konservativen Seeheimer Kreises in der SPD, der Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs, forderte klare Worte von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Die Kanzlerin habe deutsche Interessen zu vertreten. „Sie darf sich nicht wieder von Erdogan erpressen lassen“, sagte Kahrs dem Handelsblatt. „Wenn es Probleme in Deutschland mit der Gülen-Bewegung geben sollte, muss das in Deutschland bewertet werden. Bei uns gelten dafür rechtsstaatliche Grundsätze.“


Baden-Württemberg berichtet von türkischer Einflussnahme

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann zeigte sich befremdet über türkische Einflussversuche in Deutschland. Kretschmann sagte der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, das türkische Generalkonsulat in Stuttgart habe die Landesregierung aufgefordert, „Vereine, Einrichtungen, Schulen, die nach Meinung der türkischen Regierung von der Gülen-Bewegung wie sie sagt 'betrieben' werden, einer Prüfung zu unterziehen“. Der Grünen-Politiker kritisierte: „Hier sollen Leute auf irgendeinen Verdacht hin grundlos verfolgt oder diskriminiert werden.“

Der Grünen-Außenpolitiker Jürgen Trittin wertete das Begehren im Handelsblatt als „dreiste Forderung nach Verfolgung“. „In seiner Hexenjagd auf Regierungsgegner will Erdogan sein Jagdrevier auf Deutschland ausdehnen“, sagte Trittin. Das sei unerträglich. Deutschland liefere aber nur an Rechtsstaaten aus. „Und auch nur dann, wenn es sich um Delikte handelt, die nach deutschem Recht strafbar sind“, betonte der Grünen-Politiker.

Offenbar handelte es sich bei dem Begehren des Generalkonsulates um eine vereinzelte Aktion. Nach Angaben der Regierungen von Hessen, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen vom Freitag sind dort vergleichbare Schreiben nicht eingegangen. Alle drei Länder sind auch Standorte türkischer Generalkonsulate.

Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu hatte am Donnerstag gefordert, Deutschland solle türkische Richter und Staatsanwälte mit Verbindungen zu Gülen, die sich in die Bundesrepublik abgesetzt hätten, ausliefern.

Der Deutsche Anwaltverein (DAV) sieht die Einflussversuche der türkischen Regierung gelassen. „Das Auslieferungsersuchen der Türkei ist rein politischer Natur, da es faktisch keine Aussicht auf Erfolg hat“, sagte DAV-Präsident Ulrich Schellenberg dem Handelsblatt. Das Ersuchen werde „mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit“ aus juristischen Gründen scheitern.

Eine Auslieferung sei zum Beispiel schon dann nicht möglich, wenn befürchtet werden müsse, dass die Betroffenen in der Türkei allein wegen ihrer politischen Anschauung verfolgt oder bestraft würden, sagte Schellenberg weiter. „Angesichts der derzeitigen Vorgänge in der Türkei ist von einer Verfolgung oder Bestrafung vermeintlicher Gülen-Befürworter auszugehen.“

Schellenberg erinnerte in diesem Zusammenhang, dass bereits im Februar beispielsweise das Oberlandesgericht München die Auslieferung eines türkischen Staatsangehörigen für unzulässig erklärt habe, weil die „Gefahr von politischer Verfolgung und unmenschlicher und erniedrigender Behandlung“ durch den türkischen Geheimdienst bestünde. „Seitdem hat sich die Menschenrechtslage in der Türkei dramatisch verschlechtert“, sagte Schellenberg.


CDU-Politiker attackiert Erdogan-nahen Islam-Verband

Auch die Aktivitäten Erdogan-naher Islam-Gruppen in Deutschland werden inzwischen argwöhnisch beobachtet. Scharfe Kritik äußerte etwa der CDU-Außenpolitiker Kiesewetter am deutschen Islamverband Ditib, der direkt der türkischen Religionsbehörde untersteht.  Ditib fordere in Deutschland die Türken auf, Namenslisten von angeblichen Gülen-Anhängern zu übermitteln. „Das ist untragbar und muss durch rechtsstaatliche Mittel unterbunden werden“, sagte der CDU-Politiker.

Der CDU-Politiker Wellmann erklärte, die deutschen Sicherheitsbehörden prüften inzwischen „routinemäßig und von Amts wegen, ob die Tätigkeit von Vereinen und sonstigen Einrichtungen, egal ob sie von Deutschen oder Ausländern betrieben werden, mit den Grundsätzen unserer Verfassung in Einklang stehen“. Sei das nicht der Fall, werde dagegen vorgegangen, wie gerade in Niedersachsen. „Es bedarf insoweit nicht der Nachhilfe von Regimen, die es mit europäischen rechtlichen Standards nicht so ernst nehmen“, sagte Wellmann.

Mit einem Großaufgebot hatte die Polizei im niedersächsischen Hildesheim am Mittwoch einen Moscheeverein und die Wohnungen seiner führenden Vertreter durchsucht. Die Aktion diene der Vorbereitung eines Verbotsverfahrens gegen die Vereinigung wegen salafistischer Aktivitäten, teilte das Landesinnenministerium mit.

Demnach beteiligten sich bis zu 400 Beamte an den Razzien gegen den „Deutschen Islamkreis Hildesheim“ (DIK), darunter unter anderem ein Spezialeinsatzkommando sowie Einsatzhundertschaften der Bereitschaftspolizei. Durchsucht wurden die von dem Verein betriebene Moschee sowie Privatwohnungen von acht Vorständen.

„Der DIK in Hildesheim ist ein bundesweiter Hotspot der radikalen Salafistenszene, den die niedersächsischen Sicherheitsbehörden seit längerer Zeit beobachten“, sagte der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD). Er sei zuversichtlich, dass die „akribisch vorbereitete Aktion“ von Verfassungsschutz und Polizei erfolgreich sei. Konkrete Angaben über Ergebnisse gab es zunächst aber nicht.

Mit Sorge blickt die Politik derweil auf die für Sonntag geplante Großkundgebung von Türken in Köln, zu der 30.000 Teilnehmer erwartet werden.

Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Ekin Deligöz sagte, in Demokratien müssten solche Kundgebungen ertragen und ermöglicht werden. Gewalt sei aber keine Meinung und werde nicht geduldet, sagte sie im Deutschlandfunk. Auch die Türkische Gemeinde in Deutschland rief zur Mäßigung auf. Die Stimmung unter den türkischstämmigen Menschen in der Bundesrepublik sei sehr angespannt.

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