Ergebnisse des G20-Gipfels Kompromiss auf Biegen und Brechen

Wer braucht nach dem Chaos-Gipfel von Hamburg noch weitere G20-Treffen? Draußen randalierte der Mob gegen die öffentliche Ordnung, drinnen rüttelte Trump weiter kräftig an der liberalen Weltordnung. Ein Fazit.

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„Wir müssen nach Kompromissen suchen, uns dabei aber nicht verbiegen“, so die Bundeskanzlerin. Die Abschlussvereinbarung der G20 den Teilnehmern jedoch Biegsamkeit ab. Quelle: dpa

Hamburg Es ist wichtig, dass die Staats- und Regierungschefs persönlich miteinander sprechen. Dieser Satz ist die unanfechtbare Rechtfertigung für jedes internationale Gipfeltreffen. Aber hat in Hamburg wirklich ein Gespräch im ursprünglichen Sinne des Wortes stattgefunden? Haben die Chefs aus den G20-Staaten ihre Gedanken ausgetauscht, einander zugehört, die Argumente abgewogen? Hat es gar einen Diskurs der Volksvertreter mit dem Souverän – dem Volk – gegeben?

Sicher ist, auf den Straßen Hamburg wurde zu wenig geredet. Die Mehrzahl der Demonstranten war friedlich, das sollte man immer wieder betonen. Aber die apolitische Randale der Chaoten in einer der reichsten Städte der Welt zeigt, dass ein Gespräch nicht mehr stattfindet. Vielleicht nicht mehr stattfinden kann mit Menschen, die gesprächsunfähig sind und nur noch die Sprache der Gewalt sprechen wollen.

Wenn mehr als 20.000 Polizisten nicht genug sind, ein Gespräch von gut zwanzig überwiegend vom Volk gewählten Regierungschefs zu schützen, dann muss sich etwas ändern. Der Vorschlag von Bundesaußenminister Sigmar Gabriel, die G20-Gipfel künftig nur noch bei den Vereinten Nationen in New York abzuhalten, wäre eine vernünftige Alternative zum derzeitigen Wanderzirkus von zwei Dutzend Politpromis, rund 5000 Journalisten und zahlreichen mitreisenden Berufsdemonstranten. Bei den häufigen Gipfeln, die ohnehin in New York stattfinden, fällt ein G20-Treffen viel weniger ins Gewicht.

Das zentrale Problem des G20-Formats wäre damit allerdings noch lange nicht gelöst. Die Unfähigkeit zum zivilen Diskurs auf der Straße ist schon schlimm genug. Schlimmer aber, weil noch gefährlicher für die in Unordnung geratene Welt, ist die Unfähigkeit zum Gespräch zwischen den globalen Führern. Oder soll man den im Hamburger Abschluss-Kommuniqué durch nächtelange Verhandlungen erreichten Minimalkonsens ernsthaft als ein Gesprächsergebnis bezeichnen? In einer Woche werden sich einige Teilnehmer nicht mehr an ihre windelweichen Worte von Hamburg erinnern – geschweigen denn halten.

Lange bevor die Staats- und Regierungschefs an der Elbe eintrafen, wurde bereits um Formelkompromisse gerungen, die vor allem ein Ziel haben: Meinungsverschiedenheiten zuzukleistern. Beim Thema Freihandel ist das gerade noch einmal gelungen, beim Klimaschutz waren die Differenzen zwischen den USA und den anderen 19 einfach zu groß.

„Wir müssen nach Kompromissen suchen, uns dabei aber nicht verbiegen“, hatte Angela Merkel als Marschroute für ihren Gipfel vorgegeben. Die Abschlussvereinbarung der G20 testet die Biegsamkeit der Teilnehmer bis zur Sollbruchstelle.

Tatsächlich ist der Konsens der G20 über die richtige Ordnung der Welt spätestens mit dem Einzug Donald Trumps ins Weiße Haus zerbrochen. Die USA haben sich als Führungsmacht einfach abgemeldet und ziehen sich insbesondere beim Handel und Klima immer mehr hinter nationalistische Mauern zurück.

Aus Sicht Wladimir Putins hat es diese Einigkeit ohnehin nie gegeben. Der russische Präsident sieht die Welt wie Donald Trump: als eine Arena miteinander konkurrierender Mächte. Putin arbeitet seit Jahren daran, wieder auf Augenhöhe mit der Weltmacht USA zu kommen. In Hamburg ist er diesem Ziel einen großen Schritt näher gekommen. „Es ist eine Ehre Sie zu treffen“, umschmeichelte Trump jenen Mann, dessen Hacker gerade versucht haben, die demokratischen Wahlen in Amerika zu manipulieren.

Trump und Putin haben in Hamburg zwar die Schlagzeilen bestimmt. Der heimliche Gewinner des Gipfels ist jedoch Chinas Präsident Xi Jinping. Ohne dass Xi viel dafür tun musste, läuft der globale Trend auf China zu. Xi hat sich bereits als neuer Garant für Freihandel und Globalisierung positioniert und damit den von Trump geräumten Platz eingenommen. Dass China wahrlich kein mustergültiger Freihändler ist, sondern ausländischen Unternehmen immer wieder Knüppel zwischen die Beine wirft, wird kaum noch wahrgenommen. Auch deshalb nicht, weil Trump freiwillig die Rolle des Bösewichts übernommen hat.

Einen Führungswechsel an der Weltspitze bedeutet das alles aber noch lange nicht. Putin redet jetzt mit Trump zwar auf Augenhöhe, was aber nur daran liegt, dass der Amerikaner sich auf das machtpolitische Niveau des Russen hinab begeben hat. China ist weder willens noch in der Lage, liberale Werte wie die Menschenrechte, den Rechtsstaat und die Demokratie global zu verteidigen. Und die bereits als Weltenretterin gefeierte Merkel hat nach den Hamburger Chaos-Tagen andere Sorgen.

Das ernüchternde, aber nicht überraschende Fazit aus Hamburg lautet: Die Welt ist neun Jahre nach dem ersten G20-Treffen führungslos. G0 statt G20, das ist die Botschaft von Hamburg.

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