Ersatzkrankenkassen Es drohen deutlich höhere Zusatzbeiträge

Die Krankenkassen schlagen Alarm: Ihrer Meinung nach drohen bis 2020 Zusatzbeiträge von durchschnittlich 1,8 Prozent. Eine mögliche Lösung: Arbeitgeber sollen wieder stärker bei den Gesundheitsausgaben mitbezahlen.

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Wenn die Politik nicht gegensteuert, könnten den gesetzlich Versicherten bis 2020 ein Zusatzbeitrag von durchschnittlich 1,8 Prozent drohen. Quelle: dpa

Berlin Auf den ersten Blick sieht finanziell gesehen alles gut aus im deutschen Gesundheitswesen. Zwar haben ein Viertel der gesetzlichen Krankenkassen zum 1. Januar 2017 ihre Zusatzbeiträge erhöht. Doch im Durchschnitt ist die Lage stabil. Der von Versicherten und Arbeitgeber je zur Hälfte bezahlte allgemeine Beitragssatz bleibt 2017 bei 14,6 Prozent. Auch die Zusatzbeiträge aller 113 gesetzlichen Kassen, die die Versicherten alleine Zahlen müssen, werden nach den amtlichen Schätzungen im Durchschnitt wie 2016 1,1 Prozent nicht überschreiten. Wessen Kasse teurer ist, der kann ohne große Probleme zu einer preiswerteren Krankenkasse wechseln.

Also alles in Ordnung? Nein, sagt der Chef des Verbands der Ersatzkrankenkassen Uwe Klemens. Er wirft der Politik vor, den Beitragssatz im Superwahljahr 2017 künstlich stabil zu halten. In Wirklichkeit müssten die Beiträge eigentlich schon in diesem Jahr steigen. Bis 2020 drohe ein Zusatzbeitrag von durchschnittlich 1,8 Prozent, wenn die Politik nicht gegensteuert. 

Im Konzert der Akteure der Berliner Gesundheitspolitik ist der Verband der Ersatzkrankenkassen die Lobbytruppe mit dem größten Gewicht. Denn der VdEK vertritt die Giganten unter den deutschen Krankenkassen: die Techniker, Barmer und DAK. Er vertritt die Interessen von insgesamt 28 Millionen Versicherten, die Zahl wächst seit Jahren. Zuletzt wechselten durch die zum Januar vollzogene Fusion der Barmer mit der Deutschen BKK 1,1 Millionen Versicherte zusätzlich ins Ersatzkrankenkassenlager. Vor allem aber haben in der Selbstverwaltung der Ersatzkassen die Versichertenvertreter traditionell eine stärkere Position als die Arbeitgeberseite. Daher fällt es dem Verband leichter, sich pointiert in den politischen Meinungsbildungsprozess einzubringen und das Interesse der Wirtschaft an möglichst niedrigen Arbeitgeberbeiträgen zur Sozialversicherung zu ignorieren. Das tat er auch am heutigen Dienstag mit Blick auf die bevorstehenden drei Landtagswahlen und die Bundestagswahl im  September.

Nahezu unverblümt warf der ehrenamtliche Verbandsvorsitzende, Uwe Klemens, der Bundesregierung vor, die Finanzlage der gesetzlichen Krankenversicherung im Superwahljahr künstlich zu verschönern. Tatsächlich verschafft die Politik den Krankenkassen mit zwei Maßnahmen eine zusätzliche Finanzspritze von zwei Milliarden Euro: Erstens entnimmt sie der Reserve des Gesundheitsfonds 1,5 Milliarden Euro und schüttet sie zusätzlich zu den regulären Zuweisungen für 2017 an die Kassen aus. Zweitens wird für 2017 der Steuerzuschuss an die Krankenkassen von 14 auf 14,5 Milliarden Euro erhöht. Ohne diese zusätzliche Finanzspritze müsste der durchschnittliche Zusatzbeitrag schon dieses Jahr steigen – und zwar auf mindestens 1,2 Prozent.

Schonungslos rechnet der Verband vor, in welchem Umfang die aktuelle Gesundheitspolitik die Ausgaben in den kommenden Jahren weiter steigen lassen wird. Wenn alle Gesetze der zu Ende gehenden Legislaturperiode erst einmal umgesetzt seien, so Klemens, bedeute das im Vergleich 2015 jährliche Mehrausgaben von 4,6 Milliarden Euro im Jahr. Nur um sie zu bezahlen, ist rein rechnerisch eine Erhöhung des Zusatzbeitrags um 0,3 Prozent erforderlich. Hinzu kommen aber allgemeine Kostensteigerungen für höhere Preise, medizinisch technischen Fortschritt und den wachsenden Behandlungsbedarf in einer alternden Gesellschaft.

Die Prognose des VdEK, dass der Zusatzbeitrag bis 2020 auf 1,8 Prozent steigen könnte, ist daher nicht weit hergeholt. Klemens meint, dass bisher größere Beitragserhöhungen nur durch zwei Faktoren verhindert worden seien. Zum einen durch das politische Manöver mit den 1,5 Milliarden Euro zusätzlich auf dem Gesundheitsfonds, zum anderen mit den Mehreinnahmen. Diese entstehen seit einigen Jahren dadurch, dass immer mehr Menschen in Deutschland einen sozialversicherungspflichtigen Job finden und auch die beitragspflichtigen Löhne wieder stärker steigen, meint Klemens.


Welche Sofortmaßnahmen die Kassen fordern

Das wird nach Einschätzung der Kassen in Zukunft nicht mehr reichen, die durch die Politik ausgelösten Zusatzkosten zu decken. Daher verlangt der VdEK von der Politik vier Sofortmaßnahmen, um die Versicherten nicht mit dem erwarteten Kostenschub alleine zu lassen.

Finanzspritze aus den Reserven des Gesundheitsfonds

Nach den offiziellen Schätzungen wird der Gesundheitsfonds Ende 2017 immer noch Rücklagen von mehr als sieben Milliarden Euro haben – trotz der Sonderentnahme von 1,5 Milliarden Euro. Das ist deutlich mehr als die gesetzliche Mindestreserve von 4,8 Milliarden Euro. Daher sei es, so Klemens gerechtfertigt, 2018 erneut 1,5 Milliarden Euro zusätzlich an die Krankenkassen auszuschütten, um so höhere Zusatzbeiträge zu vermeiden. Dies ist nach Ansicht der Ersatzkassen auch deshalb gerechtfertigt, weil die Reserven wegen der aktuellen Niedrigzinsen im Moment keinerlei Zinsen bringen. Im Gegenteil: Wegen der Strafzinsen auf kurzfristige Anlagen gingen dem Gesundheitsfonds bereits 2015 1,8 Millionen Euro verloren. Für das Gesamtjahr 2016 wird sogar mit weiteren Zinsverlusten von 5,1 Millionen Euro gerechnet.

Rückkehr zum hälftigen Beitragssatz für Arbeitgeber und Arbeitnehmer

Doch mit der neuerlichen Entnahme von 1,5 Milliarden Euro aus den Reserven würde sich die Politik nur Zeit kaufen, bis die alleine von den Versicherten zu zahlenden Zusatzbeiträge dann doch deutlich steigen müssen. Die Ersatzkassen lehnen es aber wie die Gewerkschaften, SPD, Linke und Grüne ab, die Versicherten einseitig mit dem Anstieg der Gesundheitskosten zu belassen. „Wir müssen wieder dazu zurückkehren, dass Arbeitgeber und Versicherte je die Hälfte der gesamten Beitragslast tragen.“ Derzeit ist der Arbeitgeberanteil am Beitragssatz bei 7,3 Prozent eingefroren. Klemens ist sich, dass die Rückkehr zur Parität eine zentrale Rolle im heraufziehenden Bundestagswahlkampf spielen wird.

Kostendeckende Beiträge für Hartz IV Empfänger

Ginge es nach den Krankenkassen, käme auch ein weiteres Thema auf die Agenda für den Bundestagswahlkampf, bei dem die Beitragszahler zur Krankenversicherung derzeit unfair behandelt werden: die Finanzierung der Krankenversicherung für Hartz-IV-Empfänger. Hier hat sich die Lage durch den starken Flüchtlingszuwachs seit 2015 deutlich verschärft. Denn sobald Flüchtlinge arbeiten dürfen, aber keinen Job finden, werden sie automatisch zu Hartz-IV-Empfängern. Für die Bezahlung der Krankenkassenbeiträge ist dann theoretisch der Bund zuständig – doch der Staat zahlt nur einen Minibeitrag von unter 100 Euro im Monat. Das deckt nur einen Bruchteil der Behandlungskosten, die Krankenkassen zahlen damit derzeit pro Jahr über eine Milliarde drauf. Gäbe es diese ungerechte Zusatzbelastung der Versicherten nicht, könnte der Zusatzbeitrag entsprechend niedriger sein.

Fairer Finanzausgleich zwischen den Krankenkassen

Barmer und Co. sorgt es, wie fehlerhaft der 2009 eingeführten krankheitsorientierte Finanzausgleich zwischen den Krankenkassen ist: Die Kassen erhalten für jeden Versicherten aus dem Gesundheitsfonds eine nach Alter und Geschlecht gestaffelte Kopfpauschale. Hinzu kommen aber Zuschläge für jeden Versicherten, der Behandlungen für 80 jedes Jahr neu festgelegte Krankheiten erhält. Dieser Ausgleich sorgt seit seiner Einführung für Kritik, weil er dazu geführt hat, dass einige Krankenkassen immer reicher werden. Andere müssen dagegen hohe Zusatzbeiträge fordern, um über die Runden zu kommen. „So fehlten den Ersatzkassen 2015 am Jahresende 644 Millionen Euro, während die Ortskrankenkassen über eine Milliarde Euro mehr aus dem Gesundheitsfonds erhielten, als sie ausgegeben haben.“

Nachdem die Politik jahrelang grundlegende Reformen am Ausgleichssystem verweigert haben, ist sie inzwischen dazu bereit. Bis zum Herbst soll ein wissenschaftlicher Gutachten vorliegen, dass den Reformbedarf aufzeigt. So sollen in Zukunft Kassen, die ihre Versicherte vor allem in teuren Ballungszentren haben, zusätzliches Geld aus dem Fonds erhalten. Damit das überhaupt geht, soll ab 2018  die Ausgabenentwicklung wieder für jede Region gesondert erfasst werden. Ein entsprechendes Gesetz wird derzeit im Bundestag beraten. „Das ist viel zu spät“, sagt die hauptamtliche Vorstandschefin des VDEK, Ulrike Elsner. „Besser wäre es, diese Analyse schon im wissenschaftlichen Sondergutachten vorzunehmen.“ 

Die Daten dafür ließen sich leicht gewinnen, da die Krankenkassen ihre Versicherten schon heute wüssten in welchem Postleitzahlbezirk ihre Versicherten leben. „Es muss nur geregelt werden, dass die Bundesversicherungsamt diese Daten auch nutzen darf, um Regionalzuschläge zu berechnen.“  

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