EU-Pauschalreiserichtlinie Wirtschaft sieht Reisebüros in Gefahr

Ein neues Pauschalreisegesetz würde selbst kleinen Reisebüros enorme Haftungsrisiken aufbürden. Das stört den Wirtschaftsminister. Und auch die Wirtschaft schlägt Alarm. Sie will die Pläne des Justizministeriums kippen.

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Die Arbeit für Reisebüros, die Einzelleistungen für ihre Kundschaft zusammenstellen und verkaufen wollen, dürfte durch die neuen Regelungen aufwändiger werden. Quelle: dpa

Berlin Ein geplantes neues Reiserecht versetzt die Reisebranche in helle Aufregung „Für viele Reisebüros wäre all dies kaum zu schultern und somit sogar existenzbedrohend. Denn sie müssten sich fragen, ob ihr Geschäftsmodell in der bisherigen Form noch wirtschaftlich ist“, schlägt der Deutsche Reiseverband (DRV) Alarm. Adressat der Warnung ist Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD). Sein Ministerium muss die runderneuerte EU-Pauschalreiserichtlinie, die im vergangenen Herbst beschlossen wurde, bis 2018 in deutsches Recht übertragen. Doch schon am Referentenentwurf lässt die Wirtschaft kein gutes Haar.

„Sollte es bei der bestehenden Regelung bleiben, ist die Vermittlung von Einzelleistungen in stationären Reisebüros kaum noch möglich. Damit wäre die Zukunft von zahlreichen kleinen und mittelständischen Reisebüros sowie der damit verbundenen Arbeitsplätze gefährdet“, heißt es in einem Positionspapier des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK). Das könne aber vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt sein. Das Papier liegt dem Handelsblatt vor.

Eigentlich sollte die neue EU-Pauschalreiserichtlinie nur Gutes bewirken. Vor allem soll sie den Verbraucher unter anderem vor den Auswirkungen einer Insolvenz von Reiseanbietern schützen. Die Richtlinie strebt eine Vollharmonisierung des Reiserechts an. Die Politik in Deutschland hat daher auch kaum Spielräume bei der Umsetzung. Doch laut DIHK gibt es „wenige Möglichkeiten“, von der Richtlinie abzuweichen, um „mittelstandsfreundliche Wege“ zu finden. Das Bundesjustizministerium habe aber stattdessen, so die Kritik, in den aktuellen Referentenentwurf „zusätzliche Regelungen und Belastungen für die Unternehmen“ aufgenommen, kritisiert der Verband.

Selbst Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) hält die Pläne seines Parteifreundes Maas für inakzeptabel, wie aus dem Entwurf einer Stellungnahme des Wirtschaftsministeriums hervorgeht. In dem am 7. Juli verfassten Papier wird bemängelt, dass die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen im Binnenmarkt durch die geplanten Regelungen „beeinträchtigt“ und das Preisniveau von Pauschalreisen „spürbar ansteigen“ würden. Die Gesetzesänderungen führten sogar zu der „absurden Konsequenz, dass ein kleines Reisebüro ggfs. für die Insolvenz von Airlines geradestehen müsste“.

Wie die Wirtschaft kritisiert auch Gabriel, dass das Ministerium von Maas in seinem Referentenentwurf noch über die EU-Vorgaben hinausgeht. Der Entwurf sei „eine überschießende Umsetzung der Richtlinie“, heißt es im Brief aus dem Wirtschaftsministerium. Der Koalitionsvertrag schließe einen solchen Umgang mit Direktiven aus Brüssel ausdrücklich aus.


Milliardenschwerer Reisebüromarkt

Der DIHK ist auch der Ansicht, dass vom Koalitionsvertrag abgewichen wird und verlangt, problematische Regelungen aus dem Referentenentwurf zu tilgen. Bemängelt wird etwa, dass auch einzelne Reiseleistungen, etwa die Vermittlung von Ferienwohnungen, mit Pauschalreisen gleichgestellt werden sollen, sofern durch sie „Rahmen und Grundzüge der Reise vorgegeben sind“. „Mit der aktuellen Formulierung wird aber Tür und Tor dafür geöffnet, dass zukünftig fast alle Reiseleistungen als Pauschalreise angesehen werden, denn auch die einfache Hotelübernachtung oder eine Bahnfahrt geben den „Rahmen“ einer Reise vor“, warnt der DIHK.

Anbieter oder Vermittler solcher Einzelleistungen wären dann Reiseveranstalter, die „erheblichen Pflichten“ im Hinblick auf Information, Fürsorge, Insolvenzabsicherung unterlägen. „Hier sollte sich der Gesetzgeber auf den ursprünglichen Zweck der Regelung besinnen und nur „echte“ Pauschalreisen im Sinne der Richtlinie in das Gesetz aufnehmen.“

Kritisch sieht der DIHK auch die geplanten Regelungen bei der Vermittlung einzelner Reiseleistungen wie zum Beispiel der Buchung eines Fluges und eines Mietwagens durch einen Kunden. „Hier wird der Reisevermittler laut Richtlinie in Zukunft zum Anbieter „verbundener Reiseleistungen“ und unterliegt damit der Insolvenzabsicherung.“ Weise er alle Einzelleistungen beispielsweise in einer Gesamtrechnung aus, werde er sogar zum Reiseveranstalter. „In der Folge muss er dann wesentlich mehr Pflichten gegenüber dem Kunden erfüllen“, so der DIHK.

Vermeiden könnten die Reisebüros dies nur, wenn der Reisende die „Leistungen getrennt auswählt und bezahlt“. Dieses Vorgehen passe aber nicht zum „Entscheidungsverhalten der Kunden und der Beratungspraxis“. Der DIHK schlägt deshalb vor, einzelne Verträge mit verschiedenen Leistungserbringern, also Fluggesellschaft, Hotel, Mietwagenanbieter, zu erlauben.

In welchem Ausmaß die neue Regelung über die Vermittlung „verbundener Reiseleistungen“ Anwendung finden wird, ist derzeit „schwer abzuschätzen“, heißt es im Referentenentwurf. Das Justizministerium geht aber davon aus, dass 30 Prozent aller Urlaubsreisen auf diese Weise zustande kommen, also etwa 43,9 Millionen.

Der Reisebüromarkt profitiert von der Reiselust der Deutschen. Laut Deutschem Reiseverband entfielen im vergangenen Jahr auf das Touristikgeschäft 16,2 Milliarden Euro und auf den Bereich Geschäftsreise rund 7,5 Milliarden Euro. Der Gesamtumsatz aller Reisebüros lag mit 23,7 Milliarden Euro rund drei Prozent über dem hohen Vorjahresniveau. Die Anzahl der stationären Reisebüros ist 2015 auf insgesamt 9.880 (2014: 9.829) angestiegen.

Nun allerdings, so die Befürchtung der Branche, könnten Verbraucher durch die neuen Regeln abgeschreckt werden. Zumal, wie es heißt, das „besondere  Alleinstellungsmerkmal“ der Reisebüros, individuell auf Kundenwünsche einzugehen und die Reiseleistungen zu verkaufen, durch die EU-Vorgaben torpediert werde.


Justizministerium dämpft Hoffnungen der Reisebranche

Die Sorgen der Branche bestimmten auch maßgeblich die Anhörung im Justizministerium am Dienstag. Durch die Bank forderten die Teilnehmer das Ministerium zu Korrekturen des Referentenentwurfs auf. „Liegt es im Interesse des Gesetzgebers, neben dem flächendeckenden Sterben der  kleinen Bäckereien, Metzgereien und Handelsbetrieben in unseren Städten nicht auch noch das klassische Reisebüro aus dem Bild unserer Städte zu entfernen, müssen die  beabsichtigten Überregulierungen in Bezug auf Reisebüros und kleine Veranstalter zurückgenommen werden“, erklärte etwa der Bundesverband der Deutschen Tourismuswirtschaft (BTW).

Nötig seien daher „ausdrückliche klarstellende Regelungen“, um sicherzustellen, dass Reisebüros bei der Ausübung ihres Kerngeschäfts, der Vermittlung von  Reiseleistungen Dritter, nicht zu Veranstaltern würden. Ebenso wenig dürften Einzelreiseleistungen, gleichgültig ob Beherbergung oder Beförderung, in den Anwendungsbereich des Pauschalreiserechts fallen.

Der Deutsche Tourismusverband hält es zwar für sinnvoll, die Pauschalreiserichtlinie an das digitale Zeitalter anzupassen und  den Verbraucherschutz auszubauen und den Begriff der Pauschalreise zu präzisieren. Leider habe aber die Bundesregierung ihr Versprechen nicht eingelöst, bei der Reform auch die Belange der Tourismusbranche zu berücksichtigen. Ausgerechnet die Regelungen, bei denen der Richtlinientext nicht eins zu eins übernommen wurde, gingen zu Lasten der Branche. „Sollte der Gesetzesentwurf nicht nachgebessert werden, dann müssen viele kommunale Tourismusorganisationen ihre Geschäftstätigkeit entweder ganz einstellen oder aber ihr Dienstleistungsangebot deutlich reduzieren“, warnt die Hauptgeschäftsführerin des Verbands, Claudia Gilles, in einer Stellungnahme.

Mit großer Ernüchterung kommentierte der Bundesverband Selbständiger Reiseunternehmer die Gesetzespläne. „Aus  der  Sicht  der  kleinen  und  mittelständischen Reiseunternehmen ist das Kind leider bereits in den Brunnen gefallen und es muss ordentlich gestrampelt werden, um dort sofort unterzugehen“, erklärte der Verband. „Umso  wichtiger  sollte  es  sein,  den  Umsetzungsspielraum  bestmöglich  auszunutzen  und auch die grundsätzlich bestehenden Vorgaben der Richtlinie im Rahmen des Zulässigen hier  zu Gunsten der Betroffenen zu regeln.“

Allzu große Hoffnungen hat das Ministerium im Vorfeld gedämpft, zumal auch die anderen EU-Mitgliedsländer ihre Reise-Vorschriften, die noch aus dem Jahr 1990 stammen, entsprechend anpassen müssen. Damals steckte das kommerzielle Internet noch in den Kinderschuhen. Heute ist es gang und gäbe, seinen Urlaub im Internet zu buchen. Aus dem Ministerium hieß es, man sei derzeit in einem "konstruktiven Abstimmungsprozess" zu dem Thema mit den Verbänden, den Ländern und den betroffenen Ressorts. Allerdings gehe es um die Umsetzung einer EU-Richtlinie. Daher sei der Spielraum für Änderungen "sehr begrenzt", sagte ein Ministeriumssprecher dem Handelsblatt.


Koalition hält Nachbesserungen für möglich

Die Koalitionsfraktionen halten indes Nachbesserungen im Gesetzgebungsverfahren noch für möglich. „Wir werden bei der Umsetzung der EU-Pauschalreiserichtlinie in deutsches Recht die verbleibenden nationalen Spielräume nutzen“, sagte kürzlich die tourismuspolitische Sprecherin der Unions-Bundestagsfraktion, Daniela Ludwig (CDU), dem Handelsblatt. Insbesondere zu Haftungsfragen und den Fragen im Zusammenhang mit den sogenannten verbundenen Reiseleistungen werde es mit den betroffenen Verbänden einen „intensiven Dialog“ geben. „Am Ende der Diskussion muss es einen sinnvollen Kompromiss zwischen den berechtigten Interessen der Reisebranche und dem Verbraucherschutz geben“, sagte Ludwig. Der jetzige Entwurf enthalte bereits „positive Elemente“, wie beispielsweise der Einbeziehung von Online Buchungen, was in der bisherigen Richtlinie so nicht der Fall gewesen sei.

Auch die Tourismus-Expertin der SPD-Bundestagsfraktion, Gabriele Hiller-Ohm, sicherte  zu, im anstehenden parlamentarischen Verfahren die Frage der notwendigen Insolvenzabsicherung bei Pauschalreisen und verbundenen Reiseleistungen in den Blick zu nehmen. „Die Reisebüros benötigen Rechtssicherheit bei der Abgrenzung der Ausübung ihres Tagesgeschäftes als Vermittler oder Veranstalter“, betonte die SPD-Politikerin.

Die Grünen halten es indes für unausweichlich, bei den Haftungsregelungen bei verbundenen Reiseleistungen zu deutlichen Änderungen zu kommen. „Die Folgen sind von Seiten der Bundesregierung nicht konsequent zu Ende gedacht. Es besteht die Gefahr, dass viele kleine und mittelständische Reisebüros ihr Geschäft aufgrund von Haftungsrisiken und Dokumentationspflichten nicht mehr rentabel betreiben können“, sagte der Obmann für die Grünen im Tourismusausschuss, Markus Tressel, dem Handelsblatt.

Immerhin gibt der Koalitionsvertrag der Grünen-Einschätzung Recht. Dort heißt es unter der Überschrift „Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung“: „Gesetze müssen einfach, verständlich und zielgenau aus gestaltet werden, damit Bürokratielasten vermieden oder so gering wie  möglich gehalten werden.“ 

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