Europäischer Gerichtshof Wie die Richter den Europäern das Leben schwermachen

Als „Motor der Integration“ maßt sich der Europäische Gerichtshof eine politische Rolle an. Nicht nur viele Briten finden, dass die Luxemburger Richter den Bogen überspannt haben.

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Quelle: Getty Images

Die Fische in der Elbe haben gegen die Bundesrepublik Deutschland gewonnen. Der deutsche Staat hätte nämlich das Kraftwerk Hamburg-Moorburg der Firma Vattenfall 2008 nicht genehmigen dürfen, weil es mit dem Kühlwasser möglicherweise auch Fische ansauge, wie der Europäische Gerichtshof geurteilt hat (Urteil vom 26.04.2017, Az. C-142/16). Die Bundesrepublik hat demnach das europäische Vertragswerk verletzt, zu dem auch die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie von 1992 gehört. Geklagt gegen die Bundesrepublik Deutschland hatte kein Hamburger Umweltschutzverein, sondern die EU-Kommission in Brüssel.

Der europarechtliche Laie stellt sich, auch wenn er den Schutz von Fischen durchaus für ein legitimes Anliegen hält, eine grundsätzliche Frage: Warum kann oder muss die oberste gerichtliche Instanz der Europäischen Union, gegen die keine Revision möglich ist, über einen Fall entscheiden, der allein Deutschland, eigentlich sogar nur das Bundesland Hamburg betrifft? Werden EU-Richtlinien nicht ohnehin in nationales Recht überführt? Auch für die EU gilt schließlich doch das Subsidiaritätsprinzip, das in Artikel 5 des Maastricht-Vertrages festgehalten ist. Demnach wird die EU „in den Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, nur tätig, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen weder auf zentraler noch auf regionaler oder lokaler Ebene ausreichend verwirklicht werden können, sondern vielmehr wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen auf Unionsebene besser zu verwirklichen sind.“  

Ist das hier tatsächlich der Fall? Oder kommen neben dem Wohl der Fische in der Elbe auch andere Interessen zum Tragen? Etwa das Interesse der Kommission und des EuGH selbst, seine Zuständigkeit und damit Macht gegenüber nationalen und regionalen Instanzen zu demonstrieren. Das kann man zumindest vermuten, wenn man davon ausgeht, dass auch Richter Menschen mit Überzeugungen und Interessen sind.

Der Prozess gegen die deutsche Mitbestimmung vor dem Europäischen Gerichtshof wirft eine zentrale Frage auf: Sind EU-Institutionen dazu berechtigt, in alle nur denkbaren nationalen Politikfelder einzugreifen?

Man kann viele weitere Urteile und laufende Verfahren des EuGH anführen, die ähnlich grundlegende Fragen nach dessen politischer Rolle aufwerfen. Ist es zum Beispiel Sache der Luxemburger Richter zu entscheiden, wie Deutschland die Abschiebehaft abgelehnter Asylbewerber organisiert? Steht es den EuGH-Richtern zu, Deutschland zu verbieten, Sprachtests von aus dem Ausland nachziehenden Ehefrauen zu verlangen?

Demnächst steht in Luxemburg ein Urteil bevor, das möglicherweise die deutsche Mitbestimmung aushebeln könnte. Die Argumentation des klagenden TUI-Anteilseigners Konrad Erzberger erscheint abwegig: Weil Konzernmitarbeiter im europäischen Ausland nicht die Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat mitwählen dürfen, würden diese diskriminiert und in ihrem Recht auf Freizügigkeit eingeschränkt. Erzberger will deswegen den Aufsichtsrat allein von den Anteilseignern bestimmen lassen. Der Generalanwalt des EUGH hat sich in seinem gestrigen Schlussantrag zwar im Gegensatz zur EU-Kommission nicht auf Erzbergers Seite geschlagen. Doch wenn die Richter anderer Ansicht sind, steht möglicherweise das deutsche Betriebsverfassungsrecht zur Disposition. 

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