Ex-Bundesbank-Vorstand Helmut Schlesinger "Der kleine Falke"

Der ehemalige Bundesbank-Präsident sieht die Europäische Zentralbank auf einem falschen Weg.

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Helmut Schlesinger Quelle: Christof Mattes für WirtschaftsWoche

WirtschaftsWoche: Herr Professor Schlesinger, Sie waren Anfang der Neunzigerjahre Präsident der Deutschen Bundesbank, als der Euro auf den Weg gebracht worden ist. Was müsste der neue Bundesbank-Präsident, Jens Weidmann, konkret unternehmen, um der Europäischen Zentralbank (EZB) zu neuer Glaubwürdigkeit zu verhelfen?

Schlesinger: Er sollte sich dafür einsetzen, dass sie aufhört, Staatsanleihen zu kaufen. Die EZB könnte diese quantitative Lockerung jeden Tag stoppen.

Was ist daran so verkehrt?

Ziel dieser Aufkäufe ist, die Zinsen für hoch verschuldete Euro-Länder niedrig zu halten. Damit verfälscht die EZB Information, die der Markt über die Lage dieser Länder gibt. Daneben reduziert diese Form der Staatsfinanzierung den Zwang zur Stabilisierung in diesen Ländern. Aber schlimmer noch: Es ist die Methode der Kriegsfinanzierung Deutschlands im Ersten Weltkrieg, der Kriegsfinanzierung Deutschlands im Zweiten Weltkrieg und der Kriegsfinanzierung vieler anderer Länder. Ergebnis war überall Inflation oder Währungsreform. Selbst in den Siegerländern hat es bis zu zehn Jahre gedauert, bis der inflationäre Geldüberhang wieder mit der wirtschaftlichen Kapazität des eigenen Landes in Einklang gebracht werden konnte.

Immerhin behauptet die EZB, sie würde die per Anleihekauf geschaffenen Gelder an anderer Stelle wieder abschöpfen.

Dieser Hinweis belegt nur, dass die EZB weiß, dass sie solche Geschäfte nicht machen sollte. Das ändert aber nichts daran, dass sich die Zentralbankgeldmenge aufbläht und die Liquidität der Geschäftsbanken steigt. Eine Bindung der Gelder für acht Tage ist keine Neutralisierung. Denken Sie auch daran, dass die Notenbank den Geschäftsbanken schon seit zwei Jahren unbegrenzten Zugang zu Zentralbankgeld ermöglicht. Und wir haben das niedrigste Zinsniveau, das es jemals aus europäischer Sicht gegeben hat.

Sollte die EZB die Zinsen erhöhen?

Derzeit orientiert sich die Geldpolitik der EZB eher an der Situation der schwächsten Länder im Euro-Raum. In Deutschland schlägt sich die monetäre Ausweitung bereits in einer höherer Kreditvergabe der Banken an die Nichtbanken nieder. Das ist ja der eigentlich erwartete Effekt. In den Problemländern sehen wir diese Entwicklung noch nicht. Hier klemmt das monetäre Räderwerk – aber diese Blockade wird sich früher oder später lösen.

Steuern wir also direkt in die Inflation? Die Preissteigerung in der Euro-Zone liegt ja schon bei 2,4 Prozent.

Bis sich Inflation in steigenden Verbraucherpreisen zeigt, dauert es gewöhnlich lange. Doch das darf uns nicht in trügerischer Sicherheit wiegen. Wesentlich schneller zeigt sich Inflation in bestimmten Anlagepreisen. Der auch in Deutschland zu beobachtende Run auf Vermögenswerte wie Gold, Immobilien, Aktien, Kunstwerke oder Rohstoffe könnte ein Zeichen sein, dass dieser Prozess schon in Gang gekommen ist. In aller Regel aber enden solche Preisblasen in einem Crash, der dann auch auf Wachstum und Beschäftigung durchschlagen kann. Das haben wir zuletzt in der Finanzkrise 2007/08 erlebt.

Inmitten der Euro-Schuldenkrise tritt Bundesbank-Präsident Axel Weber zurück und gibt das Rennen um die Spitzenposition in der Europäischen Zentralbank (EZB) auf. Hat Sie das überrascht?

Ja, und ich bedaure das sehr – unabhängig von der Frage, ob Weber überhaupt Aussicht hatte, Nachfolger von EZB-Präsident Jean-Claude Trichet zu werden. Sein Problem – und das vieler anderer – beginnt im Mai 2010 mit dem Beschluss der EZB, Staatspapiere notleidender Euro-Staaten aufzukaufen. So etwas war der alten Bundesbank mit gutem Grund verboten. Diesem Beschluss haben er, Jürgen Stark und ein weiteres Mitglied des EZB-Rats widersprochen, aber die anderen hatten die Mehrheit.

Dem künftigen Bundesbank-Präsidenten Weidmann wäre zu wünschen, dass er dort eine Mehrheit von sogenannten Falken vorfindet, die für eine strikte Stabilitätspolitik eintritt.

Da erzähle ich Ihnen eine Geschichte über Tauben und Falken in der Bundesbank...

Gerne.

Auf dem Bundesbank-Gebäude nisteten zu meiner Zeit tatsächlich Turmfalken, aber es gab auch Tauben. Mit der Zeit nahm die Zahl der Falken ab, die der Tauben zu. Ein Vogelkundler erklärte, Tauben würden eben so viel Dreck machen, dass die Falken abhauen. Eines Tages entdeckte ich aber doch wieder einen kleinen Falken; es war die Zeit, in der Professor Otmar Issing in das Bundesbank-Direktorium kam. Die Lehre daraus ist, man darf die Hoffnung nie aufgeben. Der Kampf um die richtige Geldpolitik ist nicht verloren.

Helmut Schlesinger Quelle: Christof Mattes für WirtschaftsWoche

In Brüssel diskutieren die Finanzminister darüber, den EU-Rettungsfonds erheblich aufzustocken und die Befristung bis 2013 aufzuheben. Was halten Sie davon?

Von diesem Plan sind die Regierungen offensichtlich nicht abzubringen. Wenn das so ist, muss der Zugang zu den Mitteln sehr restriktiv und nur unter strikten Auflagen gehandhabt werden.

Ist der Fonds nun sinnvoll oder nicht?

Mir geht es auch dabei um die Konsequenzen für die Europäische Zentralbank. Würde zum Beispiel der Fonds Staatsanleihen kaufen, wäre das kurzfristig eine Entlastung für die EZB.

Und langfristig?

Da könnte man zum Beispiel auf die Idee kommen, die Hilfe der Notenbank doch wieder in Anspruch zu nehmen, wenn der Fonds seine Anleihen einmal nicht mehr so gut verkaufen kann. Würde man dann solche Papiere attraktiv machen, indem man erlaubt, sie bei den Zentralbanken gegen Liquidität einzutauschen, dann kämen die ganzen Risiken in einem noch höheren Umfang zurück. Insofern bezweifle ich, dass diese Lösung auf Dauer richtig ist. Es darf doch daraus kein Geschenk an die Finanzminister werden: Zu Hause schmieden sie Stabilitätspakte und schwören sich auf neue Schuldengrenzen ein – und dann finanzieren sie sich über den europäischen Fonds.

Wie wäre das zu verhindern?

Die Kreditaufnahmen dieses Fonds gegenüber müssten entsprechend den Haftungsanteilen der nationalen Staatsverschuldung zugerechnet werden. Geschieht das nicht, besteht die Gefahr der Umgehung der Schuldenbegrenzungen in den einzelnen Ländern.

Wie beurteilten Sie in den Neunzigerjahren das Vorhaben des Euro?

Anfangs hatte ich große Zweifel. Das wirtschaftliche Gefälle zwischen den Mitgliedstaaten ist schon immer groß gewesen, Europa war nie das ideale Gebiet für eine Währungsunion. Doch in Frankreich hieß es: Entweder das gemeinsame Geld schafft das geeinte Europa – oder es wird keines geben. Wir Notenbanken haben damals versucht, bei der Konstruktion der Währungs- und Wirtschaftsunion im Vertrag von Maastricht allen Befürchtungen Rechnung zu tragen, die wir uns vorstellen konnten. Allerdings hatte ich nicht damit gerechnet, dass die drohende Zahlungsunfähigkeit eines Staates einmal die Währungsunion gefährden könnte.

Nun versucht Bundeskanzlerin Angela Merkel, die Euro-Länder durch einen Pakt für Wettbewerbsfähigkeit in einen funktionierenden Währungsraum zu zwingen. Kann das klappen?

Gegen die Vorschläge im Einzelnen – Abschaffung der Lohnindexierung, Angleichung des Rentenalters und Harmonisierung der Steuerbemessungsbasis – ist nichts einzuwenden. Das darf man dann aber nicht auf die Euro-Zone beschränken, denn es gibt ja noch viele Länder in der EU, die dem Euro noch beitreten sollen. Die darf man nicht außen vor lassen.

Glauben Sie wirklich, das reicht?

Da sind wir wieder bei der Frage nach dem idealen Währungsraum. Es gab ja anfangs die Vorstellung, die Euro-Länder würden sich infolge der Abschaffung der Wechselkurse wirtschaftlich angleichen. Aber eher war das Gegenteil der Fall, weil es zunächst zu einer Angleichung der Zinsen auf niedrigem Niveau kam und die Märkte der No-Bail-out-Klausel im Grunde keinen Glauben schenkten. Das hat zu einer gewaltigen Kreditexpansion in bestimmten Ländern geführt, und die Menschen haben sich damit Häuser, Autos, Schwimmbäder und Yachten gekauft. Dabei handelt es sich auch um ein Marktversagen, weil die einzelnen Länderrisiken nicht beachtet wurden. Jetzt versucht die Politik die Anpassung von oben zu exekutieren.

Kann das funktionieren?

Schlesinger: In der Frage „Macht oder ökonomisches Gesetz“ entscheidet letztlich die Ökonomie. 

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