Exzesse der Kümmerpolitik Spielen mit Staatsknete

Seite 3/3

Eigeninteresse der Regierenden

Der Journalist Walter Wüllenweber hat 2012 ein erstaunliches Buch geschrieben. Es heißt  „Die Asozialen“ und zeigt auf Basis gründlicher Recherchen und sehr anschaulich, dass die immer zahlreicheren Hilfsprogramme nicht funktionieren. Weil sie auf einem falschen, unrealistischen, sozialdemokratischen Menschenbild basieren: der Vorstellung des aufstiegswilligen, mündigen Bürgers, der Hilfe nur solange beansprucht, bis er auf eigenen Füßen steht. Doch tatsächlich verleitet das Überangebot an Hilfe zum Gegenteil: der Ausprägung einer Anspruchshaltung und des dauerhaften Beleidigtseins. Ein Objekt der Hilfsbereitschaft anderer Menschen zu sein, kratzt nämlich an der Selbstachtung. Umso größer wird dadurch das Verlangen, sich „Respekt“ – in allen Hartz-IV-Hochburgen ein Schlüsselbegriff – mit anderen als friedlichen Mitteln zu verschaffen.

Natürlich wollen Staatssekretär Kleindiek, seine Ministerin Manuela Schwesig und all die Anbieter von Spielmobilen und anderen Produkten der auf Wachstumskurs segelnden Betreuungsindustrie nur das Beste für ihre mehr oder weniger hilfsbedürftigen Kunden. Man tut das alles schließlich „für die Menschen“.

Doch mindestens ebenso wichtig wie deren Bedürfnisse dürften ihnen die eigenen sein. Darum ist nicht davon auszugehen, dass die Politiker, Ministerialbeamten oder die Helfer vor Ort irgendwann von selbst zu dem Schluss kommen, dass keine 88 neuen „Projekte gegen Armut und Ausgrenzung“ mehr nötig seien (Pressemitteilung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 22.02.2016). Eine parlamentarische Staatssekretärin wie Gabriele Lösekrug-Möller aus dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales würde sich schließlich ihrer eigenen politischen Bedeutung berauben. Rund ein Drittel der Bundestagsabgeordneten und viele ehemalige, so Wüllenweber, haben Posten oder Funktionen in der Betreuungsindustrie. Gegen diese Lobby kommt man schwer an.

Wüllenweber ist am Ende seines Buches ratlos, weil er keinen Ausweg aufzeigen kann. Letztlich gibt es wohl doch einen: Diejenigen, die die Rechnung bezahlen, müssen diejenigen, die ihr Geld ausgeben, zwingen, es bleiben zu lassen. Die Kontrolle über die öffentlichen Ausgaben stand am Anfang der Demokratie und des freiheitlich verfassten Staates. Wird Zeit, dass man sich daran erinnert.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%