Facebook-Gesetz „Testballon für die EU-Kommission“

Der Bundestag wird das umstrittene Gesetz gegen Hass im Internet diese Woche beschließen. Die Grünen warnen vor neuen Problemen wegen der strengen Regeln und machen dafür den zuständigen Minister verantwortlich.

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Gut gemeint, aber schlecht gemacht? Die Kritik am Facebook-Gesetz von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) reißt nicht ab. Quelle: dpa

Berlin Am Ende ging dann doch alles ganz schnell. Nachdem sich die Große Koalition auf etliche Änderungen verständigt hat, kann nunmehr eines der umstrittensten Gesetzesvorhaben in dieser Legislaturperiode noch vor Beginn der parlamentarischen Sommerpause im Bundestag beschlossen werden.

Das sogenannte Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD), das am 1. Oktober in Kraft treten soll, wird erhebliche Auswirkungen auf Internetplattformen wie Facebook haben. Sie sollen zu einem strikteren Umgang mit Hasskommentaren, strafbaren Falschnachrichten und sonstigen strafbaren Inhalten gezwungen werden. Dazu zählen etwa Beleidigung, üble Nachrede, Verleumdung, die öffentliche Aufforderung zu Straftaten, Volksverhetzung, Gewaltdarstellungen und Bedrohungen. Auf die letzten Details verständigten sich die Fraktionen von Union und SPD in den vergangenen Tagen. So sollen E-Mail- und Messengerdienste nicht betroffen sein.

Die Vorsitzende des Bundestags-Rechtsausschusses, Renate Künast (Grüne) sprach von zentralen Weichenstellungen für das digitale Zeitalter. „Deutschland steht dabei unter internationaler Beobachtung, die Europäische Kommission sieht das deutsche Gesetz als Testballon“, sagte Künast dem Handelsblatt. „Trotzdem peitscht Bundesminister Maas dieses weitreichende Gesetz durch den Bundestag.“

Die EU-Kommission hatte indes das entschiedene Vorgehen der Bundesregierung gegen Hass und Hetze im Internet vor wenigen Wochen schon gutgeheißen. Hass und radikale Propaganda hätten weder online noch offline einen Platz in unserer Gesellschaft, sagte ein Kommissionssprecher seinerzeit. Deshalb werde die Behörde auch nicht gegen das geplante Gesetz in dieser Sache vorgehen: „Die Kommission hat nicht die Absicht, den deutschen Gesetzentwurf zu blockieren.“

Andererseits sieht Brüssel auch keine Veranlassung für strengere Gesetze, weil dadurch womöglich die Möglichkeit bestehe, die Meinungsfreiheit einzuschränken. Hintergrund sind Zahlen der EU-Kommission zum Umgang der Online-Plattformen mit Hasskommentaren, die Anfang Juni veröffentlicht wurden. Demnach nahmen die Unternehmen Facebook, Twitter und Youtube zuletzt doppelt so oft beanstandete Texte von ihren Seiten wie noch vor sechs Monaten. Überdurchschnittlich gut reagierten die sozialen Netzwerke im Schnitt auf aus Deutschland gemeldete Hasskommentare. Im Unternehmensvergleich schnitt EU-weit Facebook am besten ab, gefolgt von Youtube und Twitter.

Die Zahlen sind Teil einer Zwischenbilanz, die zeigen soll, ob ein 2016 vereinbarter Verhaltenskodex die erhoffte Wirkung bringt. Mit der Unterzeichnung haben sich Facebook, Twitter, YouTube und Microsoft freiwillig verpflichtet, stärker gegen Hasskriminalität im Internet vorzugehen. „Die Ergebnisse unserer zweiten Bewertung des Verhaltenskodex sind ermutigend“, sagte seinerzeit die zuständige EU-Kommissarin Věra Jourová. Sie zeigten auch, dass ein „selbstregulierender Ansatz“ funktionieren könne.

Die Regierungskoalition in Deutschland sieht das anders. Daher kommt jetzt auch das Gesetz. Wesentliche Änderungen am Entwurf hatte der Rechtsausschuss am gestrigen Mittwoch beschlossen.


Kritikpunkte und Änderungsvorschläge

Ein vom Ausschuss gebilligter Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen greift Kritikpunkte und Änderungsvorschläge auf, die unter anderem in einer Expertenanhörung sowie vom Bundesrat vorgebracht worden waren. Der Gesetzentwurf der Fraktionen CDU/CSU und SPD hat das Ziel, Internet-Plattformen wie Facebook und Twitter zu einer schnelleren und wirksameren Löschung strafbarer Inhalte zu zwingen.

Die Pflicht der Plattform-Betreiber, offensichtlich strafbare Inhalte innerhalb von 24 Stunden zu löschen, soll nach dem Willen des Rechtsausschusses bleiben. Dagegen sieht die geänderte Fassung bei Inhalten, deren Rechtswidrigkeit nicht offensichtlich ist, Ausnahmen von der ansonsten geltenden Sieben-Tages-Frist vor. Eine Überschreitung soll insbesondere möglich sein, wenn begründet mehr Zeit für die rechtliche Prüfung benötigt wird. So soll Overblocking, also die vorsorgliche Sperrung von möglicherweise gar nicht strafbaren Inhalten, vermieden werden.

Wesentlichste Änderung ist die Möglichkeit für Plattform-Betreiber, die Entscheidung über nicht offensichtlich rechtswidrige Inhalte an eine Art freiwilliger Selbstkontrolle zu delegieren, in der Gesetzessprache an eine „anerkannte Einrichtung der regulierten Selbstregulierung“. Reguliert deshalb, weil die Einrichtung gesetzliche Kriterien erfüllen, staatlich zugelassen und vom Bundesamt für Justiz überwacht sein muss. Unter anderem müssen in ihren Entscheidungsgremien die Landesmedienanstalten vertreten sein. Die Vorschriften im Netzwerkdurchsetzungsgesetzes zur regulierten Selbstregulierung orientieren sich an geltenden Bestimmungen im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag.

In der geänderten Fassung werden zudem die sogenannten Sozialen Netzwerke, für die das Gesetz gelten soll, genauer definiert. So soll sichergestellt werden, dass beispielsweise berufliche Netzwerke, Fachportale, Online-Spiele und Verkaufsplattformen nicht in den Anwendungsbereich des Gesetzes fallen. Außerdem soll eine Schwelle von mindestens zwei Millionen registrierten Nutzern in Deutschland verhindern, dass Start-Ups durch das Gesetz in ihrer Entwicklung behindert werden. Auch bei den Berichtspflichten sieht die geänderte Fassung Einschränkungen zugunsten von Start-Ups vor.

Der so geänderten Fassung des Gesetzentwurfs stimmten im Rechtsausschuss die Vertreter von CDU/CSU und SPD zu. Die Linke stimmte dagegen, insbesondere weil sie die Gefahr des Overblocking immer noch gegeben sieht. Die Grünen votierten mit Enthaltung und begründeten dies damit, dass durch die sehr kurzfristige Einbringung des Änderungsantrags und dessen nochmalige Abänderung am Tag der Ausschusssitzung keine geordnete parlamentarische Befassung möglich gewesen sei.

Künast sieht durch das Gesetz wichtige Grundrechte bedroht. „Grundlegender Schwachpunkt des Gesetzes bleibt ein fehlendes Verfahren, um zu Unrecht gelöschte Inhalte wieder einzustellen, Betroffene anzuhören und Einsprüche zu bearbeiten“, sagte die Grünen-Politikerin. „Damit greift das Gesetz einseitig in die Meinungsfreiheit ein.“

Klar sei daher, „dass das Gesetz in der Umsetzung Probleme bereiten wird, da nicht sorgfältig gearbeitet wurde“. Einige „fahrlässige Handwerksfehler“ seien in den letzten Tagen im Eiltempo bereinigt worden. Dennoch dürfte es ihrer Einschätzung wohl noch zu juristischen Auseinandersetzungen über das Gesetz kommen. „Einige Unternehmen der Internetwirtschaft haben bereits gerichtliche Schritte angekündigt.“

Dahinter steht die Ansicht, dass die Bundesregierung für ein Gesetz womöglich gar nicht zuständig ist. „Die von zahlreichen Kritikern ebenso wie von uns erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken, ob der Bund über die nötige Kompetenz zu einem solchen Gesetz überhaupt verfügt, bestehen nach wie vor“, sagte Oliver Süme, Vorstands des Verbands der Internetwirtschaft (Eco), dem Handelsblatt. „Es ist davon auszugehen, dass diese Fragestellungen gerichtlich geklärt werden müssen.“

Der Streit zeigt aus Sicht Künasts denn auch, dass der Kampf gegen Hasskommentare nicht nur mit Löschregeln beizukommen sei. „Wir brauchen eine breite gesellschaftliche Debatte, auch nach der Bundestagswahl.“

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