Fahrverbote, Klimaprämie, Elektrifizierung Wettlauf um die Diesel-Lösung

Die Diesel-Affäre nagt am Vertrauen von vielen Käufern und stellt die Zukunft einer tragenden Technologie in Frage. Ein Bund-Länder-Gipfel mit den Konzernen soll Schlimmeres abwenden. Doch welche Lösung ist die Richtige?

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Was wird aus dem Diesel? Ein Spitzentreffen soll Klarheit über die Zukunft dieser Antriebstechnologie bringen. Quelle: dpa

Berlin Wenn es für eine Schlüsselbranche der Republik eng wird, lässt das die Politik selten kalt.  Das war in der globalen Finanzkrise so, als manche Bank in Schieflage zu geraten drohte. Und das ist auch jetzt beim Diesel-Abgasskandal so. Das Ausmaß der Krise, die zudem von Kartellvorwürfen gegen die Autobauer überlagert wird, lässt sich noch nicht absehen.

Dass aber einiges auf dem Spiel zu stehen scheint, lässt sich schon daran erkennen, dass etwa der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) seinen Urlaub unterbricht, um nach Düsseldorf zu eilen. Einen Tag vor dem Diesel-Gipfel am morgigen Mittwoch in Berlin mit neun Landesregierungschefs, diversen Bundesministern und den Autokonzern-Chefs will er seine Sicht auf die Probleme darlegen – und Lösungen skizzieren.

Es ist quasi die letzte Gelegenheit für Laschet, vor dem Spitzentreffen in Berlin noch eigene Akzente zu setzen. Zumal der Wettlauf um Lösungen für die Diesel-Problematik längst im Gange ist. Bayerns Finanzminister Markus Söder brachte die Brisanz der Lage für sein Bundesland Anfang der Woche auf den Punkt. „Die Autoindustrie ist die Schlüsselbranche in Bayern“, sagte Söder in München. „Wenn die Autohersteller Schwierigkeiten haben, dann hat Bayern Schwierigkeiten.“ Und andere Länder eben auch.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) sieht im Dieselskandal schon eine Staatskrise, weil  große Teile der deutschen Wirtschaft bedroht seien. Daher seien dringend alle erforderlichen Maßnahmen nötig, „um möglichst rasch und möglichst konsequent die nachhaltige Verkehrswende einzuleiten – bevor die Dämme brechen“.

Handlungsbedarf in der Diesel-Frage besteht schon seit Jahren. Denn in der Europäischen Union gelten seit 2010 für Feinstaub und Schadstoffe wie Stickstoffdioxid (No2) Grenzwerte zur Luftreinhaltung. In Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Spanien und Italien wird das Limit von 40 Mikrogramm je Kubikmeter wiederholt überschritten. Deshalb droht die EU-Kommission den Ländern mit Klagen vor dem Europäischen Gerichtshof. Auch die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hat auf Basis dieser Vorschriften gegen die Luftreinhaltepläne von 16 Städten geklagt. Und zuletzt Recht bekommen.

Das Verwaltungsgericht Stuttgart urteilte dieser Tage, dass die Nachrüstungen älterer Diesel-Motoren, wie sie die Landesregierung in Baden-Württemberg anstrebt, nicht ausreichten. Gesundheitsschutz sei höher zu bewerten als die Interessen der Diesel-Fahrer, argumentierte der Richter. Das Land dürfe sich daher bei der Luftreinhaltung nicht darauf verlassen, dass die Autoindustrie handelt. Fahrverbote seien das wirksamste Mittel, um die seit Jahren hohe Belastung mit giftigem Stickstoffdioxid zu reduzieren.

Das Urteil wiegt für die Politik im Ländle umso schwerer, als Stuttgart deutschlandweit als „Hauptstadt der Luftverschmutzung“ gilt, gleichzeitig aber auch wirtschaftlich enorm von seiner Autoindustrie profitiert. Daher versuchte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) schon vor Monaten gegenzusteuern. Gemeinsam mit den Autobauern will er in einer strategischen Partnerschaft die Zeitenwende hin zur Elektromobilität angehen.

„Es steht viel auf dem Spiel“, sagte Kretschmann im Mai nach einem Treffen mit Akteuren der Industrie in Stuttgart. Der Automobilstandort Baden-Württemberg müsse seine Vorreiterrolle behaupten und auch Arbeitsplätze im Land halten. Nun müsse es „schnell“ gehen und die Maßnahmen müssten „zielführend“ sein. Denn der Wandel vollziehe sich in „rasendem Tempo“. Kretschmann sprach von einem gemeinsamen Dialog zwischen Politik und Industrie, der dauerhaft sein solle.

Der vorläufige Höhepunkt dieses Dialogs ist der Diesel-Gipfel. Die Marschrichtung gab Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) vor: „Wir wollen die Emissionen deutschlandweit senken. Aufgabe des Nationalen Forums Diesel wird es sein, die Diskussion über die Optimierung von Dieselfahrzeugen zu bündeln. Ziel ist es, wirksame Maßnahmen zur Reduzierung der Schadstoffemissionen bei Diesel-Pkw zu erreichen.“ Zwar solle es bei dem Forum auch um nachhaltige Mobilität und den Strukturwandel in der Automobilwirtschaft gehen, wie Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) sagte, die den Gipfel gemeinsam mit Dobrindt veranstaltet. Aber de facto dürfte es zunächst darum gehen, den Diesel zu erhalten. Noch.


„Ohne den Diesel werden Weltklimaziele 2020 nicht eingehalten“

Diese Strategie verfolgen auch die „Autoländer“ Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Niedersachen, wie ein gemeinsam verfasstes Positionspapier der Regierungschefs zur Zukunft der Automobilindustrie zeigt. Darin setzen sich die Regierungschefs zwar dafür ein, den durch Elektrifizierung und Digitalisierung bedingten Wandel der Automobilindustrie „zügig und koordiniert“ zu gestalten.

Allerdings betonen die Länderchefs auch, dass die „moderne und saubere Dieseltechnologie“ gerade im Hinblick auf die CO2-Reduktion zur Einhaltung der Klimaziele neben Fahrzeugen mit alternativen Antrieben „noch auf Jahre eine wichtige Rolle“ spiele. „Wir streben deshalb einen beschleunigten Flottenwechsel hin zu Diesel-Fahrzeugen mit deutlich geringeren Stickstoffoxid-Emissionen im Realbetrieb an“, heißt es in dem Papier.

Konkreter wurden die Länder-Regierungschefs am Wochenende. Laschet etwa warb in einem Gastbeitrag für die „Bild am Sonntag“ für die Rettung des Diesels, weil die neueste Diesel-Generation „die umweltfreundlichste Verbrennungstechnologie“ sei. „Ohne den Diesel werden wir die Weltklimaziele 2020 nicht einhalten können.“ Denn wenn die Diesel-Zulassungszahlen zurückgingen und der Verkauf von Benzinern ansteige, stiegen auch die CO2-Emissionen.

Laschets Lösung: Schnelle Beschlüsse zur Senkung der Stickoxide durch Umrüstung, um den Wertverlust für Diesel-Fahrzeuge zu stoppen. „Die Autofahrer“, betont er, „dürfen nicht die Zeche zahlen“. In NRW hat der Autobauer Ford einen Standort. Mehr als 18.000 Menschen arbeiten in einem Werk in Köln.

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) stieß in dasselbe Horn. Er schlug sogar Anreize für den Umstieg auf Dieselautos der Abgasnorm Euro 6 oder Elektroautos vor. Denkbar seien steuerliche Anreize oder eine Art Klimaprämie, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Weil ist auch Aufsichtsrat von VW, wo Niedersachsen Aktionär ist.

Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) brachte im „Spiegel“ eine Reduzierung der Kfz-Steuer für moderne Euro-6-Diesel ins Gespräch. Zudem sprach er sich für einen staatlichen Fonds für die Umrüstung von Bussen oder Taxen aus. Konkret geht es um ein Maßnahmenpaket im Wert von einer halben Milliarde Euro, mit dem die Bundesregierung drohende Fahrverbote in Städten abwenden will. Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) hatte entsprechende Handelsblatt-Informationen bestätigt.

Beim Diesel-Gipfel mit den Vertretern der Industrie werde man über verschiedene Säulen sprechen. Eine davon sei die Umrüstung der Fahrzeuge, um den Schadstoffausstoß zu verringern. Eine andere sei ein Fonds in dreistelliger Millionenhöhe. Aus Regierungskreisen hieß es, dass der Bund und die Automobilhersteller jeweils 250 Millionen Euro einzahlen sollen.

Die Bundesregierung sieht sich auch deshalb zum Handeln verpflichtet, weil sie befürchtet, die Preise für gebrauchte Dieselfahrzeuge könnten abstürzen. Denn die dadurch geschädigten Fahrzeugbesitzer sind allesamt Wähler. 15 Millionen Diesel sind auf den Straßen unterwegs, nur 18 Prozent von ihnen erfüllen die höchste Abgasnorm. Die anderen Halter fragen sich, wie viel ihr Auto noch wert ist, ob sie sich noch ein neues Auto kaufen sollen – und wenn ja, mit welchem Antrieb.

Unter Hochdruck verhandeln daher die Beamten des Verkehrsministeriums mit der Branche nach der Maxime „Dieselfahrverbote vermeiden“. Das Geld aus dem Fonds sollen Kommunen mit mehr als 100.000 Einwohnern abrufen können. In den Genuss kämen damit 79 Großstädte. Wie es hieß, soll mit dem Geld auch die Umrüstung und der Kauf von Bussen und anderen kommunalen Fahrzeugen wie die der Müllabfuhr gefördert werden. Auch emissionsmindernde Maßnahmen wie eine effektive Verkehrssteuerung werden unterstützt.

Die Zeit drängt, nachdem die EU-Kommission 28 Gebiete in Deutschland mit Luftreinhaltungsmängeln auflistete. Darunter sind die Ballungsräume Berlin, München, Stuttgart und Hamburg. Auch in Köln, Düsseldorf und fast allen größeren Städten in Nordrhein-Westfalen besteht das Problem. Das Umweltbundesamt hat im vergangenen Jahr in fast 50 Städten zu hohe Belastungen gemessen, häufig nur an einzelnen Plätzen und Straßen. Stuttgart ist mit seiner Kessellage besonders betroffen und plant ab 2018 Fahrverbote an Tagen mit hoher Schadstoffbelastung auf bestimmten Straßen. Für Lieferverkehr, Taxis oder Handwerker soll es Ausnahmen geben.

In Bayern nahm die Landesregierung das Heft des Handelns in die Hand, nachdem der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) ebenfalls Überlegungen über ein Fahrverbot für Dieselautos in der Landeshauptstadt angestellt hatte. Hintergrund ist ein Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom März, wonach der Freistaat für die Landeshauptstadt bis zum Ende des Jahres unter anderem mögliche Fahrverbote für Dieselfahrzeuge vorbereiten muss.

Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) lud daraufhin die bayerischen Autohersteller Audi und BMW zu einem Gespräch, um Möglichkeiten der Luftreinhaltung auszuloten. Mitte Juli beschloss dann die Staatsregierung mehrere Einzelmaßnahmen, um die Luftverschmutzung in den Städten zu verringern. Insbesondere in den großen Städten soll die Schadstoffbelastung durch Diesel-Fahrzeuge rasch gesenkt werden.


Bayern sieht sich als Vorreiter für bundesweite Lösung

Konkret setzt die Staatsregierung auf eine zügige Nachrüstung von Euro-5-Dieselautos, Kaufanreize für neue Diesel-Fahrzeuge, eine massive Stärkung des öffentlichen Nahverkehrs sowie des Radverkehrs und einen schnelleren Ausbau der Elektromobilität. Geplant sind beispielsweise Fördermaßnahmen für die Modernisierung von Bussen.

Die Umrüstung älterer Diesel-Fahrzeuge soll laut Staatsregierung von den Autoherstellern bezahlt werden. Zur Abwendung drohender Diesel-Fahrverbote hatten die bayerischen Autohersteller Audi und BMW angekündigt, die Hälfte ihrer in Deutschland zugelassenen Euro-5-Diesel technisch nachzurüsten. Damit soll der Ausstoß gesundheitsschädlicher Stickoxide gesenkt werden.

Bayerns Wirtschaftsministerin llse Aigner (CSU) plädiert nun dafür, alle deutschen Autokonzerne nach dem Vorbild Bayerns zur Luftreinhaltung  zu verpflichten. „Ich erwarte, dass unsere Vorschläge auf Bundesebene umgesetzt werden“, sagte Aigner dem Handelsblatt mit Blick auf den Diesel-Gipfel. Dazu gehöre, dass die Hersteller Dieselfahrzeuge auf eigene Kosten umrüsten. Die bayerischen Hersteller hätten sich dazu bereit erklärt, nun müssten bei dem Spitzentreffen in Berlin auch die anderen Anbieter wie Daimler und Volkswagen nachziehen.

Aigner warb auch dafür, kommunale Fahrzeuge umzurüsten. Die im Gespräch befindlichen 500 Millionen Euro seien dazu allemal nötig. „Die brauchen wir auch“, sagte Aigner. „Mit dem Geld aus dem Fonds sollten die innerstädtischen Flotten umgestellt werden, wie Räum-, Kehr-, Müllfahrzeuge und Busse.“ Dies sei besser, als „die Pendler ins Visier zu nehmen“, sagte Aigner.

Noch ist aber offen, auf welche Art Diesel-Umrüstung die Konzerne bereit sind, sich einzulassen. Umweltministerin Hendricks hat bereits deutlich gemacht, dass eine Software-Nachbesserung nur ein erster Schritt sein kann. Sie fordert, dass die Autobauer die Fahrzeuge in einem weiteren Schritt auch bei der Hardware nachrüsten, also technische Umbauten vornehmen. Das ist teurer. Von den Autobauern werden deshalb auf dem Gipfel Aussagen erwartet, wann und wie sie dazu in der Lage sind. Vor allem dürfen die Umrüstmaßnahmen den Verbraucher nichts kosten, so eine weitere Forderung der Politik.

Die Autobauer möchten jedoch den Aufwand am liebsten auf die Nachrüstung älterer Selbstzünder per Software-Update beschränken. Daimler hat angekündigt, europaweit drei Millionen Diesel-Fahrzeuge mit der älteren Abgasnorm Euro 5 und dem neueren Standard Euro 6 in die Werkstätten zu rufen.

Volkswagen will sogar vier Millionen Wagen in die Werkstätten rufen. Darin sind bereits die 2,6 Millionen Autos enthalten, die die Wolfsburger ohnehin wegen des Dieselskandals in Deutschland mit einer neuen Software nachrüsten müssen. Die VW-Tochter Audi hat zudem bereits europaweit die Umrüstung von bis zu 850.000 Fahrzeugen versprochen, von denen ein Großteil auf Deutschland entfällt. Hinzu kämen rund 600.000 Fahrzeuge mit der älteren Euro-5-Abgasnorm, die ebenfalls nachgerüstet werden sollen.

Die Politik scheint indes nicht gewillt, sich hinhalten zu lassen. Die „Salamitaktik“ der Autobauer sei erkennbar gescheitert, sagte Bayerns Finanzminister Söder. Sie müssten nun alle Fakten auf den Tisch legen. „Wir brauchen die richtige Balance zwischen Gesundheitsbelangen und dem Schutz der Autobranche.“

Die Signale, die die Politik jetzt aussendet, sind unmissverständlich. Ob sie auch entsprechende Konsequenzen nach sich ziehen und ein Umdenken bei den Autobauern bewirken, muss sich erst noch erweisen. Aussagen von Daimler-Chef Dieter Zetsche nach dem Mai-Treffen mit dem Stuttgarter Grünen-Regierungschef Kretschmann machen Hoffnung. Er sprach von Chancen, die miteinander angegangen werden müssten. Denn: „Autobauen ist ein Mannschaftssport.“ Und der Wandel gehe weit über neue Antriebe hinaus.

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