Fall Jan Böhmermann Bundesregierung lässt Strafverfolgung zu

Tagelang lässt die Regierung den Satiriker Böhmermann zappeln und prüft den türkischen Wunsch, wegen Beleidigung von Staatschef Erdogan Gerichte einzuschalten. Jetzt sagt die Kanzlerin: Die Justiz soll entscheiden. Den Koalitionspartner macht das nicht glücklich.

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Bundeskanzlerin Angela Merkel Quelle: AP

Der Weg für ein gesondertes Strafverfahren gegen den TV-Moderator Jan Böhmermann wegen seines „Schmähgedichts“ über den türkischen Staatschefs Recep Tayyip Erdogan ist frei. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) gab einem entsprechenden Wunsch der Türkei am Freitag in Berlin statt. Sie kündigte zugleich an, dass der Paragraf 103 des Strafgesetzbuchs (StGB) zur Beleidigung ausländischer Staatsoberhäupter - die Grundlage der Entscheidung - noch in dieser Legislaturperiode abgeschafft werden soll. Er sei „für die Zukunft entbehrlich“.

Die von Merkel vertretene Entscheidung ist innerhalb der schwarz-roten Bundesregierung allerdings umstritten. Die Kanzlerin verwies auf „unterschiedliche Auffassungen“ zwischen den Koalitionspartnern Union und SPD. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann teilte auf Twitter mit: „Ich halte die Entscheidung für falsch. Strafverfolgung von Satire wegen „Majestätsbeleidigung“ passt nicht in moderne Demokratie.“

Merkel sagte in ihrer Erklärung im Kanzleramt: „Im Rechtsstaat ist es nicht Sache der Regierung, sondern von Staatsanwaltschaften und Gerichten, das Persönlichkeitsrecht und andere Belange gegen die Presse- und Kunstfreiheit abzuwägen.“ In Deutschland solle nicht die Regierung, sondern die Justiz das letzte Wort haben.

Böhmermann hatte Ende März in seiner satirischen TV-Show „Neo Magazin Royale“ (ZDF) ein Gedicht vorgetragen, in dem er den türkischen Präsidenten mit drastischen Worten angriff. Dies sorgte in der Türkei für große Empörung. Die Bundesregierung hatte Erdogans Wunsch nach einem gesonderten Strafverfahren tagelang geprüft. An der Entscheidung waren neben Merkel und Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) auch das Auswärtige Amt sowie das Innen- und das Justizministerium beteiligt.

Kritiker werfen der Bundesregierung vor, wegen der Zusammenarbeit der EU mit der Türkei in der Flüchtlingskrise zu viel Rücksicht auf Ankara zu nehmen. Merkel kritisierte am Freitag den Umgang Ankaras mit Presse- und Kunstfreiheit.

Nach Paragraf 103 StGB muss, wer einen ausländischen Staatschef beleidigt, in Deutschland mit bis zu drei Jahren Haft oder einer Geldstrafe rechnen. Ist Verleumdung im Spiel, drohen sogar bis zu fünf Jahre Freiheitsentzug.

Das sagen Türken in Deutschland zum Fall Böhmermann

Merkel betonte, im Rechtsstaat bedeute die Erteilung einer Ermächtigung bei diesem speziellen Delikt „weder eine Vorverurteilung des Betroffenen noch eine vorgreifende Entscheidung über Grenzen der Kunst-, Presse- und Meinungsfreiheit“. Es bedeute lediglich, dass die rechtliche Prüfung der unabhängigen Justiz überantwortet werde - „und nicht die Regierung, sondern Staatsanwaltschaften und Gerichte das letzte Wort haben werden“. Die Regierung werde die Ermächtigung in diesem konkreten Fall „genau in diesem und keinem anderen Gesamtrahmen“ erteilen.

Nach eigener Darstellung wollte Böhmermann den Unterschied zwischen erlaubter Satire und Schmähkritik aufzeigen. Dazu trug er ein Gedicht vor, das unter anderem von Sex mit Tieren und Kinderpornografie handelte und Klischees über Türken transportierte. Außerdem wurde an einer Stelle die Unterdrückung von Minderheiten erwähnt.

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