Fall Jan Böhmermann Angela Merkel hat richtig entschieden

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Merkel hätte schweigen sollen

So richtig Merkels Entscheidung an diesem Freitag war, so falsch war ihr Verhalten in den Tagen zuvor. Sie hat dem türkischen Ministerpräsidenten in einem Telefonat gesagt, das Gedicht sei „bewusst verletzend“ gewesen. Ihr Sprecher hatte das in der vergangenen Woche als Hauptbotschaft der Kanzlerin in der Öffentlichkeit vorgetragen.

Warum hat sie das getan? Sie hätte in der Öffentlichkeit schweigen sollen. Und wenn sie sich schon äußert, darf die De-Facto-Entschuldigung an Recep Tayyip Erdoğan nicht der Kern der Botschaft sein. Insofern ist die Kanzlerin nicht zu bemitleiden. Sie ist für ihre Lage selbst verantwortlich. Erdogan hat Merkels Schwäche erkannt und ausgenutzt – ein Machiavellist erster Klasse.

Erdogan will seinen eigenen Bürgern demonstrieren, wie mächtig er ist, dass er deutsche Gerichte und selbst die Bundesregierung vor sich hertreiben kann. Dieses Signal geht ebenfalls von Merkels Entscheidung aus. Das ist bitter, aber so ist es eben manchmal im Rechtsstaat. Und im Übrigen: Sollte ein Gericht Erdogan nicht recht geben, stünde der Präsident blamiert dar – in Deutschland und in der Türkei. Ob er dieses Spiel gewinnt, ist also längst noch nicht entschieden.

Für Böhmermann stehen mehrere Verfahren an

Der Fall Böhmermann beschäftigt Deutschland jetzt seit über einer Woche. Ein Ende ist nicht absehbar. Gegen Böhmermann wird zusätzlich wegen Beleidigung nach Paragraph 185 ermittelt, es stehen also mehrere Verfahren an, die Wochen oder Monate dauern könnten.

Auch politisch bleibt die Lage heikel. Die Kanzlerin hat bei ihrer Pressekonferenz westliche Werte wie die Meinungs-, Presse- und Kunstfreiheit zurecht betont. Sie hat die Türkei dafür kritisiert, dass sie Medien und Journalisten drangsaliert. Die Auseinandersetzung mit der Türkei geht also unvermindert weiter, einem Land, das unser wichtigster Partner zur Lösung der Flüchtlingskrise geworden ist. Diese permanente Diskussion wird anstrengend. Denn machen wir uns nichts vor. Eine Türkei unter Erdogan wird sich nicht mehr zu der Demokratie entwickeln, die wir uns vorstellen.

Innenpolitisch wird es nicht minder anstrengend. Angela Merkel hat gegen die SPD entschieden. Alle sozialdemokratischen Minister lehnen die Entscheidung der Kanzlerin ab, de facto ein Misstrauensvotum gegen die Regierungschefin. Sollte sich die Krise weiterzuspitzen und womöglich außer Kontrolle geraten, droht eine Regierungskrise.

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