Familiennachzug für Flüchtlinge Asylpaket II – ein rechtliches Desaster

Streit beigelegt: Die Koalition einigt sich auf das Asylpaket II. Doch der Entwurf verstößt gegen mehrere Konventionen und das Grundgesetz. Das könnte viele Klagen nach sich ziehen. Doch Berlin dürfte das egal sein.

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Ein Junge unterhält sich mit einem Polizisten. Künftig dürfen nicht mehr alle minderjährigen Flüchtlinge ihre Familien nachholen. Quelle: dpa

Düsseldorf Die Koalition hat sich auf einen Kompromiss zum Asylpaket II geeinigt: Die Aussetzung des Familiennachzugs gilt demnach auch für minderjährige Flüchtlinge. Ausnahmen gibt es nur in Härtefällen. Damit legen SPD und Union einen wochenlangen Streit bei.

Grund war ein veränderter Paragraf in der endgültigen Fassung des Asylpakets. Darin heißt es, dass auch unbegleitete minderjährige Flüchtlinge ihre Familie nicht nachholen dürfen. Das hatte unter anderem die SPD gefordert.

Doch auch wenn der Streit beigelegt ist, könnte das Asylpaket II der Bundesregierung noch viel Ärger einbringen – vor allen Dingen vor Gericht. Viele Organisationen – beispielsweise das Deutsche Institut für Menschenrechte – kritisieren, dass mit einem entsprechenden Beschluss gleich mehrere Gesetze und Konventionen gebrochen werden, darunter die Uno-Kinderrechtskonvention und das Grundgesetz.

Das geplante Gesetzespaket hebele nach Ansicht der Kritiker ein angemessenes und faires Asylverfahren aus und schränke den Familiennachzug nachhaltig ein. Zudem akzeptiere es medizinische Abschiebehindernisse nicht mehr.

Besonders kritisch sehen die Organisationen und Rechtsexperten die Änderungen zum Familiennachzug im Asylpaket II, eben den Punkt, der sowieso für Verstimmung innerhalb der Koalition gesorgt hat.

Darin wird geregelt, dass Flüchtlinge, die nur einen subsidiären Schutz genießen, also kein Grundrecht auf Asyl und keinen Schutzstatus nach der Genfer Flüchtlingskonvention haben, ihre Familien in den nächsten zwei Jahren nicht nach Deutschland holen dürfen. Dazu gehören nach der verabschiedeten

Für Hendrik Cremer vom Deutschen Institut für Menschenrechte ist diese Fassung ein klarer Verstoß gegen die Uno-Kinderrechtskonvention. Dort heißt es in Paragraph 10, dass die Vertragspartner sich dazu zu verpflichten, Familienzusammenführungen „wohlwollend, human und beschleunigt“ zu bearbeiten. „Mit der pauschalen Aussetzung für zwei Jahre verstößt Deutschland ganz klar gegen diese Konvention“, sagt Cremer. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Deutschen Institut für Menschenrechte, einer unabhängigen Menschenrechtsinstitution mit Sitz in Berlin. „De Facto sind die Kinder wegen des Asylverfahrens und des Verfahrens zur Familienzusammenführung sogar noch länger von ihrer Familie getrennt.“ 

Die Bundesregierung dürfte das allerdings wenig interessieren. Die Uno hat bei Verstößen gegen die Vorschriften keine Sanktionierungsmöglichkeiten. Sie kann lediglich eine Verletzung der Menschenrechte feststellen und öffentlich Kritik daran üben. Interessant könnte aber sein, dass sie herangezogen wird, wenn es darum geht, wie das Recht auf Familienleben im Grundgesetz oder der Europäischen Menschenrechtskonvention zu interpretieren ist, so Cremer. „Das Gesetz wird also in der Rechtspraxis auch an der Uno-Kinderrechtskonvention zu messen sein.“


Entschädigungen könnten fällig werden

Kritischer wird es bei Verstößen gegen die EU-Menschenrechtskonvention und das Grundgesetz. Besonders letzteres könnte der Bundesregierung noch gefährlich werden. Darin heißt es in Artikel 6, dass eine Trennung des Kindes von seinen Eltern nur dann stattfinden darf, wenn entweder die Erziehungsberechtigten versagen oder die Kinder zu verwahrlosen drohen. Fälle, die durch den Familiennachzug nicht gegeben sind.

Sollte das Gesetz in der aktuellen Fassung verabschiedet werden, wären Benachteiligte also berechtigt dagegen zu klagen. Eine endgültige Entscheidung wird dann voraussichtlich erst vor dem Verfassungsgericht und die auch erst nach mehreren Jahren fallen. Solange dauert es im Normalfall, bis ein Prozess durch alle Instanzen der deutschen Justiz geht. Einzige Ausnahme: Einem Eilrechtsschutzverfahren wird stattgegeben. Ob das möglich ist, ist unter Juristen allerdings umstritten.

Betroffenen bleibt demnach nicht viel mehr übrig, als die zwei Jahre abzuwarten. Bis dahin soll das Gesetz vorerst gelten. Einzige Hoffnung sind dann die Instanzen der EU. Da das geplante Gesetzespaket auch gegen die europäische Menschenrechtskonvention verstoße, könnten Betroffene vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte klagen, sagt Cremer.

Haben die Betroffenen dort Erfolg, könnte die EU Deutschland dazu auffordern, das Gesetz zu ändern. Des Weiteren könnten Entschädigungszahlungen an die Betroffenen fällig werden. Doch auch das würde dauern. Im Normalfall mehrere Jahre. Bis dahin wäre die Gesetzesänderung sowieso erloschen.

Und auch ob die Regierung die Zahlung von Entschädigungen tatsächlich schmerzen würde, darf bezweifelt werden. Auf Summen wie in amerikanischen Hollywood-Streifen können Betroffene nicht hoffen. Die Zahlung sind nämlich nur als Entschädigung und nicht als Sanktion gedacht und fallen dementsprechend eher niedrig aus. Sollten die Kritiker Recht behalten, bliebe ein rechtliches Desaster.

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