FDP-Dreikönigstreffen Lindner versucht den Spagat

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„Liberale Wirtschaftspolitik muss einen Anspruch haben“

Als zweites Beispiel nennt Lindner die Offenheit für technologische Chancen, ohne die Rechte der Bürger zu gefährden oder einzuschränken. Die elektronische Patientenakte sei sinnvoll, damit im Notfall bekannt ist, welche Diagnose der Mensch habe und im Normalfall Doppeluntersuchungen vermieden werden könnten.

Aber alles müsse so geregelt werden, dass der Patient die Hoheit über seine Daten behalte. Niemals dürfe es passieren, postuliert Lindner, „dass eine Versicherung die DNA ausliest und danach ihren Tarif kalkuliert“. Bei allen technologischen Veränderungen sei entscheidend, dass die Bürger „selbstbestimmt die Vorteile der Digitalisierung nutzen“.

Nicht neu ist Lindners Klage, dass Deutschlands Bürokratie den technischen Fortschritt behindere. „Der deutsche Steve Jobs wäre bereits an der Baunutzungsverordnung seiner Garage gescheitert. Ich will nicht in einem Land leben, das mehr Bedenken als Garagen hat.“

Er beobachte eine zunehmende Entfremdung gegenüber der industriellen Basis des Landes. Die Lautstärke des Protestes entscheide oft über eine Technologie, nicht das wissenschaftlich geprüfte Argument. „In Deutschland ist schon das Wort Fracking giftiger als die Technologie selbst. Es ist unverantwortlich nicht wissen zu wollen, welche Chancen diese Technologie bietet.“

Die größten Ökonomen
Adam Smith, Karl Marx, John Maynard Keynes und Milton Friedman: Die größten Wirtschafts-Denker der Neuzeit im Überblick.
Gustav Stolper war Gründer und Herausgeber der Zeitschrift "Der deutsche Volkswirt", dem publizistischen Vorläufer der WirtschaftsWoche. Er schrieb gege die große Depression, kurzsichtige Wirtschaftspolitik, den Versailler Vertrag, gegen die Unheil bringende Sparpolitik des Reichskanzlers Brüning und die Inflationspolitik des John Maynard Keynes, vor allem aber gegen die Nationalsozialisten. Quelle: Bundesarchiv, Bild 146-2006-0113 / CC-BY-SA
Der österreichische Ökonom Ludwig von Mises hat in seinen Arbeiten zur Geld- und Konjunkturtheorie bereits in den Zwanzigerjahren gezeigt, wie eine übermäßige Geld- und Kreditexpansion eine mit Fehlinvestitionen verbundene Blase auslöst, deren Platzen in einen Teufelskreislauf führt. Mises wies nach, dass Änderungen des Geldumlaufs nicht nur – wie die Klassiker behaupteten – die Preise, sondern auch die Umlaufgeschwindigkeit sowie das reale Produktionsvolumen beeinflussen. Zudem reagieren die Preise nicht synchron, sondern in unterschiedlichem Tempo und Ausmaß auf Änderungen der Geldmenge. Das verschiebt die Preisrelationen, beeinträchtigt die Signalfunktion der Preise und führt zu Fehlallokationen. Quelle: Mises Institute, Auburn, Alabama, USA
Gary Becker hat die mikroökonomische Theorie revolutioniert, indem er ihre Grenzen niederriss. In seinen Arbeiten schafft er einen unkonventionellen Brückenschlag zwischen Ökonomie, Psychologie und Soziologie und gilt als einer der wichtigsten Vertreter der „Rational-Choice-Theorie“. Entgegen dem aktuellen volkswirtschaftlichen Mainstream, der den Homo oeconomicus für tot erklärt, glaubt Becker unverdrossen an die Rationalität des Menschen. Seine Grundthese gleicht der von Adam Smith, dem Urvater der Nationalökonomie: Jeder Mensch strebt danach, seinen individuellen Nutzen zu maximieren. Dazu wägt er – oft unbewusst – in jeder Lebens- und Entscheidungssituation ab, welche Alternativen es gibt und welche Nutzen und Kosten diese verursachen. Für Becker gilt dies nicht nur bei wirtschaftlichen Fragen wie einem Jobwechsel oder Hauskauf, sondern gerade auch im zwischenmenschlichen Bereich – Heirat, Scheidung, Ausbildung, Kinderzahl – sowie bei sozialen und gesellschaftlichen Phänomenen wie Diskriminierung, Drogensucht oder Kriminalität. Quelle: dpa
Jeder Student der Volkswirtschaft kommt an Robert Mundell nicht vorbei: Der 79-jährige gehört zu den bedeutendsten Makroökonomen des vergangenen Jahrhunderts. Der Kanadier entwickelte zahlreiche Standardmodelle – unter anderem die Theorie der optimalen Währungsräume -, entwarf für die USA das Wirtschaftsmodell der Reaganomics und gilt als Vordenker der europäischen Währungsunion. 1999 bekam für seine Grundlagenforschung zu Wechselkurssystemen den Nobelpreis. Der exzentrische Ökonom lebt heute in einem abgelegenen Schloss in Italien. Quelle: dpa
Der Ökonom, Historiker und Soziologe Werner Sombart (1863-1941) stand in der Tradition der Historischen Schule (Gustav Schmoller, Karl Bücher) und stellte geschichtliche Erfahrungen, kollektive Bewusstheiten und institutionelle Konstellationen, die den Handlungsspielraum des Menschen bedingen in den Mittelpunkt seiner Überlegungen. In seinen Schriften versuchte er zu erklären, wie das kapitalistische System  entstanden ist. Mit seinen Gedanken eckte er durchaus an: Seine Verehrung und gleichzeitige Verachtung für Marx, seine widersprüchliche Haltung zum Judentum. Eine seiner großen Stärken war seine erzählerische Kraft. Quelle: dpa
Amartya Sen Quelle: dpa

Schließlich müsse die FDP auch wieder für mehr Wettbewerb eintreten. So müsse der neue Taxi-Wettbewerber Uber in den deutschen Markt kommen können. Viele Kollegen in der Parteiführung hätten ihn vor diesem Vorstoß gewarnt, schließlich sei das Taxigewerbe gut organisierter Mittelstand.

„Aber liberale Wirtschaftspolitik muss einen anderen Anspruch haben“, ruft der Parteivorsitzende. „Wir können keiner Branche ihre Zukunft garantieren. Aber wir können fairen Wettbewerb organisieren. Damit die Menschen entscheiden können zwischen Newcomern und Etablierten.“

Zum Abschluss wendet sich Lindner entschieden gegen die Alternativ für Deutschland und die Pegida-Bewegung. Die Sorgen der Menschen müsse man ernstnehmen, denn man könne „den Bürgern ihre Alltagsbeobachtung nicht gelingender Integration nicht ausreden. Wer die Menschen, die Sorgen haben, pauschal als Nazis in Nadelstreifen beschimpft, der treibt sie in die Arme der falschen Leute.“ Mit den Pegida-Organisatoren und der AfD hätten die Freidemokraten nichts gemein. „Welches Abendland verteidigen die denn da? Das Abendland, das ich kenne, ist geprägt durch die Aufklärung und unsere wunderbare liberale Verfassung.“

Radikale Eiferer von allen Seiten müssten gestoppt werden. Entsprechend fordert Lindner von „den Muslimen in unserem Land, dass sie sich gegen jede Form des Extremismus wenden“. Es sei nicht zu tolerieren, wenn Salafisten bei Grillfesten in der Bonner Rheinaue Gotteskrieger für den Dschihad rekrutierten. „Salafisten und Pegida gefährden gleichermaßen die Offenheit der Gesellschaft.“

Gerade eine liberale Partei dürfe es nicht zulassen, dass mit Ressentiments Politik gemacht werde, wenn Islam gleich Islamismus gesetzt werde. „Wer ist dann der nächste? Die Zahnärzte, weil sie sich angeblich die Taschen vollmachen? Das kinderlose Paar? Wer heute wegschaut, kann morgen schon das nächste Opfer sein.“

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