Der Mann könnte es sich jetzt leicht machen und den jungen Leuten genau das sagen, was sie hören wollen, gewissermaßen zu den T-Shirts sprechen, die sich im lichtdurchfluteten Coworking Space in Berlin-Mitte versammelt haben. Er müsste nur sagen, dass Digitalisierung die Chance schlechthin für Deutschland sei. Dass unser Land dringend Gründer brauche, die sich unerschrocken auf den Weg in neue Zeitalter machen.
Aber er sagt nichts dergleichen, im Gegenteil: Michael Theurer, Landeschef der Freien Demokraten in Baden-Württemberg, mahnt zur Vorsicht und klingt dabei so robust wie einst Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD): „Wir dürfen nicht zulassen, dass der digitale Tsunami unseren deutschen Mittelstand wegfegt.“ Der digitale Wandel lasse sich nicht aufhalten, gibt er zu. Aber doch durchaus gestalten: „Dafür müssen wir endlich Regeln entwickeln.“
Theurer, 50, Halbglatze, spricht diese Worte in gemütlichem Schwäbisch. Und das ist nicht der einzige Kontrast zum geschliffenen Hochdeutsch seines Parteichefs Christian Lindner. Der hat die FDP als politisches Start-up programmiert. Lindner ließ Plakate mit dem Slogan „German Mut“ drucken und spricht gerne von einem „Update“ für Deutschland. Digitaler Wandel ist für Lindner vor allem ein Zukunftsversprechen – und das hat sich für ihn ausgezahlt. In Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein hat seine Partei triumphiert, in bundesweiten Umfragen liegt sie mittlerweile wieder klar über der Fünf-Prozent-Hürde.
Ergebnisse der FDP bei Bundestagswahlen
1949 startet die FDP mit 11,9 Prozent der Wählerstimmen.
Quelle: Statista/Bundeswahlleiter 2015
Immer noch fast 10 Prozent der Wähler können sich für die Liberalen begeistern: 9,5 Prozent.
1957 bekam die FDP einen Stimmenanteil von 7,7 Prozent.
12,8 Prozent der Wähler stimmen für die FDP. Das ist das zweitbeste Wahlergebnis für die Partei auf Bundesebene überhaupt.
Das gleiche Ergebnis wie 12 Jahre zuvor: 9,5 Prozent der Stimmen entfallen auf die Freien Demokraten.
Acht Jahre nach dem zweitbesten Wahlergebnis auf Bundesebene fährt die FDP das zweitschlechteste ein: Nur 5,8 Prozent der Wähler stimmen für die Liberalen.
Die FDP kommt auf einen Stimmenanteil von 8,5 Prozent.
Die FDP bekommt 7,9 Prozent der Stimmen.
Fünfmal knackte die FDP (Stand: 2015) bei Bundestagswahlen bisher die 10-Prozent-Marke: 1949, 1961, 1980 (10,6 Prozent) und 2009.
1983 bekommt die FDP 7 Prozent der Stimmen.
Die Liberalen bekommen 9,1 Prozent der Stimmen.
11,7 Prozent der Wählerstimmen gehen an die Freien Demokraten.
Die FDP kommt auf 6,9 Prozent der Stimmen.
Leichte Verluste: 6,2 Prozent der Wähler stimmen für die Liberalen.
Immerhin 7,4 Prozent der Wählerstimmen kann die FDP holen.
Die FDP schnellt hoch auf 9,8 Prozent.
Die Bundestagswahl 2009: Vorläufiger Höhepunkt der FDP. 14,6 Prozent der Wähler stimmen für sie.
Nach dem Höhe- der Tiefpunkt: Die FDP stürzt ab, schafft die Fünf-Prozent-Hürde nicht (4,8 Prozent) - zum ersten Mal seit 1949 sitzen die Liberalen nicht im Bundestag.
Wie passt das zu Theurers Worten? Sehr gut, findet er selbst und hat mit Lindner die Arbeitsteilung genau besprochen. Die geht so: Der FDP-Chef spricht über das Wachstum von morgen, Theurer über das von heute, erwirtschaftet von Familienunternehmen und Kaufleuten. „Wir dürfen die klassischen Mittelständler nicht aus den Augen verlieren“, sagt er. Schließlich seien viele von denen besorgt, ihr Geschäftsmodell könne durch die Digitalisierung wegbrechen: „Ich scheue mich nicht, diese Ängste zu artikulieren.“
Also umarmt Theurer die moderne FDP, deswegen ist er auch zu diesem Termin nach Berlin-Mitte gekommen. Aber er will zugleich in eine Rolle schlüpfen, die verwaist ist, seit die FDP im Herbst 2013 aus dem Bundestag flog: die Rolle von Rainer Brüderle. Ein Vierteljahrhundert lang hatte sich der Pfälzer für die Belange kleiner und mittlerer Unternehmen eingesetzt. Erst als Landesminister in Rheinland-Pfalz, später als Bundeswirtschaftsminister in Berlin. Brüderle war eine Identifikationsfigur.
„Die Mittelständler kamen mit mir gut klar, weil ich ihre Sprache gesprochen habe“, erinnert sich Brüderle, 71, der in der Lindner-Partei keine Rolle mehr spielt – und sich immer noch nicht ganz davon erholt hat, dass ihm von einer Berliner Reporterin im Jahr 2013 eine plumpe Anmache („Sie können ein Dirndl auch ausfüllen“) unterstellt wurde.
Aber Brüderle macht sich weiter Gedanken um seine Partei. Ein aalglatter Unternehmensberater, davon ist er überzeugt, falle bei traditionellen Anhängern der Liberalen durch: „Wir brauchen Typen, die den richtigen Ton für Mittelständler treffen.“
Das weiß auch Lindner. Umso mehr, weil andere bekannte Gesichter seiner neuen Führungsriege – etwa der Innenpolitiker Wolfgang Kubicki und der Außenpolitiker Alexander Graf Lambsdorff – eher nicht für Wirtschaftskompetenz stehen.
Deswegen setzt der Parteichef nun auf Theurer, er soll Lindners neuer Brüderle werden. Die passende Biografie bringt Theurer mit: Sein Vater war Apotheker, der Großvater hatte eine Drogerie, der Urgroßvater eine Glaserei. Mit 27 wurde Theurer jüngster Oberbürgermeister Deutschlands. 14 Jahre lang stand er an der Spitze von Horb am Neckar, rund 50 Kilometer von Stuttgart entfernt. In seiner Amtszeit stieg die Beschäftigungsquote um 25 Prozent, er verwaltete ein kleines Wirtschaftswunder.