FDP Mit Glück vier Jahre Bewährung

Der neue FDP-Spitzenkandidat für die NRW-Wahlen, Christian Lindner, führt einen doppelten Kampf: für das Überleben des politischen Liberalismus und für die eigene Zukunft in seiner Partei.

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Auserkoren, um ein Wunder zu schaffen: Christian Lindner, der FDP-Spitzenkandidat für die NRW-Wahlen. Quelle: dpa

Wiedergutmachung und Resozialisierung, das sind Kernbegriffe liberaler Strafrechtspolitik. Warum also diese nicht mal auf einen prominenten Parteifreund anwenden?

Zur Wiedereingliederung in die Gemeinschaft ist Christian Lindner ausersehen, vor gerade mal drei Monaten unter unschönen Umständen zurückgetretener Generalsekretär der FDP-Bundespartei. Er soll nun in den nächsten zwei Monaten als Spitzenkandidat das Wunder schaffen und die Liberalen von derzeit zwei Prozent in den Umfragen bis zum Wahltag über die Fünf-Prozent-Hürde schleppen. Gelingt ihm das, hat er zwar erstmal vier Jahre in der voraussichtlichen Opposition im Düsseldorfer Landtag vor sich, aber auch die Scharte ausgewetzt, die sein Rücktritt in der eigenen politischen Biographie hinterlassen hatte.

Viele FDP-Mitglieder und erst recht die Funktionäre kreideten dem 33-Jährigen an, dass er zwei Tage vor Ende des Mitgliederentscheids zum Eurorettungskurs Knall auf Fall von seinem Amt als Generalsekretär zurücktrat. Statt wenigstens das Ende der Befragung abzuwarten und dann würdevoll das Weite zu suchen, ließ er die Partei demonstrativ im Stich.

Der Hintergrund: Lindner hatte den Glauben daran verloren, dass die Rettung der FDP mit dem Vorsitzenden Philipp Rösler zu schaffen sei. An dem seiner Meinung nach aussichtslosen Unterfangen wollte er nicht in einer – menschlichen wie politischen - Nähe teilnehmen, das auch seine weitere Zukunft schwer belasten könnte. Freilich wäre auch ein Abgang in loyalerer Form möglich gewesen, beispielsweise, indem Lindner drei Tage später – nach offiziellem Ende des Mitgliederentscheids – seinen Rücktritt erklärt hätte. Bei einem Scheitern, indem er honorig die Verantwortung übernommen hätte; oder nach dem – tatsächlich eingetretenen - Erfolg der Parteiführung mit der Erklärung, damit sei seine Aufgabe erfüllt.

Der Gesundheitsminister muss Posten abgeben

Die FDP wird ihre Wahlkampagne als Existenzkampf der einzig liberalen Partei in Deutschland führen. Das ist gar nicht so falsch. Quelle: dpa

Mit der Spitzenkandidatur in Nordrhein-Westfalen kann Lindner nun auf einen Schlag den Makel seines abrupten Abgangs wieder wettmachen. Diese Chance kommt für ihn unverhofft. Er hatte sich gerade erst auf den mühsamen Weg gemacht, sich eine neue Machtbasis aufzubauen. Die Übernahme des Vorsitzes im Bezirksverband Köln sollte der Grundstein dafür sein. Der Posten war freigeworden, nachdem der langjährige Chef Werner Hoyer von seinem Staatsministerposten im Auswärtigen Amt auf den Präsidentenstuhl der Europäischen Entwicklungsbank gewechselt war. Plötzlich war die Personalnot groß, und die Kölner Mitglieder nahmen Lindners Bewerbung dankbar an. Denn dass die Zeiten für die FDP bald besser werden würden, glaubte niemand. Da wäre es schon gut, ein rhetorisches Talent an die Spitze zu stellen. Und der Bezirksverband Köln ist nicht irgendeine Gliederung der Freidemokraten, sondern der größte Deutschlands.

Liberalismus adé? Mehr als fünf Prozent wollen das nicht

Jetzt geht Lindner aufs Ganze. Zusätzlich zu der Spitzenkandidatur übernimmt Lindner nun auch den Vorsitz der nordrhein-westfälischen Landespartei. Diesen rapiden Machtzuwachs hat er dem bisherigen Chef Daniel Bahr abgetrotzt. Der wollte gern Gesundheitsminister in Berlin bleiben und sich nicht in das Abenteuer Landtagskandidatur stürzen. Nicht nur, dass er sich stets für die Bundespolitik entschieden hatte. Nun hatte er sich der Erwartungen aus der eigenen Truppe zu erwehren, dass ein Vorsitzender in der schwersten Stunde auch an der Spitze in den Kampf ziehen müsste. Insofern sind Kommentierungen, Bahr habe auf die Spitzenkandidatur „verzichtet“ eine groteske Verniedlichung. Er hatte gekniffen und musste dies mit der Hergabe des Landesvorsitzes bezahlen.

Noch sehen die Umfragen für – nun - Lindners Liberale miserabel aus. Spannend wird die Frage, ob der 33-Jährige mit dem sanften Blick, der deshalb in der Partei den Spitznamen „Bambi“ kassierte, innerhalb von zwei Monaten die Stammklientel so weit mit der Partei versöhnen kann, dass sie ein Scheitern verhindern. Die FDP wird ihre Wahlkampagne als Existenzkampf der einzig liberalen Partei in Deutschland führen – was ja so falsch gar nicht ist. Dass diese politische Richtung untergeht, so das Kalkül, das werden fünf Prozent der Wähler schon nicht wollen.

Christian Lindner bekommt nun vier Jahre auf Bewährung – wenn er alles gibt und Glück hat. Wenn nicht, ist die Chance schon in 60 Tagen wieder vorbei.

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