FDP-Parteitag in Berlin Die Alternative zur Alternative

Die FDP ist zurück: Nach Wahlerfolgen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz finden die Liberalen zurück zu alter Stärke. In Berlin positioniert sich die Partei als CDU-Alternative – allerdings ohne Protest-Anstrich.

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Seine Partei strotzt im Moment vor Zuversicht. Quelle: dpa

Berlin Wahlen auf Parteitagen zählen gemeinhin nicht zu den Lieblingsprogrammpunkten eines Vorsitzenden. Sigmar Gabriel kann das bestätigen, der SPD-Chef erhielt zuletzt nur noch 74 Prozent der Delegiertenstimmen. Christian Lindner hingegen dürfte es sogar ausdrücklich bedauern, dass seine FDP auf ihrem Bundesparteitag in Berlin an diesem Wochenende nur über Konzepte abstimmen, nicht aber über ihr Spitzenpersonal. Das Ergebnis wäre wohl ähnlich gut ausgefallen wie in Nordrhein-Westfalen, wo Lindner vor zwei Wochen mit 98 Prozent als Landesvorsitzender bestätigt wurde.

Der 37-jährige Parteichef und seine Liberalen spüren kräftig Aufwind nach den jüngsten Landtagswahlen, „Luft unter den Flügeln“, wie ein Mitglied der Parteispitze sagt. In Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz sind sie mit 8,3 und 6,2 Prozent souverän in die Landtage eingezogen, in Sachsen-Anhalt aus schwieriger Ausgangslage nur knapp gescheitert. In Mainz stellen die Liberalen in der Ampelkoalition mit Volker Wissing künftig sogar den neuen Superminister für Wirtschaft, Verkehr und Landwirtschaft. Und kehren damit an die Macht zurück, knapp zwei Jahre, nachdem in Sachsen die letzten liberalen Minister ihre Ämter verloren hatten.

Damals, in den Monaten nach ihrem Rauswurf aus dem Bundestag, schien der Apo-Partei die Bedeutungslosigkeit zu blühen. Inzwischen ist sie wieder da – und strotzt vor Zuversicht. Während Christ- und Sozialdemokraten betreten auf ihre sinkenden Umfragewerte blicken, klettern die Liberalen bundesweit auf sieben Prozent. Lindner liebäugelt sogar schon mit zweistelligen Wahlergebnissen.

Nach der AfD sind die Liberalen damit zweiter Profiteur der Unzufriedenheit vieler Wähler mit der großen Koalition. „Wir sind die Alternative für all jene, die nicht mit der Politik der Bundesregierung einverstanden sind, die aber ihr Kreuz nicht bei Extremisten machen wollen“, sagt Präsidiumsmitglied Alexander Graf Lambsdorff.

Als Protestpartei will Lindner die FDP aber keinesfalls verstanden wissen: „Wir wollen überzeugte FDP-Wähler, keine enttäuschten CDU-Anhänger“, sagte er dem Handelsblatt. Deshalb erarbeite die Partei eigene Politikkonzepte, etwa für ein flexibles Rentenalter, und definiere sich nicht über Wettbewerber.

Angesichts sich in der Bevölkerung ausbreitender Verunsicherung und erstarkender AfD sucht insbesondere die Union Halt in Stabilitätsversprechen, etwa bei der Rente. Lindner hält das zwar für grundfalsch: „Dieser Protestlerpartei mit zehn Prozent Zustimmung wird eine Macht eingeräumt, die sie gar nicht hat“, kritisiert er.

Aber die wachsende Nervosität der Koalitionäre spielt ihm in die Karten. „Je stärker die anderen Parteien auf das Thema Sicherheit setzen, desto besser für uns“, sagt Lindner. Als Einzige sorgten sich die Freidemokraten darum, den Kuchen größer zu machen, statt nur die Stücke zu verteilen, als Einzige setzten sie auf Zuversicht statt auf Defätismus. Hingegen sei die CDU, so Lambsdorff, inzwischen „vollständig in Richtung Sozialdemokratie gelaufen, wenn sie nun auch noch Leih- und Werkverträge streng regulieren will“.


Das Motto des Parteitags: „Beta Republik Deutschland“

Das Motto des Parteitags soll die liberale Experimentierfreude auf den Punkt bringen: „Beta Republik Deutschland“ prangert in gelbem Buchstaben auf knallblauem Grund über der Bühne, angelehnt an einen Begriff aus der Sprache der Softwareentwickler, der für noch unfertige Programmversionen steht, für die Testphase. Der 20-seitige Leitantrag, der auf dem Parteitag ausführlich beraten wird, beschäftigt sich mit den Folgen der Digitalisierung. Statt in der Ängstlichkeit zu verharren, so Lindner, sehe sich die Partei als „Labor, in dem nicht der Status quo verwaltet, sondern an der Zukunft gearbeitet wird“.

In diesem Geiste begreifen die Liberalen die Digitalisierung vor allem als Chance, die es zu ergreifen gelte. Allen voran in der Bildung: „Wir haben die Möglichkeit zu einer Bildungsrevolution und die Digitalisierung ist dazu der Schlüssel“, sagt Lindner. Wenn sich Schüler den Satz des Pythagoras individuell per Video erklären ließen, könnten sie ihre Lerngeschwindigkeit selbst bestimmen. Die neuen Techniken böten die „Chance, Bildung ganz anders zu denken als wir es 300 Jahre getan haben“.

In ihrer Haltung sehen sich die Freidemokraten als Brüder im Geiste vieler Unternehmer, die sie damit anzusprechen hoffen. Selbständige und Mittelständler gehören traditionell zum Kernklientel der Partei, in den Jahren der schwarz-gelben Koalition im Bund wandten sich aber viele ab. Sie wieder für die FDP zu gewinnen, ist daher für weitere Wahlerfolge unerlässlich. Stolz verweist Lindner daher auf das neugegründete Wirtschaftsforum, in dem sich rund 40 teils prominente Manager wie BASF-Chefaufseher Jürgen Hambrecht oder Arbeitgeberpräsident Ingo Cramer für die Partei engagieren.

Ohnehin fischt Lindner zu allererst in der bürgerlichen Mitte, bei jenen, die mit den Liberalen sympathisieren, aber zuletzt lieber Kanzlerin Angela Merkel ihre Stimme gaben oder aus Enttäuschung gar nicht erst wählen gingen. In Baden-Württemberg verdankten die Liberalen ihr gutes Ergebnis vor allem ehemaligen CDU-Wählern, den zweitgrößten Stimmenzuwachs verzeichneten sie aus dem Lager vormaliger Nichtwähler. In Rheinland-Pfalz machten diese sogar den größten Zuwachs aus.

Linders langfristiges Ziel ist es nun, genügend Stammwähler an die Partei zu binden, dass diese die FDP auch in rauer See über Wasser halten. Die Liberalen wollen nicht noch einmal ein lebensgefährliches Abtauchen unter die Fünfprozenthürde riskieren. Als Vorbild dienen die Grünen, die dank tiefer Verwurzelung in ihrem Wählermilieu auch mit blassem Spitzenpersonal stabile Umfragewerte vorweisen.

Dafür brauchen die Liberalen vor allem überzeugende Konzepte in der Finanz-, Wirtschafts- und auch der Sozialpolitik. Hier sprechen die Menschen der FDP weiterhin die größte Kompetenz zu: Mehr als die Hälfte der FDP-Wähler gab in Baden-Württemberg zu Protokoll, wegen ihrer Wirtschafts- und Arbeitspolitik für die Freidemokraten gestimmt zu haben. Das ansonsten dominierende Flüchtlingsthema nannte hingegen nur knapp ein Viertel als Beweggrund.

Und die FDP braucht Köpfe, die die Konzepte verkaufen kann. Bislang lastet diese Aufgabe vor allem auf Lindners Schultern. Laut jüngstem ARD-Deutschlandtrend ist der 37-Jährige der beliebteste Oppositionspolitiker – noch vor sämtlichen Vertretern der im Bundestag vertretenen Linken und Grünen. Die übrigen FDP-Spitzenpolitiker tun sich aber noch schwer, in der Öffentlichkeit Gehör zu finden. Aber auch das könnte sich ändern, sollte der Aufwärtstrend der Liberalen anhalten.

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