FDP und Facebook-Gesetz „Diplomatensprech für hau weg“

Die FDP will das Anti-Hass-Gesetz am liebsten abschaffen. Die Jamaika-Gespräche laufen aber in eine andere Richtung. Nun stellen die Liberalen eine bereits getroffene Vereinbarung wieder zur Disposition.

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Im Zangengriff der Politik: Das sogenannte Netzwerkdurchsetzungsgesetz verlangt von sozialen Netzwerken wie Facebook, gegen strafbare Kommentare vorzugehen. Quelle: dpa

Berlin Kurz vor Beginn der Jamaika-Sondierungsgespräche wagte der FDP-Vize Wolfgang Kubicki Mitte Oktober eine Prognose: Er gab einem Bündnis mit Union und Grünen eine Chance von 50 zu 50 Prozent. Nun, wo die Sondierungsgespräche kurz vor dem Abschluss stehen, scheint sich an dieser Einschätzung nichts geändert zu haben. „Die Chancen stehen weiterhin fifty-fifty“, sagte der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Alexander Graf Lambsdorff der „B.Z. am Sonntag“. „Die nächste Woche ist die Woche der Wahrheit für Jamaika.“

Bis dahin kämpfen die Jamaika-Sondierer in den Gesprächen um jede Formulierung. Wohl auch deshalb, weil für die Parteien viel auf dem Spiel steht. Niemand will am Ende bei den Wählern als Buhmann dastehen, wenn wichtige Wahlversprechen einem parteiübergreifenden Konsens geopfert werden mussten.

Nicht wirklich zum Zug zu kommen, das kennen die Liberalen noch aus den Koalitionsverhandlungen 2009 mit CDU und CSU. Damals wurden umstrittene FDP-Vorhaben wie eine Steuerreform einfach als „Prüfaufträge“ im Koalitionsvertrag verankert. Am Ende der Legislaturperiode beklagte die FDP, dass es bei fast allen ihren Projekten bei der Prüfung geblieben sei. Solche Rückschläge sollen sich nicht wiederholen. Ein Prestige-Projekt, bei dem die FDP in den Verhandlungen eine Kehrtwende erreichen will, ist das umstrittene Gesetz zum härteren Vorgehen gegen Hass und Hetze im Internet. Nach einer Kehrtwende sah es jedoch zunächst nicht aus.

Am Donnerstagabend wurde in der Sondierungsgruppe für die Themenbereiche Innen, Sicherheit und Rechtsstaat als Ergebnis festgehalten, das sogenannte Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) nicht grundsätzlich in Frage zu stellen. Man wolle es vielmehr „durch eine Neuregelung weiterentwickeln“. „Im Netz müssen die Persönlichkeitsrechte wie die Meinungsfreiheit geschützt werden“, hieß es in einem entsprechenden Papier. Und: „Der Staat muss ein deutliches Zeichen gegen Hass und Hetze im Netz setzen. Dies gilt auch für die sozialen Netzwerke.“

Eine solche Verabredung würde jedoch weit hinter dem Wahlkampfversprechen der Liberalen zurückbleiben. Mit dem Slogan „NetzDG stoppen“ machte die FDP Front gegen das Anti-Hass-Gesetz von Justizminister Heiko Maas (SPD). Und Generalsekretärin Nicola Beer versicherte: „Wir werden alles daran setzen, dass es das Gesetz mit der kürzesten Gültigkeitsdauer wird.“ Wie das konkret gehen soll, hat die Partei noch nicht beantwortet. Die Aussagen im Nachgang zum Sondierungsstand von Donnerstagabend lassen einen großen Interpretationsspielraum.

„Die Formulierung „weiterentwickeln“ haben wir streitig gestellt“, erklärte der für Innenpolitik zuständige FDP-Fraktionsvize Stephan Thomae am Sonntag auf Twitter. „Aktuelle Fassung lautet „grundlegend überarbeiten“. „Grundlegend“ heißt: alles steht zur Disposition“, so Thomae. Noch deutlicher wurde FDP-Fraktionsgeschäftsführer Marco Buschmann. Auf Twitter erklärte er am Samstag: Die Formulierung „grundlegend überarbeiten“ sei „Diplomatensprech für hau weg“. Die Liberalen hätten zudem klargemacht: „Meinungsfreiheit her! Abwälzung von Rechtsdurchsetzung auf Private weg!“

Auch FDP-Chef Christian Lindner bezog Stellung, jedoch nicht ganz so kompromisslos wie seine Parteifreunde. „Die @fdp lehnt das #NetzDG weiter ab und könnte nur einer Regierung angehören, die es abschafft bzw. in seinem Charakter grundlegend ändert“, schrieb Lindner auf Twitter. Was übersetzt auch so gedeutet werden kann: Das NetzDG bleibt mit Änderungen in Details bestehen.

Auf Facebook erklärte Lindner denn auch, dass das NetzDG „natürlich zurück in die Montagehalle“ müsse. Plattformen wie Facebook müssten sich an Regeln halten. Aber: „Diese Zensurbürokratie, die mit dem NetzDG von Heiko Maas verbunden ist, werden wir nicht weiter fortsetzen können. Das werden wir uns nicht zu eigen machen.“

Das NetzDG war am 1. Oktober mit einer Übergangsregelung in Kraft getreten. Es verpflichtet Online-Netzwerke, Beschwerden über Hasskriminalität und andere strafbare Inhalte umfassender zu bearbeiten und diese schneller zu löschen. Die am heftigsten diskutierten Regelungen des Gesetzes wie die Fristen von 24 Stunden bzw. einer Woche zum Löschen strafbarer Inhalte greifen erst nach der dreimonatigen Übergangsregelung zum 1. Januar. Dann sollen sich Nutzer auch beim Bundesamt für Justiz beschweren können, wenn eine Beschwerde aus ihrer Sicht nicht ordnungsgemäß bearbeitet wurde.


CDU skizziert Lösung für NetzDG-Streit

Immerhin gibt es einen Lichtblick für die FDP: In der Union scheint die Bereitschaft für eine Teilabschaffung des Gesetzes vorhanden zu sein. „Union war immer für unternehmensübergreifende Lösung = unabhängige Selbstkontrolle. Den Rest zu streichen fände ich gut“, erklärte der CDU-Digitalexperte Thomas Jarzombek auf Twitter.

Jarzombek hatte sich schon vor Monaten dafür stark gemacht, dass soziale Netzwerke unabhängige Beschwerdestellen einrichten müssen, die binnen 24 Stunden rechtswidrige Inhalte löschen. „Derzeit kann niemand die Löschkriterien von Facebook nachvollziehen, weil das der Konzern nicht öffentlich macht. Deshalb müssen wir dieses Thema aus den Hinterzimmern der Unternehmen herausholen“, sagte er seinerzeit dem Handelsblatt. Vorbild könnten aus seiner Sicht die Bestimmungen zum Jugendschutz sein. Dort seien die Anforderungen an die Selbstkontrolle der Unternehmen genau geregelt. „Facebook müsste strittige Fragen an eine Instanz weiterleiten, wo Experten sitzen und ihre Entscheidungen nach prüfbaren Richtlinien fällen.“

Eine solche unabhängige Einrichtung der regulierten Selbstregulierung ist jedoch bereits im Gesetz geregelt. Sie kann im Fall nicht eindeutiger Löschentscheidungen vom jeweiligen sozialen Netzwerk eingeschaltet werden. Allerdings hatte Jarzombek jüngst zu bedenken gegeben, dass noch unklar sei, ob das Gesetz dieses Ziel erreiche.

Die Grünen sehen das Gesetz von Maas zwar kritisch und haben sich deshalb bei der Bundestagsabstimmung im Juni enthalten. Sie neigen aber trotzdem nicht dazu, es zu kippen. In ihrem Wahlproramm betonen sie sogar die Notwendigkeit, große Anbieter sozialer Netzwerke in die Pflicht zu nehmen. Aber sie wollen offenkundige Mängel beseitigen, wie die Grünen-Rechtspolitikerin Renate Künast kürzlich dem Handelsblatt sagte. Das Gesetz sei „handwerklich so schlecht gemacht, dass wir auf keinen Fall zustimmen konnten“, sagte Künast. „Diese Auffassung werden wir in mögliche Gespräche klar einbringen.“ Das Gesetz sei so unklar formuliert, dass Verbesserungen nötig sein.

Damit will sich die Digitalwirtschaft aber nicht zufrieden geben. Schon vor Wochen formulierten sie ihre Erwartung an die FDP. „Im Falle einer Jamaika-Koalition wäre es nur konsequent, dieses Gesetz zurückzunehmen und an einem Runden Tisch offen und transparent neue Strategien zum Umgang mit rechtswidrigen Inhalten im Netz zu erarbeiten“, sagte jüngst Eco-Vizechef Oliver Süme dem Handelsblatt. Er erinnerte daran, dass Grüne und FDP sich vor der Wahl „sehr kritisch“ zu dem Gesetz geäußert und Nachbesserungen gefordert hätten. Liberalen-Chef Lindner habe zuletzt sogar eine Klage angekündigt.

Auch der Hauptgeschäftsführer des IT-Verbands Bitkom, Bernhard Rohleder, dringt auf eine Rücknahme des Gesetzes. „Wenn es zu einer Koalition aus Union, FDP und Grünen kommen sollte, dann gilt es diesen Fehler zu korrigieren – und das NetzDG ersatzlos zu streichen“, sagte Rohleder dem Handelsblatt. „Die Chancen dafür sollten eigentlich gut stehen, denn die Liberalen haben das Gesetz in der Entstehung vehement kritisiert, die Grünen haben ihm im Bundestag nicht zugestimmt“, fügte er hinzu. „Wenn den Worten nun Taten folgen, dann wird das NetzDG nur ein kurzes Intermezzo bleiben.“

Ob die FDP diese Erwartung erfüllen kann, wird sich schon bald zeigen, wenn wie geplant nächste Woche die Sondierungsgespräche abgeschlossen werden. Vielleicht sollten die Liberalen aber nicht so sehr auf Details beharren und sich ein Beispiel an Schleswig-Holstein nehmen, das von einer Jamaika-Koalition regiert wird.

Der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) warnte die Berliner Verhandler denn auch vor zu engen Festlegungen. Sein Jamaika-Bündnis in Kiel sei nur zustande gekommen, weil man zwar Kernprojekte der drei Parteien vereinbart habe – ansonsten aber eine möglichst offene, knappe Koalitionsabsprache gewählt habe. Für ein erfolgreiches Bündnis über mehrere Jahre sei ohnehin das Vertrauen wichtiger, dass Union, FDP und Grüne kommende Probleme gemeinsam und nicht in Gegnerschaft lösten, mahnt er. Schriftliche Festlegungen helfen dabei nicht.

FDP-Generalsekretärin Beer mahnte auf Twitter, das Ende der Sondierungsgespräche abzuwarten. „Wichtig ist, was hinten rauskommt.“

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