Fehlzeiten von Arbeitnehmern Wenn die Unternehmenskultur krank macht

Mitarbeiter sind häufiger und länger krank, wenn sie unter ihren Arbeitsbedingungen leiden. Der Wunsch nach Wertschätzung, Fairness und Einbindung in Entscheidungsprozesse wird oft nicht erfüllt.

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Wenn Arbeitnehmer die Arbeitsbedingungen als schlecht und unfair empfinden, werden sie häufiger krank. Quelle: dpa

Berlin Kranke Arbeitnehmer machen einer Studie zufolge die Arbeitsbedingungen für ihr Leiden verantwortlich. Mehr als zwei Drittel der Arbeitnehmer, die im vergangenen Jahr wegen einer Rückenerkrankung oder psychischer Beschwerden zu Hause geblieben sind, sehen einen engen Zusammenhang zwischen ihrer Erkrankung und den Bedingungen am Arbeitsplatz. Mehr als jeder zweite Arbeitnehmer bringt mindestens eine seiner körperlichen oder seelischen Beschwerden mit dem Arbeitsplatz in Zusammenhang. Dies sind zwei zentrale Ergebnisse des neuen AOK-Fehlzeitenreports, den das wissenschaftliche Institut der Ortskrankenkassen (Wido) am Montag vorgelegt hat.

„Unsere Untersuchung zeigt ganz klar: Es gibt einen engen Zusammenhang zwischen Unternehmenskultur und Gesundheit der Mitarbeiter“, so Helmut Schröder, stellvertretender Leiter des Wido. Das Institut hat im Februar gut 2000 Arbeitnehmer zwischen 16 und 65 Jahren in einer repräsentative Stichprobe befragt, wie sie die Unternehmenskultur ihres Arbeitgebers in ihren verschiedenen Facetten erleben. Dabei wurde ein besonderer Schwerpunkt auf Führungsstil, Mitarbeiterorientierung und Entlohnungsgerechtigkeit gelegt. Dabei zeigt sich, dass bei den Beschäftigten Wunsch und Wirklichkeit bei der Unternehmenskultur deutlich auseinander klaffen.

So wünschen sich mehr als drei Viertel (78,3 Prozent), dass der Chef und die Unternehmensführung hinter ihnen stehen. Entsprechende Erfahrungen macht aber nur jeder Zweite (54,8 Prozent). 70 Prozent wollen für ihren Einsatz gelobt werden – doch nur 50,2 Prozent machen solche Erfahrungen. Eine deutliche Mehrheit wünscht sich, bei wichtigen Entscheidungen gefragt zu werden, weniger als jeder Zweite wird aber tatsächlich in wichtige Entscheidungsprozesse eingebunden.

Frappierend ist, wie eng der Zusammenhang zwischen einer als schlecht empfundenen Unternehmenskultur und der Gesundheit der Mitarbeiter ausfällt: „Rücken- und Gelenkschmerzen belegen bei den körperlichen Beschwerden den Spitzenplatz mit 36,2 Prozent, die Erschöpfung liegt mit 23,3 Prozent bei den psychischen Beschwerden ganz vorne,“ so Wido-Vize Helmut Schröder. „Für jeweils mehr als 70 Prozent der Befragten sind hierbei die Ursachen in ihrer Arbeitstätigkeit zu finden.“

Stellt man die von den Beschäftigten erlebte Unternehmenskultur verschiedenen Gesundheitsindikatoren gegenüber so zeigt sich ein enger Zusammenhang. So sind Beschäftigte, die ihre Unternehmenskultur als negativ erleben, zu 27,5 Prozent auch unzufrieden mit ihrer Gesundheit. Dieser Anteil ist drei Mal so hoch wie in der Vergleichsgruppe, die ihre Unternehmenskultur als positiv wahrnimmt.

Dazu passt, dass Menschen, die die Unternehmenskultur negativ wahrnahmen, auch tatsächlich häufiger krank sind.


Wer den Arbeitgeber als fair erlebt, ist motivierter

66,6 Prozent berichten von körperlichen Beschwerden, 65,1 Prozent geben an, seelisch erkrankt zu sein. Krank werden freilich auch die zufriedenen Arbeitnehmer. Die Quoten sind aber mit 32 und 35,8 Prozent deutlich geringer.

Zudem sind die Unzufriedenen länger krank: 31 Prozent von ihnen geben an, im zurückliegenden Jahr mehr als zwei Wochen gefehlt zu haben. Bei den Zufriedenen waren es nur 16 Prozent.

Was manchen Chefs zu denken geben sollte: Unzufriedene treiben häufiger Raubbau mit ihrer Gesundheit: Fast jeder Fünfte gab an, gegen ärztlichen Rat zur Arbeit gegangen zu sein. Von den Zufriedenen tat dies nur jeder Zehnte. Schröder: „Unser Fazit lautet: Es besteht ein deutlicher Zusammenhang zwischen der erlebten Unternehmenskultur und der Gesundheit von Beschäftigten.“

Wenn die Beschäftigten ihren Arbeitgeber als „fair, wertschätzend, sinnhaft, fördernd, richtungsweisend, konstruktiv und qualitätsorientiert“ erleben, fördere das nicht nur ihren Gesundheit, sondern auch ihre Einsatzbereitschaft. Und das wiederum mache Unternehmen erfolgreicher und wettbewerbsfähiger.

Die Ergebnisse des Wido-Fehlzeitenreports decken sich mit den Ergebnissen früherer Untersuchungen. So ergab eine im Frühjahr veröffentlichte Studie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg elf besonders krank machende Faktoren am Arbeitsplatz: hohe Arbeitsintensität, geringer Handlungsspielraum, geringe soziale Unterstützung, Ungleichgewicht zwischen erlebter beruflich geforderter Leistung und dafür erhaltener Belohnung oder Wertschätzung, Überstunden, Schichtarbeit (vor allem Abend- und Nachtschichten), Rollenstress, aggressives Verhalten am Arbeitsplatz und Arbeitsplatzunsicherheit.

Als zehnten und elften Belastungsfaktor nennt die Studie, die auch von der AOK und dem Bundesverband der Betriebskrankenkassen gefördert wurde, die Kombination von geringem Handlungsspielraum und hoher Arbeitsintensität sowie die Kombination von geringem Handlungsspielraum und hoher Arbeitsintensität bei zugleich geringer sozialer Unterstützung.

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