Filter bei Facebook Meine Blase, deine Blase

Der Aufstieg der Populisten zeigt: Facebook ist die neue Fußgängerzone. Die deutschen Parteien haben den digitalen Wahlkampf allerdings lange vernachlässigt. Jetzt sind sie im Zugzwang. Ein Gastbeitrag.

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Die Machtverschiebung von den traditionellen Medien zu den sozialen Netzwerken spielt den Populisten in die Karten. Quelle: dpa

Berlin Die sozialen Netzwerke ebneten 2008 den Weg für Barack Obamas Einzug ins Weiße Haus. Sein Solgan „Yes We Can“ war Glaubensbekenntnis und Versprechen zugleich und weltweit in aller Munde. Das Netz brachte Demokratie, war der Ort der Freiheit, das Medium für alle, deren Stimme vorher nicht gehört wurde, der Weg in eine bessere und gerechtere Welt. So haben wir es zumindest in unserer Blase erzählt und geglaubt. 2012 hatte Obama zur Wiederwahl auf Facebook mehr Fans als viele Staaten Einwohner haben.

Vier Jahre später hat sich die Stimmung gedreht. In den sozialen Netzwerken sind vor allem diejenigen aktiv, die das Gefühl haben, dass die politische Klasse sie nicht versteht. Sie lassen sich nicht mehr auf die traditionellen Medien ein, die Nachrichten gewichten und einordnen. Journalisten sehen sie oftmals als Teil des Establishments an, auf deren Kommentare sie lieber verzichten.

Es geht zwar nicht nur, aber auch um Leute, deren Arbeitsplätze in Gefahr geraten sind, während gleichzeitig die Miete steigt. Enttäuschte, die auf der Suche nach einer Opposition zur schwarz-rot-grünen Konsensregierung sind und deshalb die Alternative für Deutschland auf Facebook abonnieren. Das Problem ist: Wer einzelne AfD-Beiträge mit „Gefällt mir“ markiert, wird von Facebooks Algorithmus auch zu den Seiten von Frauke Petry, Björn Höcke oder Beatrix von Storch und damit noch weiter in die rechtsnationale Blase getrieben. Für das Unternehmen Facebook geht es dabei vor allem darum, die Verweildauer seiner Nutzer zu erhöhen. Aber das soziale Netzwerk ist viel politischer, als sein Algorithmus suggeriert.

Facebook verbindet 2016 die Wütenden und Abgehängten und zeigt ihnen, dass sie nicht alleine sind. Wer sich die oftmals hasserfüllten Beiträge in den Kommentarspalten anschaut, der sieht wie stark sich diese Personen hinter dem Bildschirm fühlen und sich gegenseitig unterstützen.

Kein Wunder, dass die AfD mit 300.000 Facebook-Fans die mit Abstand erfolgreichste Partei auf Facebook ist. Ihre Facebook-Profile unterscheiden sich elementar von der Gruppe der der Anhänger von CDU, SPD, Grüne und FDP. Während letztere sich laut Facebook-Statistiken auch noch für Cristiano Ronaldo, Mesut Özil und Deichmann interessieren, sieht das bei den Interessenten der AfD-Anhänger ganz anders aus. Dort interessiert man sich auch für Frauke Petry, die Lügenpresse und die Identitäre Bewegung. Nachrichten über Facebook beziehen sie vor allem von der rechtskonservativen Jungen Freiheit und der Seite des russischen Staatsfernsehens RT Deutsch.

Die starke Machtverschiebung in der Medienlandschaft von klassischen Medien hin zu Social Media wird es Populisten noch einfacher machen, ihre Anhänger zu aktivieren, um erfolgreich zu sein. Vor Jahren mussten die Menschen noch Leserbriefe schreiben, um über den Bekanntenkreis hinaus Gehör zu finden. Leserbriefe wurden von Verlagen nach Qualitätsstandards gefiltert und nur unter Nennung des Namens und Wohnorts gedruckt, nachdem der Autor verifiziert wurde. Veröffentlicht auf Zeitungsseiten, auf denen auch andere Meinungen oder einordnende und beschreibende Artikel von Journalisten stehen. Heute lauert überall die Lügenpresse.


Wie die Politik das Netz nutzen sollte

Attackiert wird auf Facebook – egal ob anonym oder mit Klarnamen. Der Ton ist rauer geworden und wer die derbsten Kommentare und krassesten Lügen postet, erhält die meisten Likes und Shares. Überprüft werden die Aussagen nicht. Weder vom Profilbetreiber, noch von Facebook. Sind die entsprechenden Botschaften erst einmal unterwegs, gibt es für betroffene Personen kaum noch eine Chance, sie einzufangen.

Der Hass im Netz ist grenzenlos. Die Verantwortung dafür liegt nicht nur bei jedem Einzelnen, sondern eben auch bei den Social-Media-Plattformen, für die es klare Regeln auf Basis der Rechtsprechung gibt. Dort wird festgelegt, wie sie zu handeln haben. In der Realität werden diese Regeln aber nicht angewendet.

Strafbare Inhalte müssen von den Plattformen gelöscht und an Strafverfolgungsbehörden weitergeleitet werden. Das Melden solcher Inhalte muss vereinfacht, die Überprüfung muss schneller und konsequenter betrieben werden.

Wer sich heute auf Facebook aus Wut und Enttäuschung mit der Pegida und der AfD beschäftigt, darf nicht als verloren gelten. Man kann diese Menschen zwar nicht auf der Straße identifizieren und in Fußgängerzonen ansprechen. Es wird schwer, sie zu Diskussionsveranstaltungen zu bringen und über die Presse kann man sie vermutlich gar nicht erreichen. Das bedeutet aber nicht, dass die Politik der klassischen politischen Kommunikation keine Bedeutung zukommen lassen sollte – sie muss sie nur um eine schlagkräftige digitale Komponente erweitern.

Die Parteien und gesellschaftlichen Akteure müssen enttäuschte Menschen auf Facebook und weiteren Plattformen durch gezieltes und direktes Targeting ansprechen. Digitale Werbung schalten kostet Geld, wird aber immer noch günstiger sein als die Entwicklung der siebenten Version eines Großflächenplakats.

Parteien in Deutschland haben den digitalen Wahlkampf lange genug vernachlässigt und verschlafen. Social-Media-Plattformen dürfen nicht länger nur den Zweck haben, schon lange überzeugte Parteimitglieder zu erreichen. Politiker müssen sich die Zeit nehmen, herauszufinden, welche Probleme die enttäuschten Menschen wirklich bewegen. Die entsprechenden Tools und Werkzeuge gibt es, sie werden von Konzernen in der digitalen Markenkommunikation bereits erfolgreich eingesetzt. Es gibt keinen Grund, warum die Politik sie nicht auch einsetzen sollte.

Der Ansatz des FDP-Vorsitzenden Christian Lindner, einen Bürgerdialog auf Facebook anzukündigen, Fragen live und ungeschnitten zu beantworten, ist richtig. Er war erfolgreich, weil Lindner weder Sakko noch Krawatte trug, Fragen spontan aufgegriffen und seinen Dialog komplett ohne Skript durchgeführt hat. Solche Formate, die dem Nutzerverhalten der Plattform entsprechen, müssen weiterentwickelt werden. Sie können ein Weg sein, echte Lösungen anzubieten und die falschen Lösungen aufdecken.

Solche ernst gemeinten Dialoge, die nicht einseitig, sondern mit der Bevölkerung geführt werden, sind ein Weg, um deutlich zu machen, dass es zur offenen Gesellschaft keine Alternative gibt, dass Hass keine Probleme löst.

Wir brauchen Politiker und Aktive der Zivilgesellschaft, die aus der elitären professionellen Politikerklasse aussteigen oder erst gar nicht einsteigen, die nicht vermitteln, in welcher kleinen heilen Welt sie leben und sich so von denen auf der Straße abgrenzen, sondern das Netz wie Hinz und Kunz nutzen und Dialoge eröffnen. Facebook ist die neue Fußgängerzone.

Es ist Zeit zu starten. Nicht in den zwei Monaten vor der Bundestagswahl, sondern jetzt. Wenn wir das nicht tun, kapitulieren wir. Ich will nicht mit einem deutschen Trump aufwachen.

Daniel Mack ist Kommunikationsberater bei Scholz & Friends in Berlin und früherer hessischer Landtagsabgeordneter für Bündnis 90/Die Grünen.

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