Michael Müller statt Klaus Wowereit: Mitten in der Wahlperiode tauscht die Berliner SPD ihre Führungsfigur aus. Ein deutlicher Fingerzeig dafür, dass die alte Sportlerweisheit „Never change a winning team“ für die Hauptstadt-Genossen mit Blick auf die nächste Abgeordnetenhauswahl 2016 nicht mehr galt.
Damit endet am 11. Dezember die Ära Wowereit. Der Regierende Bürgermeister tritt nach dreizehneinhalb Jahren zurück. Zum neuen Chef der rot-schwarzen Koalition soll sein früherer Kronprinz, Stadtentwicklungssenator Müller (49), gewählt werden. Müller hatte schon einmal Wowereit beerbt - im Juni 2001 übernahm er von ihm den SPD-Fraktionsvorsitz im Abgeordnetenhaus.
Der Senator tritt kein einfaches Erbe an. Länger als Wowereit hatte nur dessen Vorgänger Eberhard Diepgen (CDU) die Stadt regiert. Im neuen Jahrtausend entwickelte sich die Hauptstadt unter Wowereits Führung zu einer Metropole, die junge Leute, Kreative und Unternehmen aus aller Welt anzog. Mit dem Bekenntnis zur Homosexualität und seiner offenen Art schaffte es Wowereit auf viele Titelseiten und in Talkshows.
Der Tourismus boomt, die Wirtschaft ist wieder angesprungen, die Schuldenaufnahme wurde gestoppt. Berlin ist eine der angesagtesten Kulturmetropolen. Aber ausgerechnet sein Prestigeprojekt hat Wowereit das Image vermasselt: Die unendliche Geschichte des von Planungs- und Baufehlern bisher verhinderten Hauptstadtflughafens ließ seinen Stern rapide verglühen. Als Aufsichtsratschef wurde ihm eine erhebliche Mitschuld an der Misere angelastet. Sein Popularitätsschwund zog auch die Berliner SPD in den Umfragen runter.
Müller soll es nun richten. Nach drei Wahlsiegen unter Wowereit soll der bundesweit unbekannte Politiker der SPD zum vierten Erfolg verhelfen. Er will keine Kopie sein: „Das geht gar nicht - und ich habe meinen eigenen Stil“, betont Müller. Er setzt deshalb weniger auf den Glamourfaktor, sondern auf Verlässlichkeit und Zuhören. Ihm gehe es um einen „neuen Stil der Politik, der von Ernsthaftigkeit, Sachlichkeit und Dialog geprägt“ sei, sagte er.
Das kann bei seinen Berliner wie bundesweiten Verhandlungspartnern gut ankommen, die Wowereit eine gewisse Schnoddrigkeit vorhielten. Gleich nach seiner Vereidigung am Donnerstag (11.) wartet auf Müller ein dicker Brocken. Die Ministerpräsidenten der Länder verhandeln mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) über die Neuordnung des Länderfinanzausgleichs. Das trotz erster Tilgung immer noch mit rund 62 Milliarden Euro verschuldete Berlin ist auf weitere Finanzspritzen dringend angewiesen.
Wie viel jeder Bürger im Länderfinanzausgleich bezahlt oder erhält
Niedrige Entlastung
Steuerkraft je Einwohner vor dem Ausgleich: 1434 Euro
Steuerkraft je Einwohner nach dem Ausgleich: 1557 Euro
Saldo: +123 Euro
Angaben für 2012; Ohne Sonder-Bundesergänzungszuweisungen
Quelle: Bundesfinanzministerium, eigene Berechnungen
Hohe Belastung
Steuerkraft je Einwohner vor dem Ausgleich: 2384 Euro
Steuerkraft je Einwohner nach dem Ausgleich: 1563 Euro
Saldo: -821 Euro
Die Zahlen für die Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen sind noch nicht um die Einwohnerveredelung korrigiert. Danach stehen sie deutlich besser da.
Niedrige Entlastung
Steuerkraft je Einwohner vor dem Ausgleich: 1442 Euro
Steuerkraft je Einwohner nach dem Ausgleich: 1536 Euro
Saldo: +94 Euro
Die Zahlen für die Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen sind noch nicht um die Einwohnerveredelung korrigiert. Danach stehen sie deutlich besser da.
Niedrige Entlastung
Steuerkraft je Einwohner vor dem Ausgleich: 1397 Euro
Steuerkraft je Einwohner nach dem Ausgleich: 1559 Euro
Saldo: +162 Euro
Kaum Veränderung
Steuerkraft je Einwohner vor dem Ausgleich: 1578 Euro
Steuerkraft je Einwohner nach dem Ausgleich: 1559 Euro
Saldo: -19 Euro
Niedrige Belastung
Steuerkraft je Einwohner vor dem Ausgleich: 1845 Euro
Steuerkraft je Einwohner nach dem Ausgleich: 1634 Euro
Saldo: -211 Euro
Kaum Veränderung
Steuerkraft je Einwohner vor dem Ausgleich: 1548 Euro
Steuerkraft je Einwohner nach dem Ausgleich: 1555 Euro
Saldo: +7 Euro
Niedrige Entlastung
Steuerkraft je Einwohner vor dem Ausgleich: 1243 Euro
Steuerkraft je Einwohner nach dem Ausgleich: 1554 Euro
Saldo: +311 Euro
Niedrige Belastung
Steuerkraft je Einwohner vor dem Ausgleich: 1916 Euro
Steuerkraft je Einwohner nach dem Ausgleich: 1640 Euro
Saldo: -276 Euro
Hohe Belastung
Steuerkraft je Einwohner vor dem Ausgleich: 1970 Euro
Steuerkraft je Einwohner nach dem Ausgleich: 1653 Euro
Saldo: -317 Euro
Hohe Entlastung
Steuerkraft je Einwohner vor dem Ausgleich: 816 Euro
Steuerkraft je Einwohner nach dem Ausgleich: 1546 Euro
Saldo: +730 Euro
Hohe Entlastung
Steuerkraft je Einwohner vor dem Ausgleich: 825 Euro
Steuerkraft je Einwohner nach dem Ausgleich: 1546 Euro
Saldo: +721 Euro
Hohe Entlastung
Steuerkraft je Einwohner vor dem Ausgleich: 803 Euro
Steuerkraft je Einwohner nach dem Ausgleich: 1546 Euro
Saldo: +743 Euro
Hohe Entlastung
Steuerkraft je Einwohner vor dem Ausgleich: 986 Euro
Steuerkraft je Einwohner nach dem Ausgleich: 1548 Euro
Saldo: +562 Euro
Hohe Entlastung
Steuerkraft je Einwohner vor dem Ausgleich: 1358 Euro
Steuerkraft je Einwohner nach dem Ausgleich: 1529 Euro
Saldo: +171 Euro
Die Zahlen für die Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen sind noch nicht um die Einwohnerveredelung korrigiert. Danach stehen sie deutlich besser da.
Hohe Entlastung
Steuerkraft je Einwohner vor dem Ausgleich: 817 Euro
Steuerkraft je Einwohner nach dem Ausgleich: 1544 Euro
Saldo: +727 Euro
Am Freitag tagt der Aufsichtsrat des Flughafens. Müller will nicht kneifen und Verantwortung in dem Kontrollgremium des von unfassbaren Pannen geprägten Projektes übernehmen. Er muss nun „das größte Infrastrukturprojekt in Ostdeutschland“ zum Start bringen. Zwei neue Senatoren - für Finanzen und für Stadtentwicklung - müssen sich einarbeiten.
Und der Koalitionspartner CDU ist verschnupft. Müller hatte Innensenator und CDU-Chef Frank Henkel vorgeworfen, in seinem Verantwortungsbereich zu wenig zu tun. Auch die Union schielt bereits auf den Wahltermin 2016. Dort kämpfen dann Müller und voraussichtlich Henkel um die Führungsmacht - keine gute Voraussetzung für eine gedeihliche Koalitionsarbeit im kommenden Jahr.