Flüchtlinge Der ohnmächtige Thomas De Maizière

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Der Innenminister hat keinen Masterplan

Die Verhältnisse zerren an ihm. Die bislang so unbeirrte „Wir schaffen das“-Kanzlerin auf der einen Seite, Teile der CDU-Fraktion und die rasende CSU auf der anderen. Viele wollen jetzt harte Kante von ihm sehen, den einen Masterplan. Aber den gibt es nicht. Jede Woche mit Tausenden neuen Flüchtlingen an der Grenze treibt den immensen Druck auf seine Person noch ein paar Bar weiter hoch. Dass er in den vergangenen Monaten zu allem Überfluss häufiger mal kränkelte – hat alles nicht gerade geholfen.

„Menschen erwarten nationale Lösungen, aber nationale Lösungen allein führen bei einem internationalen Problem wie den Flüchtlingsströmen jedenfalls nicht allein zum Ziel“, sagt de Maizière gewunden. „Wir sollten nicht die Illusion nähren, es gäbe einfache Antworten.“ Sagt es und muss schon wieder aufbrechen – zur TU Dresden, wo er als Honorarprofessor einmal im Semester ein Seminar abhält. Auch hier kann er sie nicht abschütteln, die Krise. Er will dort über das Asylrecht sprechen. Nach belastbareren Antworten suchen.

Aus diesen Ländern kommen Asylbewerber in Deutschland

Das läge ihm ja. „Unser Rechtssystem, gerade auch das Asylrecht, ist auf die kluge Steuerung von Einzelfällen angelegt, nicht auf Massenphänomene“, ist so ein Gedanke. Dazu möchte man gern mehr von ihm hören. Man würde einem elder statesman de Maizière sofort ohne jede Bedenken den Vorsitz einer Enquetekommission übertragen, mit dem Auftrag, ein zeitgemäßes Asyl- und Einwanderungsrecht zu erarbeiten. Man könnte einen solchen Vorstoß allerdings auch von einem regierenden Minister erwarten – besonders, weil die Debatte gerade von Spiegelfechtereien dominiert wird. Oder von Pegida vergiftet, die seine geliebte Wahlheimat Dresden besudeln.

De Maizière ist den Herausforderungen nicht gewachsen

Frühere Bewährungsproben hat de Maizière gemeistert. Als Berater an der Seite seines Cousins Lothar hatte der damals 36-Jährige eine wichtige Rolle während der deutschen Einheit. Im Kanzleramt hielt er während der Finanzkrise 2008/09 besonnen den Laden zusammen. Aber zieht man einen Strich unter die Flüchtlingskrise, muss man sagen: de Maizière ist an dieser Herausforderung nicht gewachsen. Er war ihr vielleicht gerade noch gewachsen.

Das aber kann ihm nicht genügen, weil „ein Konservativer zunächst Ansprüche an sich selbst stellt“, so hat er es einmal beschrieben. Und weil zumal ein de Maizière sehr hohe Ansprüche an sich selbst anlegt.

Was aber fesselt ihn? Was lässt ihn so unsicher, unwohl erscheinen in diesen Tagen?

"Wir schaffen das - so einen Satz hätte er nie formuliert"

Es hat wohl hiermit zu tun: „Wir schaffen das – so einen Satz hätte er nie formuliert.“ Das glaubt immerhin jemand, der vier Jahre mit ihm am selben Kabinettstisch saß und in seinem Kanzleramtsbüro noch mehr ungezählte Haribo-Lakritz vertilgte. Jemand, der ihn gut kennt und sehr schätzt, aber keine Aufmerksamkeit will.

Thomas de Maizière ist dennoch zutiefst loyal gegenüber der Frau, die er seit einem Vierteljahrhundert kennt. Nie würde er zu erkennen geben, wenn er die historische Entscheidung vom September 2015, als Angela Merkel das europäische Asylsystem schleifte, erstens für eine humanitäre Großtat und zweitens für ein staatspolitisches Desaster halten würde. Er ist hin- und hergerissen zwischen humanitärer Güte und juristischer Härte. Für dieses Dazwischen aber wird er haftbar gemacht. Das einfach abperlen lassen? Unmöglich.

Ulrich Schröder ist Chef der Kfw-Bankengruppe, aber vor allem ist er ein guter, alter Freund. De Maizière und er kennen sich seit Studienzeiten in Münster. Schröder gehört zu einem vertrauten Kreis alter RCDS-Kumpels von damals, die immer noch regelmäßig zusammenkommen. Es war Ulrich, der auf Thomas’ 60. Geburtstag eine lange Rede hielt. „Er liebt das Systematische und handelt bedächtig, sorgfältig und abwägend“, sagt Schröder. „Dies ist in der gegenwärtigen Situation, in der es tagespolitisch hin und her geht, sehr schwer.“

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