Flüchtlinge Erklärt doch die ganze Welt zu sicheren Drittstaaten!

Der Bundestag hat beschlossen, Tunesien, Algerien und Marokko als sichere Herkunftsstaaten einzustufen. Warum nicht gleich noch Ägypten, Libyen oder Syrien? Ach Quatsch, die ganze Welt. Ein (nicht) ganz ernst gemeintes Plädoyer.

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Bundeskanzlerin Angela Merkel und der Unions-Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder (CDU) im Bundestag Quelle: dpa

Europa macht sich zur Festung. Was Angela Merkel gerne als „Sicherung der europäischen Außengrenzen“ beschreibt, ist seit Monaten Regierungshandeln in der Europäischen Union. Deutschland hat jetzt eine weitere Abschreckungsmaßnahme beschlossen und die drei Maghreb-Staaten Tunesien, Algerien und Marokko zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt.

Eines der Hauptargumente der Befürworter: Die allermeisten, die im vergangen Jahr aus einem der drei Länder zu uns kamen, haben keine Aussicht auf Asyl. Die Anerkennungsquote bei den drei Nationalitäten liegt bei 0,7 Prozent. Marokko gilt als politisch stabil mit guter sicherheitspolitischer Infrastruktur. Bei Algerien sieht das schon ganz anders. Das Auswärtige Amt rät zu höchster Vorsicht bei Reisen in das Land, die Gefahr von Terroranschlägen ist allgegenwärtig. Tunesien rangiert in Sachen Stabilität und Sicherheit zwischen den beiden Ländern.

Macht das die drei Länder per sé zu unsicheren Staaten, was massenhaft Asyl in Deutschland rechtfertigen sollte? Nein, gewiss nicht. Die niedrigen Anerkennungsquoten unterstreichen das. Aber: Im vergangen Jahr kamen gerade mal 26.000 Menschen aus diesen drei Staaten nach Deutschland. Im Vergleich zu den 1,1 Millionen registrierten Flüchtlingen, von denen etwa 600.000 tatsächlich blieben und nicht weiterreisten, ist diese Zahl zu vernachlässigen.

Die Frage ist, wer hier eigentlich abgeschreckt werden soll. Es gibt keine massenhafte Fluchtbewegung aus den Maghreb-Staaten nach Europa. Wer zu uns kommen will, ist zumeist Syrer, Iraker oder Afghane. Und selbst die sollen nicht mehr kommen.

Beispiel Afghanistan: Hier waren die Anerkennungsquoten mal hoch, rund 70 Prozent im Jahr 2014. Zuletzt gingen sie auf gut 30 Prozent zurück. Berlin arbeitet zudem gerade an einem Rücknahmeabkommen mit Afghanistan, damit mehr Afghanen dorthin zurückgebracht werden können. Angela Merkel forderte im Oktober, es müsse innerstaatliche Fluchtmöglichkeiten in Afghanistan geben. In diese „sicheren Zonen“ will die Bundesregierung verstärkt abschieben.

Der Bundestag hat die Maghreb-Länder Tunesien, Algerien und Marokko zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt. Nicht nur die Opposition ist dagegen. Auch 22 SPD-Abgeordnete stimmen mit „Nein“.

Warum dann Afghanistan nicht zu einem sicheren Herkunftsland erklären? Schließlich ließe sich die Argumentation für die drei Maghreb-Staaten gut übertragen. Das Problem ist nur, dass die Menschenrechtslage in Afghanistan schlecht ist – und die deutsche Öffentlichkeit weiß das. In den drei Maghreb-Staaten ist die Lage – zumindest in einigen Bereichen – aber nicht besser. Homosexualität beispielsweise steht unter Strafe.

Zweites Beispiel: Syrien. Vor dem EU-Türkei-Deal hat nahezu jeder Syrer, der es nach Deutschland geschafft hat, hier Asyl erhalten. Jetzt werden die Flüchtlinge an den griechischen Inseln gestoppt und in die Türkei zurückgebracht. Die EU versichert, jeder Syrer bekommt in Griechenland (nach griechischem Recht) ein Asyl-Schnellverfahren, wenn er das möchte. De facto wird das Asylrecht an der EU-Außengrenze aber stark eingeschränkt, manche sagen gar abgeschafft, indem die Türkei als sicheres Herkunftsland behandelt wird, in das zurückgeführt werden darf.

Als die Flüchtlinge kamen, herrschte Optimismus in der Wirtschaft. Eine WirtschaftsWoche-Umfrage zeigt: Nur jedes zehnte Unternehmen stellt Flüchtlinge ein. Was es braucht, damit aus Zuwanderern Arbeitskräfte werden.
von Cordula Tutt, Max Haerder

Ob Türkei-Deal, Rücknahmeabkommen mit Afghanistan oder Maghreb-Staaten als sichere Herkunftsländer. Die Fälle haben eines gemeinsam: Weniger Menschen sollen in Deutschland Asyl stellen können. Und wenn es ihnen doch gelingt, sollen möglichst viele wieder zurückgebracht werden.

Ein schlüssiges, logisches und faires Asylsystem ist das nicht. Jeder, der um Asyl bittet, muss nachweisen, dass er individuell verfolgt wird und um sein Leben fürchten muss. Solche Prüfungen brauchen Zeit.

Wir sollten uns diese Zeit nehmen und jedem ein faires Verfahren ermöglichen, das den Standards von Grundgesetz und Genfer Konvention standhält. Sonst können wir gleich die ganze Welt zu sicheren Drittstaaten erklären.

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