Die Diagnose ist eindeutig: So viele Asylbewerber wie seit 20 Jahren nicht mehr erreichen in diesem Jahr die Bundesrepublik. Die Folge aber ist verwirrend: Die SPD fordert ein neues Einwanderungsrecht, die CSU plant Abschiebelager.
Und in der Bevölkerung ist die Haltung nicht viel klarer: Unzählige Deutsche helfen Neuankömmlingen, gleichzeitig attackieren deutsche Rechtsradikale Asylunterkünfte.
Politik und Gesellschaft droht die Spaltung ob des Umgangs mit den Zuwanderern; politisch, gesellschaftlich, moralisch. Dabei gibt es längst Ideen für ein besseres und intelligenteres Miteinander:
1. Die Verwaltung umkrempeln
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), das Asylanträge bearbeitet, ist heillos unterbesetzt. Bis Flüchtlinge wissen, ob sie in Deutschland bleiben können, vergehen in der Regel mehr als sieben Monate. Mehr Personal für das BAMF wäre also das Mindeste, aber warum so klein denken? Deutschland braucht eine Zuwanderungspolitik aus einem Guss, dazu gehört eine deutsche Einwanderungsbehörde.
Was Flüchtlinge dürfen
Wer eine sogenannte Aufenthaltsgestattung bekommt, darf nach drei Monaten in Deutschland eine betriebliche Ausbildung beginnen. Wer geduldet ist, kann vom ersten Tag an eine Ausbildung machen. In beiden Fällen ist jedoch eine Erlaubnis durch die Ausländerbehörde nötig.
Gleiches gilt für Praktika oder den Bundesfreiwilligendienst beziehungsweise ein freiwilliges, soziales Jahr: Personen mit Aufenthaltsgestattung können nach drei Monaten ohne Zustimmung der ZAV damit beginnen, wer den Status „geduldet“ hat, darf das ab dem ersten Tag.
Wer studiert hat und eine Aufenthaltsgestattung besitzt, darf ohne Zustimmung der ZAV nach drei Monaten eine dem Abschluss entsprechende Beschäftigung aufnehmen, wenn sie einen anerkannten oder vergleichbaren ausländischen Hochschulabschluss besitzen und mindestens 47.600 Euro brutto im Jahr verdienen werden oder einen deutschen Hochschulabschluss besitzen (unabhängig vom Einkommen).
Personen mit Duldung können dasselbe bereits ab dem ersten Tag des Aufenthalts.
Personen mit Aufenthaltsgestattung können nach vierjährigem Aufenthalt jede Beschäftigung ohne Zustimmung der ZAV aufnehmen.
Sie wäre die einzige Anlaufstelle für alle Zuwanderer, die über Möglichkeiten (und Grenzen) des deutschen Aufnahmerechts informiert: über das Asylrecht wie über die vielfältigen – und mittlerweile als liberal gelobten – Zugänge für Fachkräfte und hoch Qualifizierte. Das wäre ein Amt, das individuell aufklärt und im Ausland sogar Werbung für den Standort D macht.
2. Die Verteilung sinnvoll organisieren
Für Kommunen ist es eine regelmäßige Überraschung: Wie viele Flüchtlinge kommen in den nächsten Tagen? Informationen darüber gewährt jedes Bundesland unterschiedlich, zu kurzfristig fallen sie überall aus. Verteilt wird stur nach Bevölkerungsgröße der Länder und Kommunen. Wie gut die vorbereitet sind, spielt keine Rolle.
Länder mit der höchsten Zahl der Asylbewerber (2014)
Zypern
Zahl der Bewerber...
...insgesamt: 1.255
...pro 100.000 Einwohner: 145
Deutschland
Zahl der Bewerber...
...insgesamt: 126.705
...pro 100.000 Einwohner: 158
Belgien
Zahl der Bewerber...
...insgesamt: 21.030
...pro 100.000 Einwohner: 189
Ungarn
Zahl der Bewerber...
...insgesamt: 18.895
...pro 100.000 Einwohner: 190
Luxemburg
Zahl der Bewerber...
...insgesamt: 1.070
...pro 100.000 Einwohner: 199
Österreich
Zahl der Bewerber...
...insgesamt: 17.500
...pro 100.000 Einwohner: 207
Norwegen
Zahl der Bewerber...
...insgesamt: 11.930
...pro 100.000 Einwohner: 236
Schweiz
Zahl der Bewerber...
...insgesamt: 21.305
...pro 100.000 Einwohner: 265
Malta
Zahl der Bewerber...
...insgesamt: 2.245
...pro 100.000 Einwohner: 533
Schweden
Zahl der Bewerber...
...insgesamt: 54.270
...pro 100.000 Einwohner: 568
Also müssen Flüchtlinge in Turnhallen unterkommen, in Zelten auf Parkplätzen, sie stoßen auf wütende Anwohner. Der aktuelle Vorschlag von Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne), mehr Flüchtlinge in entvölkerte Regionen Ostdeutschlands zu schicken, würde nur zu einer neuen Pauschallösung führen.
Was Deutschland wirklich bräuchte
Was Deutschland wirklich bräuchte, wäre eine einheitliche Plattform für die Verteilung der Flüchtlinge. Dort könnte das Bundesamt angeben, wann wie viele Flüchtlinge zu erwarten sind. Kommunen und Länder könnten gleichzeitig über ihre Kapazitäten informieren. Flüchtlinge würden dort landen, wo sie gerade am besten unterkommen können. Die Quoten würden für den Aufbau von Unterkünften genutzt, nicht für die Verschickung von einem Zeltlager ins andere.
3. Das Rechtsdickicht lichten
Es klingt wie eine Selbstverständlichkeit, ist es aber nicht: dass wir so schnell wie möglich klären, über welche Ausbildung, Sprach- und Fachkenntnisse Flüchtlinge verfügen. Dies wäre Voraussetzung, um endlich zu ermöglichen, was Fachleute „Statuswechsel“ nennen: Ein Teil der Flüchtlinge müsste kein Asyl mehr beantragen, sondern könnten als Fachkräfte einwandern – Ärzte aus Syrien beispielsweise.
Wollen sie nach derzeitigem Recht in Deutschland vom Flüchtling zur Fachkraft werden, müssen sie zunächst wieder in ihr Heimatland aus- und von dort dann auf regulärem Wege als Fachkraft wieder einreisen. Absurd.
4. Die Sprachförderung verbessern
Rechtliche Probleme sind aber nicht die einzigen, die Flüchtlinge daran hindern, hier zu arbeiten. Zwar sind viele von ihnen nicht nur hoch motiviert, sondern bringen auch Arbeitserfahrung mit. Aber sie sprechen oft kein Deutsch, was eine wesentliche Voraussetzung für Jobs in Deutschland ist. Das BAMF bietet Integrationskurse an, in denen Teilnehmer Deutsch lernen. Aber: Flüchtlinge sind dafür nur zugelassen, wenn sie geduldet sind oder ihr Asylantrag genehmigt wurde. Bis die Entscheidung gefallen ist, müssen sich die Flüchtlinge selbst um Kurse kümmern. Sinnvoller wäre es, jedem Neuankömmling sofort Sprachausbildung anzubieten. Statt sich untätig im Asylbewerberheim zu langweilen, könnten sie so vom ersten Tag an am Leben teilnehmen.
5. Den Arbeitsmarkt öffnen
Zeitarbeit ist ein Reizwort in Deutschland, Kritiker sehen darin eine Ausbeutung der Arbeitnehmer. Für Flüchtlinge könnte die temporäre Beschäftigung aber einen schnellen Weg aus der Arbeitslosigkeit bedeuten – doch sie können ihn nicht gehen. Nur wer sich mehr als vier Jahre ohne Unterbrechung in Deutschland aufgehalten hat, darf bei einer Zeitarbeitsfirma anheuern. Das regelt die „Verordnung über die Beschäftigung von Ausländerinnen und Ausländern“.
Deshalb fordern Zeitarbeitsfirmen schon länger eine Gesetzesänderung – von der Unternehmen und Flüchtlinge gleichermaßen profitieren könnten.