Flüchtlinge Neue Freiwilligendienst-Stellen kaum besetzt

10.000 neue Jobs im Bundesfreiwilligendienst sollten ehrenamtliche Flüchtlingshelfer entlasten. Bisher ist aber nur ein Bruchteil der Stellen vergeben. Doch woran liegt das?

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10.000 neue Stellen im Bundesfreiwilligendienst sollten die ehrenamtlichen Helfer entlasten. Doch bisher ist nur jede achte Stelle besetzt. Quelle: dpa

Düsseldorf Das Ziel der Bundesregierung war klar: die erschöpften, ehrenamtlichen Helfer in der Flüchtlingshilfe entlasten. Dafür wollte das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (Bafza) ab dem 1. Dezember jährlich 10.000 neue Stellen im Bundesfreiwilligendienst schaffen. 50 Millionen Euro will das Bafza bis 2018 jährlich investieren. Doch mehr als drei Monate nach Beginn des Programms ist die Bilanz ernüchternd. Von den 10.000 zusätzlichen Stellen sind Anfang März gerade einmal knapp 1.800 besetzt, davon knapp 330 von Flüchtlingen.

Dabei war das Bafza zum Start des Programms äußerst euphorisch: „Es gibt einen regelrechten Ansturm auf die Stellen“, sagte Bundesamt-Sprecher Peter Schloßmacher noch im Dezember über die neu geschaffenen Jobs.

Anders als der reguläre Bundesfreiwilligendienst müssen die neuen Stellen einen Bezug zu Flüchtlingen haben. So dürfen sie nur von Flüchtlingen selbst oder Menschen, die Angebote für Flüchtlinge organisieren, besetzt werden. Dazu zählen unter anderem Sportangebote, Integrationskurse oder auch einfach die Betreuung und Unterstützung von Flüchtlingen in den Aufnahmeeinrichtungen.

Verteilt werden die 10.000 Stellen nach dem sogenannten Königsteiner Schlüssel. Dieser regelt in Deutschland auch die Verteilung der Flüchtlinge auf die Bundesländer. Umso höher das Steueraufkommen und die Bevölkerungszahl, umso mehr Flüchtlinge muss ein Bundesland aufnehmen. Genauso verhält es sich mit den neuen BFD-Jobs.

Demzufolge stehen Thüringen knapp 270 neue Stellen zu, Bayern etwa 1.500. Und so unterschiedlich die Stellenanzahl ist, so unterschiedlich ist auch der Erfolg, diese zu vergeben. Besonders die Diskrepanz zwischen Ost und West sind auffällig.

So waren Mitte Februar bereits 100 der 270 Stellen in Thüringen besetzt. Das entspricht knapp 40 Prozent. In den westlichen Bundesländern ist der Anteil an vergebenen Jobs wesentlich geringer: Das Bundesland Bayern hatte Mitte Februar gerad einmal 80 der angedachten 1.500 Stellen und damit 5,3 Prozent vergeben.

Bundesweit läuft insbesondere die Rekrutierung von Flüchtlingen langsam an: Nur drei Prozent der Stellen – knapp 330 – wurden von Flüchtlingen besetzt. „Aus der Zielgruppe mit Migrationshintergrund erleben wir bislang nur eine sehr geringe Nachfrage nach einem Engagement im Bundesfreiwilligendienst“, sagt die Johanniter-Unfallhilfe. Die Arbeiterwohlfahrt (AWO) erklärte, die Besetzung bräuchte Zeit und dürfe nicht überhastet geschehen. Aber auch die AWO stellt einen Trend fest: „Bisher wurden mehr Plätze aus dem Sonderkontingent von Einheimischen besetzt.“


Bürokratische Hürden erschweren Vermittlung

Der Grund dafür sei ein einfacher: bürokratische Hürden. Als schwerwiegendstes Problem sehen die Johanniter die Notwendigkeit eines gesicherten Aufenthaltstitels. Denn wollen Flüchtlinge einen Bundesfreiwilligendienst antreten, müssen sie bereits als Flüchtlinge anerkannt sein. Migranten, die bisher nur geduldet oder noch im Asylverfahren sind, werden von den Stellen ausgeschlossen.

Doch viele Geduldete würden über Jahre in Deutschland bleiben und sich gerne engagieren, sagt ein Sprecher der AWO und fügt an: „Das Engagement der Geduldeten wäre ein Gewinn für alle Seiten“. Die zusätzlich besetzten Stellen wären ihm zufolge eine „Bereicherung“ für die Einsatzstellen.

Die Frage, ob Geduldete für die Stellen zugelassen werden sollten, ist aber nicht das einzige Problem. „Die Hürden, Flüchtlinge als Freiwillige zu gewinnen sind sehr hoch“, klagt etwa die AWO.

Eine Schulleiterin aus Berlin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will, berichtet, dass sie gerne einen Flüchtling engagieren würden. Doch der bräuchte dafür ein erweitertes Führungszeugnis. Bis er das hat, würden aber noch Monate vergehen. Bis dahin müsse man nun warten.

Und auch das komplizierte Asylsystem stellt die Träger der Stellen vor Probleme. So gibt es für verschiedene Aufenthaltstitel der Flüchtlinge auch unterschiedliche Bedingungen bei der Bezahlung. Für das BFD wird zurzeit ein sogenanntes Taschengeld von maximal 372 Euro gezahlt, das bei den Flüchtlingen aber mit den sonstigen Sozialhilfen verrechnet wird.

Je nach Bundesland und Aufenthaltstitel unterscheiden sich die Auffassungen, wie hoch dieser Betrag sein darf. „Das erschwert die Beratung der Flüchtlinge“, sagte ein Sprecher der AWO. Oft seien Flüchtlinge deshalb abhängig vom „Wohlwollen der Sachmitarbeiter“.

Ein Beispiel: Die Behörden in Brandenburg und Berlin waren bis vor kurzem der Auffassung, dass das Taschengeld des BFD komplett auf die Leistungen der Asylbewerber angerechnet werden soll. Doch dadurch hätten Flüchtlinge keinen finanziellen Vorteil und könnten genauso gut nichts tun, sagte ein Sprecher der AWO. Dabei ist das anrechnungsfreie Teil für Flüchtlinge sowieso gering: 90 bis 100 Euro erhalten Flüchtlinge im Normalfall. Der Rest wird mit den sonstigen staatlichen Leistungen verrechnet. Mittlerweile hat das Bafza nach eigenen Angaben eine einheitliche Regelung gefunden.

Dass das Programm nicht allzu schnell anläuft, scheint für die Behörden nicht verwunderlich. Aus dem Bafza heißt es, dass es dauere, bis so ein Projekt reibungslos laufen würde: „Grundsätzlich kann gesagt werden, dass man diesem Sonderprogramm noch etwas Zeit geben muss, da insbesondere die Institutionen vor Ort noch die Rahmenbedingungen schaffen müssen.“

Zuspruch bekommt die Behörde von der Caritas. Ein Sprecher sagte, man dürfe „keine Wunder erwarten“. Er verweist zudem darauf, dass einige der Vorbereitungsseminare erst ab September stattfinden, die Stellen also nicht früher besetzt werden könnten.

Ob und wann schlussendlich alle Stellen besetzt werden, können aber weder die Verbände noch das zuständige Bundesamt sagen. Die AWO rechnet mit einer Besetzung aller zusätzlichen Stellen im Herbst – frühestens.

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