Flüchtlinge Warum das Recht keine Obergrenze erlaubt

Österreich hat eine Obergrenze für Flüchtlinge beschlossen, die CSU verlangt ebenfalls danach. Die Kanzlerin hält dagegen. Doch wer hat Recht? Ein neues Bundestags-Gutachten gibt eine klare Antwort.

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Grenzschließung nach Bayern: Aus CSU-Sicht ist das nötig, um die Flüchtlingskrise in den Griff zu bekommen. Quelle: dpa

Wer einen CSU-Politiker in diesen Tagen ärgern möchte, muss nur einen Satz von Angela Merkel (CDU) wiederholen. „Das Grundrecht auf Asyl kennt keine Obergrenze“, lautet die Ansage der Kanzlerin, die bei den Christsozialen in Bayern seit Wochen für Unverständnis sorgt. Kurz nachdem Österreich in dieser Woche bekanntgegeben hatte, dass sie in diesem Jahr noch 37.500 Menschen aufnehmen wollen, twitterte CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer: „Die Österreicher machen's. Also müssen wir es auch machen. #Obergrenze“.

Die Frage ist nur: Dürfen europäische Länder überhaupt eine Flüchtlingsobergrenze definieren? Ist das mit europäischem beziehungsweis deutschem Recht vereinbar? Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages ist diesen Fragen nun in einem Gutachten nachgegangen. Die ARD hatte zuerst darüber berichtet und das Gutachten öffentlich gemacht.


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Zur rechtlichen Ausgangssituation: In Artikel 18 der Grundrechtecharta der Europäischen Union wird festgelegt, dass Asyl „nach Maßgabe des Genfer Abkommens“ sowie auf Basis des Gründungsvertrages der Europäischen Gemeinschaft gewährleistet wird. In Artikel 19 gibt die EU zudem vor, dass Kollektivausweisungen unzulässig sind und niemand in einen Staat abgeschoben oder ausgewiesen werden darf, in dem „für sie oder ihn das ernsthafte Risiko der Todesstrafe, der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung besteht“.

Die Rechtsexperten des Deutschen Bundestages kommen zu dem Schluss, dass das EU-Asyl- und Flüchtlingsrecht „keine Regelungen enthält, die eine zahlenmäßige Begrenzung der Aufnahme von international Schutzsuchenden vorsehen“. Eine Obergrenze auf Basis von geltendem EU-Recht? Fehlanzeige.

Verfassungsgerichtspräsident hält Obergrenze nicht für rechtmäßig

Für die Wissenschaftler ergibt sich daraus die Frage, ob auf Basis des Asylrechts künftig eine Obergrenze definiert werden könnte. Mit Verweis auf die Grundrechtecharta halten das die Rechtsexperten für „problematisch“, da es „zu einer pauschalen Ausweisung von Personengruppen international Schutzsuchender käme, ohne dass die individuelle Situation ihrer Mitglieder geprüft würde“. Eine solche Kollektivausweisung sei nur in Notstandsfällen gerechtfertigt. „Ob ein solcher Notstandsfall auf EU-Ebene allein durch einen Zustrom von international Schutzsuchenden ausgelöst werden könnte, erscheint höchst zweifelhaft.“

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Auf EU-Ebene lässt sich nach Ansicht der Rechtsexperten des Bundestages also keine Obergrenze herleiten oder beschließen. Wie sieht es aber auf nationalstaatlicher Ebene aus? Andreas Voßkuhle, Präsident des Bundesverfassungsgerichts, hat im Deutschlandfunk kürzlich Zweifel an einer solchen Idee angemeldet. Das deutsche Asylrecht gelte „für jedermann“, kann seiner Meinung nach also nicht per Obergrenze beschränkt werden. Gleichwohl: „Zuwanderung kann sicherlich beschränkt werden“, sagte Voßkuhle. Er mahnt ein Zuwanderungsgesetz an, durch das sich Deutschland gezielt Einwanderer aussucht.

Die Experten vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages stimmen Voßkuhle zu. Demnach könnet argumentiert werden, dass eine Beschränkung des Asylrechts aus Gründen der öffentlichen Ordnung und der inneren Sicherheit vorgenommen wird. „Es ist jedoch fraglich, ob die autonome Einführung einer mitgliedstaatlich festgesetzten Obergrenze auf dieser Grundlage zulässig wäre“, heißt es im Gutachten. Insbesondere bezweifeln die Autoren, ob eine solche Obergrenze dauerhaft verhältnismäßig wäre. Gegebenenfalls müssten „alternative Maßnahmen“ ergriffen werden.

Vereinfacht gesagt: Wer eine Obergrenze mit den Übergriffen in der Silvesternacht begründen will, kann sich nicht auf das Recht berufen – zumindest nach Meinung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages. Eine Grenzschließung, die der frühere Verfassungsrichter und CSU-Mitglied Udo di Fabio in einem Gutachten fordert, wird in dem Bundestagsgutachten gleichwohl nicht diskutiert. Für die CSU bedeutet das: Weiterärgern, denn das Recht gibt offenkundig keine Obergrenze her. Umso intensiver werden die Christsozialen fortan eine Grenzschließung fordern.

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