Flüchtlingsamt-Chefin Jutta Cordt "Es gibt kein Ende"

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„Die Trennung von Anhörung und Entscheidung war in Krisenzeiten nötig“

Aber haben Sie das, was Sie eben Eindrücke genannt haben, denn teilen können?

Ich kann sie – in gewisser Weise jedenfalls – nachvollziehen. Wenn das Gefühl entsteht, sich nicht aus eigener Kraft zu entwickeln, sondern etwas übergestülpt zu bekommen, ist das natürlich nicht gut. Also muss man erst mal die Argumente und Ansichten der anderen anhören, bevor man Entscheidungen trifft. Das ist mein Weg. Aber ich will auch sagen: Das BAMF stand unter gewaltigem Druck, es musste sich etwas ändern. Und diesen notwendigen Prozess hat Frank-Jürgen Weise begonnen. Mit allem, was nötig war.

Da ist sie wieder, diese gewisse Härte. Dennoch wirkt es, als habe sich die neue Chefin im Umgang mit ihrem Haus eine kluge Beobachtung Jean-Paul Sartres zu eigen gemacht: Ich bin fähig zur Selbstkritik, sofern man sie mir nicht aufzwingt. Sie distanziert sich kein Stück vom hoch geschätzten Vorgänger, aber sie sendet ganz andere Signale des Verständnisses und nimmt viel mehr mit. Sie führt, aber sie überrollt niemanden.

In der Tat hat sich auch vieles zum Besseren verändert: Es gibt mittlerweile einen Flüchtlingsausweis. Im Asylverfahren wird nun jeder Antragssteller mit Fingerabdrücken erfasst. Ein elektronisches Aktenmanagement wurde eingeführt. Und die raren Dolmetscher werden heute per Skype zu Anhörungen zugeschaltet, wenn es sein muss.

Erst zuhören, dann entscheiden. Amtschefin Cordt mit Mitarbeiterinnen. Quelle: Foto: Robert Brembeck für WirtschaftsWoche

Allerdings ist das BAMF binnen zwei Jahren auch gewaltig angeschwollen, von rund 3000 auf heute fast 10.000 Mitarbeiter. Davon mag rund ein Viertel aus anderen Bundesbehörden abgeordnet sein, Kollegen im Flecktarn der Bundeswehr sind kein seltener Anblick. Dennoch verändert es den Charakter einer Organisation fundamental.

Kann man das überhaupt lernen: über Schicksale zu richten?

Das ist mir zu pathetisch. Außerdem würde ich gerne die Gegenfrage stellen: Was wäre denn die Alternative? Die Menschen, die zu uns kommen und einen Asylantrag stellen, haben alle einen grundgesetzlichen Anspruch auf ein Verfahren. Wir müssen dem gerecht werden.

Seit die Zahl der Mitarbeiter so stark gewachsen ist, gibt es intern harte Kritik an „Schmalspurausbildungen“ für neue Entscheider und an mangelnder Überprüfung der Verfahren.

Ich halte diese Vorhaltungen in dieser Schärfe nicht für berechtigt. Die Grundlage unserer Entscheidungen ist das Gesetz, und um dieses anzuwenden, benötigen wir eine ausführliche Anhörung. Diese Gespräche können einen ganzen Tag in Anspruch nehmen, wenn es sein muss. Wir prüfen nach klaren Leitsätzen.

Jutta Cordt heißt die neue Chefin des Flüchtlingsamtes BAMF. Die künftige Flüchtlingspolitik bestimmt ihr künftiges Arbeitspensum. Viel Zeit für ihr Hobby bleibt der 53-Jährigen auf jeden Fall nicht.
von Frank Specht

Dennoch kann ein neuer Entscheider nach wenigen Wochen Einarbeitung kaum mit den routinierten, älteren Kollegen mithalten.

Richtig. Trotzdem mussten wir angesichts Hunderttausender neuer Anträge 2015 und 2016 auch dafür sorgen, dass wir effizienter und zügiger arbeiten. Deshalb wurden einfachere Fälle mit sehr ähnlichen Fluchtgeschichten – etwa aus Syrien – geclustert. Die können sie dann sehr wohl auch schon einem weniger routinierten Kollegen anvertrauen.

Pro Asyl stört, dass derzeit Anhörung und Entscheidung getrennt sind. Ein Mitarbeiter bereitet den Fall auf, ein Entscheider bezieht sich dann nur noch auf die schriftliche Akte.

Wir hatten die Vertreter von Pro Asyl gerade zu Besuch. Wir ducken uns da nicht weg. Die Trennung von Anhörung und Entscheidung war in Krisenzeiten nötig. So haben wir es geschafft, sehr viel mehr Anträge in kürzerer Zeit zu bearbeiten.

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