Flüchtlingskrise Asylpaket II als Merkel-Rettungspaket?

SPD und Union hoffen, dass sich das Asylpaket II positiv auf die Landtagswahlen auswirkt und die AfD schwächt. Doch längst nicht alle Regelungen in dem Gesetz werden im Alltag schnell spürbar sein. Ein Überblick.

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Der Flüchtlingsstrom nach Deutschland reißt nicht ab. Daran wird auch das neue Asylpaket kaum etwas ändern. Quelle: dpa

Düsseldorf Nach monatelangem Streit hat der Bundestag am Freitag eine Verschärfung des Asylrechts beschlossen, mit der die Verfahren beschleunigt und nicht anerkannte Flüchtlinge schneller abgeschoben werden sollen. Das neue Gesetzespaket schränkt den Familiennachzug von Flüchtlingen mit subsidiärem Schutz ein und soll es einfacher machen, Menschen aus „sicheren Herkunftsstaaten“ in ihre Heimatländer abzuschieben.

Bereits vor der Verabschiedung wurde das Paket scharf kritisiert. Menschenrechtsorganisationen beklagten unter anderem die beschleunigten Asylverfahren, die in ihren Augen menschenunwürdig sind. Die Regeln zum Familiennachzug könnten zudem gegen mehrere Konventionen und das Grundgesetz verletzen. Die Abgeordneten stimmten trotzdem mit breiter Mehrheit für das Asylpaket II.

Eigentlich sollte der Gesetzesentwurf bereits im Dezember verabschiedet werden, dann am 13. Januar. Schlussendlich einigten sich SPD und CDU nach langen Querelen auf den 25. Januar. Das Kalkül der Koalitionäre: Die Verschärfung des Asylrechts soll der AfD bei den anstehenden Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz den Wind aus den Segeln nehmen.

Sollten die Veränderungen bis zum gemeinsamen Wahltag am 13. März spürbar werden, so hoffen die Koalitionäre, dass die etablierten Parteien davon profitieren könnten. Dementsprechend schnell musste es jetzt gehen.

Um das Verfahren zu beschleunigen, wurde sogar die Einstufung Marokkos, Tunesiens und Algeriens als sichere Herkunftsländer gestrichen. Da Abschiebung Ländersache ist, hätte das Asylpaket im Ganzen den Bundestag passieren müssen.

Weil CDU und SPD dort aber keine Mehrheit haben und eine Zustimmung der Grünen ungewiss ist, wurde der Abschnitt aus dem Entwurf entfernt. Somit muss das Gesetz den Bundestag nur noch passieren. Es bedarf keiner Zustimmung mehr. Nur wenn die Länderkammer einen Vermittlungsausschuss anruft, könnte sie das Gesetz noch stoppen. Anzeichen gibt es dafür nicht.

Wann das Gesetzespaket schlussendlich in Kraft tritt, kann man im zuständigen Bundesinnenministerium aber noch nicht sagen. Das hänge von der Ausfertigung des Bundespräsidenten ab.

Ob das Gesetz also noch Wirkung vor den Landtagswahlen am 13. März entfaltet, ist offen. Die Regelungen und ihr voraussichtlicher Einfluss im Überblick


Probleme bleiben trotz Verschärfung

Beschleunigte Asylverfahren

Einer der wichtigsten Punkte im neuen Asylpaket sind die beschleunigten Asylverfahren. So soll es Zentren geben, in den die Gruppen von Asylbewerbern untergebracht werden, deren Erfolgsaussicht eher gering ist. Dazu gehören vor allen Dingen Menschen aus sogenannten „sicheren Herkunftsstaaten“.

Insgesamt fünf Zentren sollen laut Bundesinnenministerium aufgebaut werden. Zwei Standorte stehen mit Bamberg und Manching bereits fest. Wo die anderen Zentren entstehen soll, ist bisher aber nicht klar. Auch wie lange die Um- oder Aufbauarbeiten dauern werden, konnte das zuständige Innenministerium noch nicht sagen. Die Zahl der Verfahren, die darüber abgewickelt werden, dürfte aber überschaubar bleiben. Ein Großteil der Flüchtlinge kam in den vergangenen Monaten nämlich gar nicht aus sicheren Herkunftsländern, sondern aus dem Irak, Syrien oder Afghanistan.

Unabhängig von der Zahl der abgearbeiteten Anträge, beginnen die wahren Probleme sowieso erst nach dem Verfahren. Bisher nehmen viele Staaten die Asylbewerber nur mit Original-Reisedokumenten wieder auf. Deswegen werden zwar schon jetzt viele Asylbewerber abgelehnt, doch können sie nicht abgeschoben werden.

Zurzeit verhandelt die Bundesregierung beispielsweise mit Tunesien, abgelehnte Asylbewerber auch ohne Originaldokumente wieder aufzunehmen. „Wenn das gelingt, wird das hoffentlich auch mit den anderen Maghreb-Staaten gelingen“, sagte Außenminister Frank Walter-Steinmeier (SPD). Bis es aber soweit ist, heißt es abwarten.

Fazit: Dass die Maßnahmen zur Erklärung sicherer Herkunftsstaaten und ein beschleunigtes Asylverfahren bereits in naher Zukunft oder bei den anstehenden Landtagswahlen spürbar werden, ist also mehr als unwahrscheinlich.


Streit um Familiennachzug war überzogen

Familiennachzug

Größter Streitpunkt war der Familiennachzug von Flüchtlingen. Dabei schien man sich hier bereits im November einig: Der Familienzuzug subsidiärer Schutzbedürftiger sollte für zwei Jahre ausgesetzt werden. Als subsidiär schutzbedürftig gelten Menschen, die sich weder auf das Grundrecht nach Asyl berufen können, noch nach der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt sind. Sie können aber nicht abgeschoben werden, weil ihnen in ihrer Heimat Verfolgung oder Folter droht.

Kurz nach einer Einigung der Parteispitzen im November verkündete Innenminister Thomas de Maizière, auch bei Flüchtlingen aus Syrien wieder zur Einzelfallprüfung zurückzukehren. Von dieser Aussage überrumpelt, ruderte die SPD erst zurück. Am Ende schloss man einen Deal: Ab dem 1. März dürfen Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz ihre Familien für zwei Jahre nicht mehr nach Deutschland holen. Dazu können auch Syrer gehören, wenn die mündliche Anhörung ergibt, dass ihnen kein Asyl- oder Flüchtlingsstatus zusteht. Bisher durften sie minderjährige Kinder und Ehepartner nachholen, über weitere Angehörige entschieden die Behörden im Einzelfall.

Doch auch wenn der Streit tiefe Gräben innerhalb der Koalition gerissen hat, ist die Zahl der Betroffenen verhältnismäßig gering. Gerade einmal 50.000 Visa stellten deutsche Botschaften im Ausland für einen Familiennachzug aus. Im ersten Halbjahr 2015 waren es 30.000. Hinzu kommt, dass mehr als 40 Prozent der Visa gar nicht für Flüchtlinge ausgestellt wurde, sondern für Familiennachzügler, die zu ihrem deutschen Ehepartner ziehen wollten.

Fazit: Zwar tritt das Gesetz direkt in Kraft und sollte somit auch bald einen Einfluss auf die Flüchtlingszahlen haben, doch wird dieser in der allgemeinen Bevölkerung wohl kaum zu spüren sein. Gerade auch, weil die wenigen zehntausend Menschen, die von der Regelung betroffen wären, auf ganz Deutschland verteilt wären und im Alltag kaum bis gar nicht aufgefallen würden. Für die meisten Bürgerkriegsflüchtlinge gilt weiterhin die Genfer Flüchtlingskonvention. Sie sind vom begrenzten Familiennachzug nicht betroffen.


Auswirkungen an der Wahlurne ungewiss

Abschiebung von Kranken und Schutz vor sexuellem Missbrauch

Bei der Abschiebung von abgelehnten Asylbewerbern sind laut Bundesregierung die „vermeintlichen gesundheitlichen Probleme“ der Asylbewerber ein Hindernis. Nach dem neuen Gesetzesentwurf sollen diese nur noch als Hinderungsgrund gelten, wenn sie lebensgefährlich oder „schwerwiegend“ sind. Die Auflagen, die eben das attestieren, werden durch das Asylpaket II verschärft.

Dafür muss jeder abgelehnte Asylbewerber künftig eine „qualifizierte ärztliche Bescheinigung“ abgeben. Darin enthalten soll sein: Die Grundlage der Beurteilung, die Methode der Untersuchung, die Diagnose, der Schweregrad sowie die Folgen der Erkrankung. Eines der häufigsten gesundheitlichen Probleme, die posttraumatische Belastungsstörung, soll künftig nicht mehr als Abschiebungshindernis gelten. Die Vereinigung „Ärzte der Welt“ schrieb zu den neuen Kriterien in einer Petition: „Das entbehrt jeder ethischen, medizinischen und psychotherapeutischen Grundlage.“ Die Bundesregierung erhofft sich davon aber bis zu 50.000 Flüchtlinge ausweisen zu können, deren Abschiebung rechtens wäre.

Ebenfalls im Asylpaket vorgesehen, ist ein besserer Schutz von minderjährigen Flüchtlingen. Helfer, die sich ehrenamtlich aber auch haupt- oder nebenberuflich in Flüchtlingsunterkünften engagieren, brauchen künftig ein erweitertes Führungszeugnis.

Kritiker bemängeln, dass dies aber bei weitem nicht ausreiche, um die Kinder zu schützen. Sie fordern unter anderem eine getrennte Unterbringung von Müttern und Kindern.

Fazit: Auch dieses Gesetz wird sofort in Kraft treten. Darunter leiden könnten vor allen Dingen ehrenamtliche Helfer, die bisher helfen, aber kein erweitertes Führungszeugnis haben. Direkte Auswirkungen auf die Wahrnehmung der Asylpolitik hat diese Änderung aber nicht.

Residenzpflicht, Geldleistungen und Leistungskürzungen

Wer die Chancen darauf bekommt, hier zu bleiben, unterliegt ab Inkrafttreten des Asylpakets schärferen Gesetzen. So kann künftig ein zweimaliges Verletzen der Residenzpflicht das Ende des Asylverfahrens bedeuten. Dies gilt sowohl für Menschen, die an einem der beschleunigten Asylverfahren teilnehmen als auch für Flüchtlinge in normalen Erstaufnahmeeinrichtungen – zumindest in den ersten sechs Monaten.

Auch die Regeln für Geldleistungen werden verschärft und die Ausgabe stärker an einen Ort gebunden. Nur wer künftig registriert ist und mit seinem Flüchtlingsausweis in der ihm zugewiesenen Aufnahmeeinrichtung Geld beantragt, erhält die vollen Leistungen. So soll verhindert werden, dass Flüchtlinge durchs Land oder einfach in die Großstädte weiterwandern.

Doch auch wer sich an die verschärften Gesetze hält, bekommt künftig weniger Leistungen als noch vor dem Inkrafttreten des Gesetzes. Denn Flüchtlinge sollen sich finanziell an den angebotenen Sprachkursen beteiligen. Das bisherige Taschengeld von 143 Euro wird dafür um zehn Euro gekürzt. auch hier ist noch nicht klar, ab wann das Gesetz in Kraft treten kann.

Gesamtfazit: Noch ist also nicht abzusehen, inwieweit das Asylpaket und damit die Verschärfung der Gesetze rund ums Asyl die Wahrnehmung der Bevölkerung beeinflusst. Da das Gesetz allenfalls einige Tage vor den Landtagswahlen in Kraft treten wird, werden die Auswirkungen aufs Wählergemüt gering sein. Zum anderen aber auch, weil die Maßnahmen nur einen geringen Wirkungsradius haben und sich im Alltag auch nach längerer Zeit nicht bemerkbar machen werden. Die ersten Politiker aus SPD und CDU schmieden deshalb schon einen Plan: Sie wollen einen Asylpaket III.

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