Flüchtlingskrise Wie das Flüchtlingsamt an Überforderung zu scheitern droht

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Asylverfahren dauert durchschnittlich 5,2 Monate

Leider passt derlei Irrsinn allzu gut ins große Bild. Denn beim BAMF als Hauptmotor der Flüchtlingsverwaltung ist es in den vergangenen Monaten ebenfalls nicht genügend vorangegangen. Als der neue BAMF-Chef Weise kürzlich den Innenpolitikern des Bundestages bei einer internen Sitzung Rede und Antwort stand, machte er aus der unbefriedigenden Lage, die er vorgefunden hat, keinen Hehl. Weise machte auf die anwesenden Parlamentarier zwar einen hoch motivierten und unerschrockenen Eindruck, aber er redete unverblümt. Das Amt, so Weises Urteil, würde derzeit „dem Auftrag nicht gerecht“.

Stolze 5,2 Monate dauert ein Asylverfahren derzeit durchschnittlich, immer noch. Momentan verfügt das BAMF insgesamt über rund 3000 Mitarbeiter in der Zentrale und den 22 Außenstellen, davon 660 Entscheider für Asylverfahren. Bis Ende des Jahres sollen noch mehrere Hundert weitere Kollegen eingestellt sein, darunter auch zusätzliche Entscheider in dreistelliger Zahl. Das klingt zunächst nach einem Fortschritt. Intern gilt aber die Faustformel, dass ein eingearbeiteter Entscheider rund 400 Fälle pro Jahr abschließen kann. Geht man von 1000 dieser Mitarbeiter aus, wären das also künftig 400.000 Verfahren jährlich.

Wo Flüchtlinge in Deutschland wohnen
Autobahnmeisterei Quelle: dpa
Deutschlands höchstgelegene Flüchtlingsunterkunft befindet sich im Alpenvorland Quelle: dpa
Container Quelle: dpa
Bischofswohnung und Priesterseminar Quelle: dpa
Eissporthalle Quelle: Screenshot
Ehemaliger Nachtclub als Flüchtlingsunterkunft Quelle: dpa
Jugendherberge Quelle: dpa

Doch allein 2015 sind bislang schon mehr als 750.000 Asylsuchende hinzugekommen, unbearbeitete Altfälle und Folgeanträge gar nicht eingerechnet. Die gesetzlich eigentlich vorgeschriebene Marke, die Verfahren in drei Monaten abzuschließen, erscheint so – aller Rhetorik der Politiker zum Trotz – vollends unerreichbar.

Die Verantwortlichen in Ländern und Gemeinden werfen dem BAMF darüber hinaus zwei grundsätzliche Versäumnisse vor: mangelndes Problembewusstsein und geringen Eifer. Denn am bayrischen Stammsitz und in den Außenstellen arbeitet man bis heute so, als wäre jedes Asylverfahren ein normaler Verwaltungsvorgang wie die Beantragung eines Kfz-Kennzeichens oder die Verlängerung eines Personalausweises. Entsprechend gelten auch Regeln wie auf einem Einwohnermeldeamt: begrenzte Öffnungszeiten, langfristige Terminzuteilung, strikte Formalität.

Das hat bizarre Folgen. So schließt das Amt nicht nur jeden Abend seine Türen, es werden auch die Server ordentlich heruntergefahren. Ärgerlich, dass auf diesen Servern die Easy-Software liegt, mit der registrierte Flüchtlinge auf die Bundesländer verteilt werden. Mag die Bundespolizei an den Inn-Brücken bei Passau auch Nacht für Nacht Sonderschichten zur Personalienaufnahme fahren, weiterschicken kann sie die Flüchtlinge immer erst am nächsten Morgen, wenn um 6.00 Uhr der Easy-Server hochfährt und das Programm endlich seine Entscheidungen fällt.

Die Landesverwaltungen haben sich so sehr an den Irrsinn gewöhnt, dass sie schon mit kleinen Verbesserungen zufrieden sind. Noch im Sommer konnte zwischen Freitagabend und Montagmorgen kein einziger Flüchtling umverteilt werden. Seit einigen Wochen läuft der Server immerhin auch am Wochenende. Auch das Verfahren selbst läuft so korrekt wie zäh. Schließlich ist jeder Asylbescheid Ausdruck hoheitlichen Handelns, ein Verwaltungsakt erster Güte. Und das heißt auch: E-Mails sind undenkbar. Sobald das Verfahren abgeschlossen ist, gibt es einen Entscheid, der ordentlich verpackt und per Post verschickt werden will. Dass dafür im Schnitt drei Wochen draufgehen, in denen mögliche Widersprüche vor Gericht schon abgehandelt werden könnten, gilt zwar durchaus als ärgerlich, aber als unvermeidbar. Ordnung geht schließlich über alles.

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