Flüchtlingspolitik Das Integrationsgesetz ist nicht „historisch“, sondern überfällig – und lückenhaft

Fordern und fördern – das soll nun auch für Flüchtlinge gelten, um sie möglichst schnell in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Das ist richtig, aber kein Ersatz für ein richtiges Einwanderungsgesetz.

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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD, l) und der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer stellen das Integrationsgesetz vor. Quelle: dpa

Für Sigmar Gabriel ist es ein „historischer Schritt“, denn „erstmals in der Geschichte bekommt Deutschland ein Integrationsgesetz“. Der SPD-Chef und Vizekanzler ist am Donnerstag sichtlich stolz auf die Ergebnisse des Koalitionsgipfels, der am Abend zuvor bis spät in die Nacht getagt hatte. Das Integrationsgesetz will die Große Koalition aus Union und SPD nun gemeinsam mit den Bundesländern beschließen.

Was Gabriel mit dem Label „historisch“ versieht, ist vor allem eine notwendige Selbstverpflichtung. Rund eine Million Menschen, die im Zuge der Flüchtlingskrise nach Deutschland gekommen sind, müssen integriert werden. Akutes Flüchtlingsintegrationsgesetz wäre somit der ehrlichere Name gewesen. Ob es wirklich historisch ist, lässt sich womöglich in einigen Jahren bewerten.

Das Prinzip „fordern und fördern“, das seit Gerhard Schröders Agenda 2010 gilt, wird im neuen Integrationsgesetz fortgeschrieben. Für Bundeskanzlerin Angela Merkel geht es darum, „möglichst viele Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren“. Der Ansatz ist richtig, kommt aber reichlich spät. Anfang September letzten Jahres hatte sich Merkel zu einer liberalen Flüchtlingspolitik entschlossen und die Grenzen offen gehalten – anders als viele andere EU-Staaten. Die Integrationsangebote folgen nun mit einem halben Jahr Verspätung.

Flüchtlinge: Das ist der Integrationskatalog der CDU

Die Eckpunkte für das Integrationsgesetz sehen unter anderem Leistungskürzungen für Asylbewerber vor, die sich Integrationsmaßnahmen verweigern. Und wer geduldet wird, also kein anerkannter Flüchtling ist, eine Lehre beginnt und wieder abbricht, soll das Land verlassen. Ob und wie strikt solche Bestimmungen tatsächlich umgesetzt werden, wird erst ein Realitätscheck zeigen.

Zudem soll Flüchtlingen ein bestimmter Wohnort zugewiesen werden können, um Entwicklungen wie in Frankreich vorzubeugen, in denen in manchen Vororten und Stadtteilen Parallelgesellschaften entstanden sind. Die Regelung ist nachvollziehbar, sollte aber nicht starr angewendet werden. Ein Flüchtling, der beispielsweise einen Job in einem anderen Ort bekommt, muss diesen auch annehmen können – trotz Residenzpflicht.

Dass die sogenannte Vorrangprüfung für drei Jahre ausgesetzt wird, ist in jedem Fall sinnvoll. Bisher darf ein Flüchtling nur dann eine Arbeitsstelle annehmen, wenn dafür kein Deutscher oder Europäer zur Verfügung steht. Wie gesagt: Viele Regelungen waren längst überfällig: Das Signal, dass der Aufenthalt in Deutschland an Arbeit und Integrationswillen gekoppelt wird, ist richtig. Dies zeigt aber auch die Schwachstelle des Gesetzes: Viele Regeln nach dem Prinzip „fordern und fördern“ sind für jene gedacht, die nach dem Asylrecht gar keinen Anspruch haben, in Deutschland zu bleiben.

Deutschland braucht endlich ein Einwanderungsgesetz. Wir müssen zu dem Punkt gelangen, an dem wir gezielt jene zu uns holen, die in den Arbeitsmarkt passen und ohne hohe Investitionskosten ihren Beitrag leisten können. Das Integrationsgesetz, das jetzt beschlossen werden soll, leistet das nicht. Erst kürzlich hatte die frühere Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU) im Interview mit der WirtschaftsWoche erklärt, warum ein umfassendes Einwanderungsgesetz nötig ist.

„Wir brauchen endlich ein Gesetz, das die Themen Aufenthalt, Wohnen, Bildung, Arbeitsmarkt, Staatsangehörigkeit und Familiennachzug zusammenführt“, sagte Süssmuth. Einwanderung müsse für jedermann klar und verständlich formuliert und nachvollziehbar sein – „für die einheimische Bevölkerung und für diejenigen, die zu uns kommen wollen“.

Vor der nächsten Bundestagswahl wird es wohl kein Einwanderungsgesetz geben, zu sehr sind die Parteien zerstritten. Vor allem die CSU wehrt sich gegen die Tatsache, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist, das nach klaren Kriterien ausländische Arbeitskräfte ins Land holen und integrieren sollte. Ein modernes Einwanderungsgesetz kommt frühestens in zwei Jahren.

Es sind zwei verschenkte Jahre. Hätte die Koalition sich in der Nacht darauf verständigt, wäre es eine historische Leistung gewesen.

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