Flüchtlingspolitik Gabriels Breitseite für Kurz

In Österreich läuft sich Außenminister Kurz schon für die Kanzlerkandidatur warm. Das Treffen mit seinem deutschen Amtskollegen kam ihm deshalb denkbar ungelegen. Denn Gabriel wies ihn in der Flüchtlingsfrage zurecht.

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Der deutsche Außenminister verzichtete gegenüber seinem österreichischen Amtskollegen auf die üblichen Nettigkeiten. Quelle: AFP

Wien Eigentlich werden bei einem Antrittsbesuch eines neuen deutschen Außenministers in einem Nachbarland zum Auftakt vor allem Nettigkeiten ausgetauscht. Doch Sigmar Gabriel machte im Fall von Österreich die Ausnahme. Bei seinem Besuch am Montag in Wien warnte der frisch gebackene Außenamtschef die Alpenrepublik vor mangelndem Realismus in der Flüchtlingsfrage.

Den Vorschlag seines Amtskollegen Sebastian Kurz (ÖVP), Lager für Migranten in nordafrikanischen Ländern wie dem Bürgerkriegsland Libyen zu errichten, hält Gabriel für unrealistisch. „Ich rate dazu, nicht eine Welt zu malen, die nicht existiert“, sagte der deutsche Außenminister in Anwesenheit von Kurz in Wien. „In der Türkei haben wir einen Staat. In Libyen aber haben wir keinen Staat.“ Es sei gefährlich, den Eindruck zu erwecken, dass das Türkei-Abkommen zum Abfangen und Betreuen von Flüchtlingen auf Länder wie Libyen und Tunesien übertragbar sei.

EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani (Forza Italia) hat sich nun wie Kurz für Flüchtlingslager in Nordafrika ausgesprochen. „Es wäre richtig, Auffanglager in Libyen zu installieren. Die EU sollte zu diesem Zweck ein Abkommen mit Libyen vereinbaren“, sagte der rechtskonservative Italiener. Kurz sagte dazu: „Ich finde, dass die Diskussion ehrlicher wird und nicht mehr so verlogen ist wie vor einiger Zeit.“

Außenminister Kurz schlägt bereits seit vergangenem Jahr die Schaffung von Auffanglagern in Nordafrika vor, um den Flüchtlingsstrom über das Mittelmeer nach Italien zu stoppen. In diesem Zusammenhang forderte Gabriel grundsätzlich: „Die Politik muss durchdenken, was sie vorschlägt.“ Der deutsche Außenminister plädiert stattdessen für die Bekämpfung der Fluchtursachen – beispielsweise in Schwarzafrika. Dafür müssten auch die finanziellen Anstrengungen der Europäer größer werden. Deutschland sei dazu bereit, seinen Beitrag zu leisten.


„Auch Deutschland wird alleine kein Gehör finden“

Gabriels Breitseite gegen seinen Amtskollegen Kurz kommt für den rechtskonservativen Politiker ungelegen. Denn der ehemalige Jura-Student läuft sich bereits für eine Kanzlerkandidatur warm. Im Herbst nächsten Jahres wählt Österreich ein neues Parlament. Bislang ist die ÖVP nach der SPÖ und der rechtspopulistischen ÖVP nur die drittstärkste Kraft in der Alpenrepublik. In der ÖVP gilt der 31-Jährige als der große Hoffnungsträger, auch wenn er seine offizielle Kandidatur noch nicht angemeldet hat. Erst vor wenigen Worten überwanden SPÖ und ÖVP eine Koalitionskrise und vermieden somit vorgezogene Neuwahlen.

Zwischen dem österreichischen Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) und Gabriel herrschte dagegen Einigkeit. Hinsichtlich des europäischen Einigungsprozess sprachen sich beide in Wien für eine Stärkung und eine Veränderung der Europäischen Union aus. Eine immer engere EU sei an ihre Grenzen gestoßen. „Wir befürworten mehr Integration, aber weniger Mikromanagement und Detailsteuerung aus Brüssel. Das vereint uns“, sagte Vizekanzler Gabriel in der Donaumetropole. „Europa wird sich nicht einfach so weiterentwickeln können wie in den letzten Jahrzehnten.“

Europa hat nach Ansicht des österreichischen Bundeskanzlers Kern seit der Wahl von US-Präsidenten Donald Trump, der Interesse an der Schwächung Europas habe, eine noch größere Bedeutung. „Es ist ein Gebot der Zeit, dass die Interessen Europas konsequent und stark vertreten werden. Das geht nur mit einem Schulterschluss innerhalb der Union“, erklärte Kern.

Gabriel kritisierte Populisten, welche das europäische Projekt mit Falschbehauptungen beschädigen. „Wir sind nicht Nettozahler, sondern Nettogewinner“, sagt der Außenminister an die Adresse von EU-Kritikern in Deutschland. „Wir sind durch Europa reich geworden.“ Er warnte einzelne EU-Mitglieder vor nationalistischen Alleingängen. Nur gemeinsam hätte Europa eine Stimme. „Selbst das starke Deutschland wird alleine kein Gehör finden“, sagte Gabriel. Er forderte den Binnenmarkt zu einer sozialen Marktwirtschaft umzubauen.

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