Flüchtlingspolitik Hohe Erwartungen an Krisentreffen

Schwarz-Rot braucht überzeugende Lösungen in der Flüchtlingskrise – statt Dauerzoff zwischen Berlin und München. Doch bei dem Krisentreffen der Koalitionsspitzen könnte Horst Seehofer die Regierung weiter spalten.

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Der Zustrom von Flüchtlingen an der österreichisch-deutschen Grenze soll von Samstag an geregelter ablaufen. In Berlin berät die Koalition unterdessen über die deutsche Asylpolitik. Quelle: dpa

Berlin/Passau Vor dem Krisentreffen der Koalitionsspitzen in Berlin haben Politiker von CDU und SPD konstruktive Lösungen und eine einheitliche Linie der Regierung in der Flüchtlingspolitik angemahnt. CDU-Parteivize Armin Laschet forderte die Union auf zu handeln, statt zu streiten. „In der Sache und für die Union wäre es gut, wenn dieser Streit beendet wird, und man wirklich wieder an Problemlösungen arbeitet“, sagte der nordrhein-westfälische CDU-Landeschef der Zeitung „Die Welt“ (Samstag).

Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) sagte, es sei an der Zeit, dass sich CDU und CSU zusammenrauften. „Die Menschen erwarten zu Recht von uns, dass wir konzentriert unsere Arbeit machen und alles tun, um die Probleme zu lösen.“ Die Union warnte er davor, die Stimmung in der Flüchtlingskrise weiter anzuheizen. „Populistischer Krawall löst kein einziges Problem“, sagte Maas der Deutschen Presse-Agentur, ohne CSU-Chef Horst Seehofer beim Namen zu nennen.

NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) rief die Unions-Parteien zu einem konstruktiven Kurs in der Flüchtlingspolitik auf. Die CSU habe mit ihren „unausgegorenen Vorschlägen“ zuletzt für große Verunsicherung in der Bevölkerung gesorgt. „Verunsicherung ist ein schlechter Nährboden“, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur. „Ganz wichtig ist, dass die Politik zusammensteht und dass wir eine gemeinsame Haltung entwickeln.“

Damit weniger Flüchtlinge nach Europa kämen, müssten Fluchtursachen in den Herkunftsländern bekämpft werden. Es sei aber entscheidend, „dass wir keine Zäune bauen, sondern dass wir die Errungenschaften, die wir in Europa haben, behalten“, sagte sie.

Kraft hatte am Donnerstag und Freitag bei einem Besuch in Österreich unter anderem Bundespräsident Heinz Fischer und Bundeskanzler Werner Faymann getroffen. Sie habe gespürt, dass Österreich wegen der Kritik aus Deutschland „stark beunruhigt“ sei, sagte Kraft. Zuletzt hatten unter anderem CSU-Chef Horst Seehofer und Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) Österreich vorgeworfen, zu viele Flüchtlinge über die Grenze nach Deutschland zu schicken. Kraft betonte: „Österreich behält auch viele Flüchtlinge, das darf nicht übersehen werden.“ Das Nachbarland stehe ebenso wie Deutschland vor großen organisatorischen Problemen.

Zur Vorbereitung der Gespräche in Berlin treffen sich zunächst die Parteispitzen von Union und SPD zu getrennten Sitzungen. Für Sonntag ist dann ein Dreiergipfel von Kanzlerin Angela Merkel (CDU), Bayerns Ministerpräsidenten Seehofer und dem SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel geplant. Sie wollen beraten, ob und wie die Koalition auf unverändert hohe Flüchtlingszahlen und die zugespitzte Lage an der Grenze zu Österreich reagieren kann. Seehofer hatte zuletzt ultimativ gefordert, den Flüchtlingszustrom zu begrenzen.

An den Grenzen im Raum Passau ließ der Zustrom von Migranten unterdessen etwas nach. Die Bundespolizei rechnete am Freitag mit bis zu 5000 Menschen. Trotz der geringeren Zahl im Vergleich zu Vortagen, dauerte der Weitertransport am Übergang in Wegscheid bis tief in die Nacht. Von Samstag an soll der Andrang an der Grenze zu Österreich geregelter ablaufen. Die beiden Länder einigten sich darauf, an fünf Grenzübergängen in Bayern sogenannte Übergabe- und Kontrollstellen einzurichten.

Glücklicherweise müssen die Flüchtlinge in Wegscheid nicht mehr stundenlang auf einer nassen und kalten Wiese ausharren. Die österreichischen Behörden hatten am Freitag ein großes Zelt aufgebaut, in dem rund 1000 Menschen Platz finden. Das 100 Meter lange und 10 Meter breite Zelt ist winterfest, hat einen durchgehenden Holzboden gegen die Kälte von unten und kann beheizt werden.

Auch der Transport nach Deutschland und die Verteilung soll künftig schneller ablaufen. Die Koordinierungsstelle Flüchtlingsverteilung des Bundesinnenministeriums hat zugesagt, in Passau 100 Busse zu stationieren. Damit sollen die Kapazitäten in dem Grenzraum von derzeit 4500 auf etwa 7000 Menschen täglich erhöht werden.


Der Unionskonflikt gefährde die Regierung

Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter forderte Merkel und Gabriel auf, sich von der CSU-Führung nicht erpressen zu lassen. Sie sollten die Drohungen des bayerischen Ministerpräsidenten ins Leere laufen lassen, sagte Hofreiter den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Samstag). „Soll er doch seine CSU aus der Bundesregierung abziehen. Das wäre kein Schaden, sondern eine Erleichterung“, sagte der Grünen-Politiker.

Lob für die Kanzlerin kam von Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth. „Ich bin froh, dass Angela Merkel versucht, in einer Welt, die in Unordnung geraten ist, einen klaren Kopf zu behalten“, sagte die Grünen-Politikerin der „Passauer Neuen Presse“ (Samstag). Es brauche in der aktuellen Situation die Zuversicht Merkels, „dass wir die Mittel in der Hand haben, die Situation zu bewältigen“.

Der Vorsitzende der konservativen EVP-Fraktion im Europäischen Parlament, Manfred Weber (CSU), lobte Merkel. „Wenn man vor großen Aufgaben steht, muss politische Führung Mut und nicht Angst machen. Das verkörpert die Bundeskanzlerin“, sagte er der „Schwäbischen Zeitung“ (Samstag). Weber forderte eine gesamteuropäische Lösung: „Entscheidend ist, zu verstehen, dass es ein Land alleine definitiv nicht mehr schaffen kann.“

Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht konstatierte: „Die große Koalition ist erkennbar am Ende.“ Sie sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe: „Eine ziel- und planlose und überdies hoffnungslos zerstrittene Regierung wird die großen Probleme im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise nicht bewältigen.“ Deutschland brauche eine Regierung, die „endlich Verantwortung übernimmt, statt die Städte und Gemeinden überwiegend allein zu lassen“.

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Bosbach sagte dem Sender n-tv: „Die Menschen im Land möchten nicht wissen, worüber man in der Koalition oder in der Union streitet, sondern was wir genau unternehmen werden, um die Probleme möglichst rasch lösen zu können.“

Zu Gabriels Äußerung, der Unionskonflikt gefährde die Regierung, meinte Bosbach: „Herr Gabriel könnte selber einen wichtigen Beitrag zur Problemlösung leisten, wenn er seine Partei davon überzeugen könnte, dass es wichtig und richtig ist, dass wir möglichst rasch Transitzonen einrichten oder ein Landgrenzenverfahren einführen - um diejenigen schneller wieder in die Heimat zurückführen zu können, die unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen Anspruch auf Asyl in Deutschland haben.“

SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann sagte dem „Spiegel“ indes: „Haftlagern werden wir nicht zustimmen.“ Er räumte ein: „Wir müssen aber unabhängig davon schnell zu durchsetzungsstarken Grenzkontrollen kommen und für geordnete Verhältnisse bei der Einreise nach Deutschland sorgen.“

Der Geschäftsführer der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl, Günter Burkhardt, glaubt nicht an „rationale Vorschläge“ als Ergebnis der Koalitionstreffen. „Ich befürchte, dass irgendeine rechtsstaatlich problematische Lösung herauskommt, nur damit Horst Seehofer mit einem Triumphgeheul wieder nach München fahren kann“, sagte er dem ZDF-Portal heute.de. Burkhardt forderte Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) und Gabriel auf, bei ihren rechtsstaatlichen Bedenken gegen Transitzonen an der deutschen Grenze zu bleiben.

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