Flüchtlingsstrom nach Europa 22 Länder verweigern sich, nur sechs sind offen

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Italien fühlt sich im Stich gelassen

In Frankreich ist die Rhetorik gegenüber Flüchtlingen zwar deutlich friedfertiger (geworden). Verantwortung hat das Land aber wenig übernommen. Acht Prozent der Asylsuchenden hatten die Franzosen in den ersten drei Monaten des Jahres aufgenommen. Das waren gerade Mal 224 Asylsuchenden pro eine Million Einwohner.

Immerhin: Mit Hilfe der EU will Frankreich in der Hafenstadt Calais nun ein neues Flüchtlingslager mit Platz für bis zu 1500 Menschen errichten. Das Lager solle Anfang nächsten Jahres entstehen, sagte Frankreichs Premierminister Manuel Valls am Montag in Calais, einer der Brennpunkte in der Flüchtlingskrise in Europa.

In der am Ärmelkanal gelegenen Stadt sitzen mehr als 3000 Flüchtlinge aus Ländern wie Afghanistan, Syrien, Eritrea und dem Sudan fest. Sie wollen auf Fähren oder durch den Eurotunnel nach Großbritannien gelangen. Die meisten der Flüchtlinge leben unter sehr schlechten Bedingungen in einem improvisierten Flüchtlingslager, das unter dem Namen "Neuer Dschungel" bekannt wurde und Hilfsorganisationen kritisiert wird.

Auch Italien handhabt seine Asylpolitik zunehmend restriktiver. Im ersten Quartal 2015 nahmen die Italiener rund ein Drittel weniger Flüchtlinge auf als im vierten Quartal 2014. Letztlich waren es acht Prozent aller europäischen Asylsuchenden, die Italien aufnahm, gerade Mal 224 pro eine Million Einwohner. Ministerpräsident Matteo Renzi hatte die europäischen Staats- und Regierungschefs vor kurzem heftig kritisiert. „Ihr verdient es nicht, Europäer genannt zu werden“, soll er seinen Kollegen bei einem EU-Gipfel gesagt haben. Der Hintergrund: Italien leidet besonders unter Flüchtlingen, die sich über das Mittelmeer auf dem Weg nach Europa machen. Rom fühlt sich von seinen EU-Partner alleine gelassen.

Besonders betroffen von den Flüchtlingsstrom sind auch die Staaten auf der Balkan-Route: Die führt von Griechenland über Mazedonien, Serbien, Ungarn oder Tschechien nach Österreich, Deutschland oder noch weiter Richtung Norden. Obwohl die Flüchtlinge in der Regel nur die Staaten durchreisen anstatt sich dort niederzulassen, ist der Widerstand in den betroffenen und umliegenden osteuropäischen Ländern groß. „Niemand hat euch hierher eingeladen“, sagte Tschechiens Staatspräsident Milos Zeman kürzlich in einem Interview. Das Land nahm zuletzt nur 35 Flüchtlinge pro eine Million Einwohner auf.

Die Slowakei kündigte an, dass sie nur muslimische Flüchtlinge aufnehmen wolle. Schließlich gebe es im ganzen Land keine Moscheen – wie sollen sich die Asylbewerber dann wohlfühlen können? Die EU-Kommission machte Druck, weil dieses Verhalten gegen internationale Vereinbarungen wie der Genfer Konvention widerspreche. Schon wenige Stunden später rückte die slowakische Regierung wieder von ihrer Aussage ab.

Trotzdem, das Beispiel verdeutlicht, wie viele der osteuropäischen Regierungen mit dem Flüchtlingsproblem umgehen: Sie sind überfordert, für viele sind Migrationsströme sind ein völlig neues Problem. Rechte Splitterparteien heizen in Ungarn oder Tschechien die Stimmung an. Kaum einer der Staaten will deshalb freiwillig Flüchtlinge aufnehmen.

Mazedonien hat wegen der steigenden Flüchtlingszahlen mittlerweile einen Ausnahmezustand ausgerufen. Wegen der „massiven illegalen Grenzübertritte“ will die Regierung nun die Grenze zu Griechenland mit Soldaten kontrollieren und die örtliche Bevölkerung schützen. Mit Tränengas und Blendgranaten hinderten Polizisten die Flüchtlinge am Überqueren der Grenze. Das ist eine Kehrtwende in der Politik: Bisher hatte die Regierung die Flüchtlinge einfach durchreisen lassen. Auch Rumänien, das bisher kaum von den Flüchtlingsströmen betroffen, hat mittlerweile Soldaten an der Grenze zu Mazedonien postiert.

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