Flüchtlingsstudie Gegen Sex vor der Ehe, gegen Schwule, für Demokratie

Sex vor der Ehe ist eine Sünde, viele lehnen Schwule und Juden ab: Die Mehrheit der Flüchtlinge hat AfD-nahe Werte, wie eine Umfrage ergibt. Die Einstellungen der Migranten erinnern an das Deutschland der 50er-Jahre.

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Fast jeder Zweite hält einer Studie zufolge Sex vor der Ehe für eine Sünde. Quelle: dpa

Berlin Flüchtlinge lieben die Kanzlerin. Mehr als vier von fünf Flüchtlingen sind überzeugt, dass Angela Merkel ihnen gegenüber positiv eingestellt ist. Und auch die CDU profitiert ein bisschen von Merkels Popularität – und gilt unter den Zuwanderern als die Partei, die sich am besten um Flüchtlinge kümmert. Die AfD kommt unter den Geflüchteten hingegen am schlechtesten weg. Und das, obwohl Flüchtlinge und AfD-Wähler so manches gemeinsam haben.

Eine Studie der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft (HMKW), die 1000 Geflüchtete in Berliner Unterkünften nach ihren Einstellungen zu Demokratie, Religion, Normen des Zusammenlebens und ihrer Sicht auf die neue Heimat befragt hat, zeigt: Insgesamt sehen sie Deutschland durch die rosarote Brille. Aber ihre Einstellungen – etwa zu Frauenrechten oder Homosexuellen – erinnern teilweise eher an das Deutschland der 50er-Jahre.

Fast jeder zweite Befragte hält Sex vor der Ehe für eine Sünde, die bestraft werden müsse. Immerhin jeder vierte Befragte würde vorziehen, keine unverheirateten Paare in der Nachbarschaft zu haben. Ganze 43 Prozent fänden es unangenehm, neben einem schwulen Paar zu wohnen.

Und auch Ressentiments gegenüber Juden sind unter den Befragten weit verbreitet. Jeder siebte Studienteilnehmer fände es nicht gut, eine jüdische Familie aus Israel in der Nachbarschaft zu haben – und das, obwohl 87 Prozent der Befragten Religion für Privatsache halten und somit die gängigen Klischees von religiösem Fundamentalismus widerlegen.

Die Studie zeigt aber auch: Das Bild von Flüchtlingen als frauenverachtenden Machos ist ebenfalls überzogen. Nicht nur wissen die meisten Flüchtlinge über die Ereignisse in der Kölner Silvesternacht Bescheid. Rund 80 Prozent sprachen sich auch für gleiche Recht für Männer und Frauen aus.

Insgesamt vertritt eine Mehrheit der Studienteilnehmer Positionen, die am ehesten denen von AfD-Wählern ähneln. Besonders, wenn es um freie Liebe und Homosexualität geht, der rund ein Drittel der AfD-Anhänger ablehnend gegenüberstehen. Besonders erstaunt hat die Studienautoren, dass 64 Prozent der Befragten Sympathien für einen Diktator zeigten – wenn dieser zum Wohle aller regiert.

„Solche Sympathien für autoritäre Regierungsformen kennt man hierzulande eher von Rechtsradikalen und Rechtspopulisten“, sagt Ronald Freytag, Kanzler der HMKW und Studienautor. Außerdem fällt auf: Die Studienteilnehmer widersprechen sich selbst.


Es muss nur schnell gehen

Denn gleichzeitig gab eine überwältigende Mehrheit an, die Demokratie sei die beste aller Staatsformen. „Die Flüchtlinge sind ungefähr da, wo die Deutschen vor einigen Jahrzehnten waren“, erklärt Ronald Freytag: „Vor dreißig Jahren lehnten in Deutschland ähnlich viele Menschen Homosexualität ab wie heute unter den Flüchtlingen.“ Gewisse Transformationsprozesse haben in den Herkunftsländern offenbar noch nicht stattgefunden. Das lasse sich auch daran ablesen, dass selbst junge Flüchtlinge nicht viel liberaler eingestellt seien als der Rest.

Langfristig müsse sich das jedoch ändern, so die Studienautoren. „Wir leiten aus unseren Ergebnissen einen eindeutigen Bildungsauftrag ab“, erklär Freytag: „Auch weil rund 70 Prozent der Flüchtlinge für immer in Deutschland bleiben wollen.“ Nicht nur müsse gezielt Integrationsarbeit geleistet werden, um den Geflüchteten die liberale Mehrheitskultur in Deutschland näherzubringen. Auch die Defizite in politischer Bildung gelte es zu beheben.

Ob das gelingen wird? Die Studienautoren geben sich optimistisch. „Die Menschen fordern Sprachkurse direkt ein“, sagt Freytag: „Und ein Großteil der Befragten möchte erstmal eine Ausbildung machen, um dann einen besseren Job zu bekommen.“

Also beste Chancen. Es muss nur schnell gehen. Die meisten Befragten haben ein höchst positives Bild von Deutschland. Gelebte Meinungsfreiheit und unbestechliche Beamte werden geschätzt. Besonders von Bundeskanzlerin Angela Merkel glaubten über 80 Prozent, dass sie Flüchtlingen wohlgesonnen sei. Noch mehr gaben an, die Deutschen würden ihnen helfen wollen. Doch dieses Bild kann sich schnell ändern, wenn die Euphorie, dem Krieg in der Heimat entkommen zu sein, erst der Langeweile im Flüchtlingsheim oder dem Frust am Arbeitsmarkt weicht.

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