Föderalismus Die Ministerpräsidenten spielen ihre Macht aus

Bund und Länder ringen um die größten Reformbaustellen des Landes. Parteibücher spielen dabei kaum mehr eine Rolle. Stattdessen machen die Landesfürsten gemeinsame Sache gegen den Bund.

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Ohne die Länderchefs um Horst Seehofer (CSU) und Winfried Kretschmann (Grüne) geht in Berlin nichts. Quelle: dpa

Normalerweise treffen sich alle Ministerpräsidenten der Bundesländer nur vierteljährlich, so wie vergangene Woche in Heidelberg. Aber was heißt schon normal? Künftig sehen sich 15 der 16 Damen und Herren mindestens wöchentlich in der Bundeshauptstadt. Sie alle gehören zur großen Verhandlungsrunde von CDU, CSU und SPD, die die große Koalition aus der Taufe heben soll. Etliche Minister aus der Provinz sind dabei, ebenso Fraktions- und Landeschefs. Bei den Sozialdemokraten stellen die Landespolitiker sogar die Mehrheit der Delegation. Das Signal ist eindeutig: Bundespolitik ist Ländersache.

Die große schwarz-rote Runde ist eine inoffizielle Bund-Länder-Kommission. Natürlich, es geht nun mit Leidenschaft um den Koalitionsvertrag, um Mindestlöhne, um Rente, Betreuungsgeld, Europa, mehr Steuern oder nicht. Aber das föderale Gefüge der Bundesrepublik steht immer mit auf der Agenda. Es ringen nicht nur Unionisten mit Genossen, es ringen Bund und Länder miteinander. Das Parteibuch hilft da bei der Orientierung nur bedingt.

Alle großen Probleme, die die künftige Bundesregierung anpacken will oder muss, kann sie nur mithilfe der Länder lösen. Ohne die Zustimmung des Bundesrats läuft nichts. Ob Bildung, Infrastruktur oder Energiewende – die gemeinsame Finanzierung oder die Verwaltung der Bundesaufgaben durch Länder und Kommunen geben den Ministerpräsidenten einen kräftigen Hebel in die Hand. Den wollen sie nutzen, um die eigene Finanzlage zu verbessern. Die ach so große Koalition schrumpft zu einer Regierung von Länder Gnaden.

Die wichtigsten Ministerpräsidenten

Entsprechend selbstbewusst tönt es aus der Ferne nach Berlin. „Wir sprechen sicher ein Wörtchen mit“, sagt der niedersächsische SPD-Ministerpräsident Stephan Weil mit demonstrativer Gelassenheit. Schließlich würden „die Vertreter der Länder immer wieder – über die Parteigrenzen hinweg – Gemeinsamkeiten feststellen“. „Es wird sicher immer Forderungen an den Bund geben, wo sich alle Länder einig sind“, ergänzt der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU).

2019 ist das Schicksalsdatum, das die Ministerpräsidenten vereint. Dann laufen der Solidarpakt und der Länderfinanzausgleich aus. Ein Jahr später greift die Schuldenbremse endgültig. Alle stehen in den nächsten Jahren unter gehörigem Spardruck und fordern – mal lauter, mal leiser – Unterstützung vom Bund.

Ein Blick in den Bundesrat zeigt, wie ohnmächtig die neue Bundesregierung sein wird. Obwohl die beiden großen Parteien im Bundestag 80 Prozent der Mandate halten, bringen sie in der zweiten Kammer keine Mehrheit zustande (siehe Grafik Seite 26). Darin spiegelt sich die Schwäche der Volksparteien, die in kaum einem Land ohne Koalitionspartner regieren können.

Mehr Mitsprache für die Grünen

Traditionell enthalten sich die Landesregierungen im Bundesrat der Stimme, wenn sich die heimische Koalition nicht auf eine gemeinsame Linie einigen kann. Da jeder Antrag im Bundesrat die absolute Mehrheit erfordert, wirkt eine Enthaltung wie ein Nein. Vorteil Bund: Bei den sogenannten Einspruchsgesetzen kommt kein Veto des Bundesrates zustande.
Vorteil Länder: Rat ist teuer

Zustimmungsgesetze brauchen eine Mehrheit, damit das Paragrafenwerk in Kraft tritt. Da die Stimmen der einzig verbliebenen schwarz-gelben Koalition in Sachsen ohnehin nicht ausreichen, müssen sich Union und SPD um das Plazet der rot-grün regierten Länder bemühen. Der Union ist das nicht einmal unlieb, schließlich will sie die Ökopartei als weitere Koalitionsoption heranziehen. Den Grünen ermöglicht das eine erhebliche Mitsprache in der Bundespolitik.

Und die wollen das Angebot kräftig nutzen. So möchte der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann neben der Energiewende vor allem für eine bessere Finanzausstattung kämpfen. „Hier werde ich mich für eine dritte Föderalismuskommission starkmachen. Ziel muss es sein, in Verhandlungen mit den anderen Ländern und dem Bund, ein faires, transparentes Ausgleichssystem zu erreichen.“ Die Zeit dränge: „Uns eint doch alle die Sorge, wie wir unter der Regie der Schuldenbremse ab 2020 zukünftig noch politischen Gestaltungsspielraum haben.“

Der grüne Vizeregierungschef in Schleswig-Holstein, Robert Habeck, setzt ebenfalls auf die Länderkammer: „Dort sind die Grünen über die Landesregierungen direkt an vielen Entscheidungen beteiligt und können Einfluss nehmen.“ Das beschränke sich nicht auf Themen wie die Energiewende, schließlich hätten Grünenpolitiker in den Ländern inzwischen eine Vielzahl an Ministerien inne: Wirtschaft, Bildung, Finanzen, Umwelt, Landwirtschaft, Verkehr oder Justiz. „Initiativen und Einmischung sind in allen Themenfeldern zu erwarten.“

Was die Verhandlungsposition des Bundes schwächt: Die Entwicklung seiner Finanzen geht in die richtige Richtung. Von einer geplanten Neuverschuldung von 25,1 Milliarden Euro in diesem Jahr dreht der Saldo des Bundeshaushalts ab 2015 ins Positive. 2016 rechnen die Beamten von Finanzminister Wolfgang Schäuble mit einem Plus von 5,2 Milliarden Euro, ein Jahr später soll der Überschuss schon fast doppelt so hoch ausfallen. Vorausgesetzt natürlich, die sich zusammenkaufende Koalition schafft nicht lauter neue Ausgabeposten.

Länderwunsch: Die Finanzausstattung komplett ändern

So hat sich der Staatshaushalt in den letzten Jahren entwickelt
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat sich sowohl vor als auch nach der Wahl gegen Steuererhöhungen ausgesprochen. "Ich als Finanzminister sage: Dieses Land hat einen gesamtstaatlichen Überschuss. Bei einem vernünftigen Haushaltsgebaren ist unser Staat gut zu finanzieren. Es bedarf keiner Steuererhöhungen", so Schäuble im Interview mit der WirtschaftsWoche. Er warf SPD und Grünen vor, sie könnten nicht mit Geld umgehen, wenn sie höhere Steuern für nötig hielten. Doch jetzt lenkt auch SPD-Chef Sigmar Gabriel ein und sagt: "Steuererhöhungen sind kein Selbstzweck." Ein Blick auf die Entwicklung von Einnahmen und Ausgaben Deutschlands zeigt, dass die Einnahmen in den letzten Jahren tatsächlich stetig gestiegen sind. Quelle: dpa
2005 nahm Deutschland gut 250 Milliarden Euro ein und gab 281,5 Milliarden Euro aus. Der Saldo im Haushaltsjahr betrug also 31,5 Milliarden Euro. Quelle: dpa
Im Krisenjahr 2009 ist der deutsche Staatshaushalt noch tiefer in die roten Zahlen gerutscht. 282,6 Milliarden Euro nahm der Bund über Steuern ein, 317,1 Milliarde Euro gab er aus. Das Defizit betrug also 34,5 Milliarden Euro. Quelle: dpa
2010 betrug der Saldo sogar 44,4 Milliarden Euro: 333,1 Milliarde Ausgaben standen 288,7 Milliarden Euro Einnahmen gegenüber. Schuld an dem Ausgabenüberschuss sind mitunter Wahlgeschenke wie das 2007 eingeführte Elterngeld, dass den Bund jährlich 4,5 Milliarden Euro kostet oder die Rentengarantie, die 2009 ins Leben gerufen wurde: Sie kostet jährlich gut drei Milliarden Euro. Steuersubventionen wie die Absetzbarkeit der Kirchensteuer belasten den Bundeshaushalt mit 2,8 Milliarden Euro. Quelle: dapd
2011 war die Differenz zwischen Einnahmen und Ausgaben dann schon deutlich geringer: Zwischen Einnahmen (351,1 Milliarden Euro) und Ausgaben (363,5 Milliarden Euro) lagen bloß noch 12,4 Milliarden Euro Unterschied. Trotzdem könnte der Staat jährlich bis zu 60 Milliarden Eurosparen, würde er die Steuerausnahmen für die Industrie und Entlastungen wie beispielsweise bei Strom und Energie streichen. Quelle: dpa
2012 betrug die Differenz zwischen Einnahmen (337,9 Milliarden Euro) und Ausgaben (356,4 Milliarden Euro) 18,5 Milliarden Euro. Damit waren sowohl Einnahmen als auch Ausgaben niedriger als im Jahr davor. Dafür fiel der Saldo höher aus. Quelle: REUTERS

Das weckt Begehrlichkeiten. Denn bei den Ländern ist die Lage deutlich schwieriger. Zwar geht auch bei ihnen die Neuverschuldung zurück, aber die Ministerpräsidenten und ihre Finanzminister fürchten die Zeitbomben in ihren Etats. Weil Länder und Kommunen den Großteil des Beamtenheeres und der sonstigen öffentlich Bediensteten unterhalten, stehen sie auch für die wachsenden Pensionslasten gerade.

Und vor allem: Die Schuldenbremse im Grundgesetz knebelt die Länder erheblich stärker als den Bund. Denn während der jederzeit neue Kredite in Höhe von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes – rund 9,5 Milliarden Euro – ordern darf und weitere Schlupflöcher nutzen kann (siehe WirtschaftsWoche 43/2013), dürfen die Länder ab 2020 keinen Cent mehr zusätzlich aufnehmen.
Finanzen: Armrechnen

Entsprechend wollen die Länder die Finanzausstattung völlig neu justieren: Systematisch richtig wäre es, die Zuständigkeiten sauber zu trennen und jeder Ebene so viel Geld zuzuordnen, dass jeder seine Aufgaben erledigen kann. Aber ein solcher Neustart ist unwahrscheinlich. Denn dann müssten auch die Steuereinnahmen neu verteilt werden. Bisher fließen Mehrwert-, Kapitalertrag- sowie Lohn- und Einkommensteuer zu unterschiedlichen Prozentsätzen an die drei Ebenen des Staates. Die Körperschaftsteuer gehört hälftig Bund und Ländern.

In den vergangenen Jahren haben die Länder dem Bund schon finanzielle Zugeständnisse abgerungen. So steigerte er seine Zahlungen für die Wohnkosten der Hartz-IV-Empfänger und übernahm das Bildungspaket für Kinder armer Familien. Auch die Grundsicherung im Alter – die Sozialhilfe für Rentner – zahlt Schäuble. Dafür reduzierte der Bund seinen Beitrag für die Arbeitsförderung. Und mit den Entflechtungsmitteln versüßte der Bund den Ländern seinen Rückzug aus der Finanzierung kommunaler Verkehrswege.

In der nächsten Runde wollen die Länder erreichen, dass der Bund auch die Kosten für die Eingliederung Behinderter übernimmt. Und ein noch drückenderes Problem: die Altschulden der Länder.

Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz hatte einen Tilgungsfonds vorgeschlagen, in dem die Altschulden der Länder zusammengefasst werden. Gespeist werden soll er aus den Mitteln des heutigen Solidarpaktes II, mit dem bisher die neuen Länder unterstützt werden. Der läuft 2019 aus. Diese Gelder sollten dann für die Bedienung der Altschulden bereitstehen und direkt vom Bund verwaltet werden.

Die SPD-Länder sind sich da weitgehend einig, auch die saarländische CDU-Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer hegt Sympathien. Praktisch für die Länder: Verhandlungsführer der SPD in allen Finanzfragen und damit Gegenspieler von Wolfgang Schäuble ist – der Hamburger Scholz.

Mehr Geld vom Bund für die Länder

Das sind die größten Baustellen der neuen Regierung
EnergiewendeDie Strompreise steigen, der Ausbau der erneuerbaren Energien kommt nur mühsam voran. Klar ist: Die Ökostrom-Förderung muss reformiert werden, damit die erneut gestiegenen Kosten nicht aus dem Ruder laufen. Auch über die Notwendigkeit des Netzausbaus sind sich die Parteien einig. Für Streit sorgen aber die genauen Trassenplanungen, hier kommt auch Widerstand aus Bundesländern. Umstritten ist, ob neue Kohlekraftwerke gebaut werden sollen, und inwieweit konventionelle Kraftwerke gefördert werden müssen. Quelle: dpa Picture-Alliance
EurokriseDer Bundestag wird aller Voraussicht nach bald über ein drittes Hilfspaket für Griechenland abstimmen müssen. Die Milliardenhilfen sind nötig, weil sich das Land noch nicht selbst an den Märkten finanzieren kann. Auch beim Großprojekt Bankenunion, die die Banken in der EU unter bessere Aufsicht und Kontrolle stellen soll, stehen schwierige Entscheidungen an. Ziel ist, dass nicht mehr die Steuerzahler mit Milliardensummen für Bankenpleiten zahlen müssen. Berlin ist mit den bisherigen Vorschlägen aus Brüssel aber nicht einverstanden. Langfristig steht eine grundlegende Reform der Wirtschafts- und Währungsunion an. Quelle: dpa Picture-Alliance
HaushaltDie Schuldenbremse zwingt Bund und Länder zum Sparen. Die Bundesregierung darf sich ab 2016 nur noch in Höhe von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes verschulden, was nach bisheriger Planung auch gelingen wird. Die Länder dürfen ab 2020 gar keine Schulden mehr machen und haben teilweise noch größere Anstrengungen vor sich. Dem Sparzwang stehen teure Wahlversprechen der Parteien gegenüber. Es geht um Investitionen in Bildung und Infrastruktur und um die Besserstellung von Familien. Unklar ist, wo das Geld dafür herkommt. SPD und Grüne wollen die Steuern erhöhen, die Union hofft auf Mehreinnahmen durch Wachstum. Quelle: obs
VerkehrStraßen und Schienen müssen vielerorts auf Vordermann gebracht werden. Der Staat hat in den vergangenen Jahren zu wenig Geld in Infrastruktur gesteckt, da sind sich viele Ökonomen und Verbände einig. Umstritten ist aber, wie das angesichts knapper Kassen geändert werden könnte, und welche Prioritäten dabei gesetzt werden sollen. Die CSU setzt als einzige Partei auf eine Pkw-Maut für Ausländer - und will bei dem Thema hart verhandeln. Quelle: dpa
PflegeZwischen Gesundheitsexperten und Politik besteht weitgehend Konsens: Menschen mit Demenz und psychischen Erkrankungen müssen mehr Leistungen aus der Pflegeversicherung bekommen. Bislang ist die Versicherung auf körperliche Gebrechen ausgerichtet. Der Expertenbeirat der Bundesregierung hat Reformvorschläge vorgelegt und eine Umsetzung bis Ende 2014 angemahnt. Die Reform könnte schätzungsweise 200.000 Menschen zugute kommen. Die zusätzlichen Kosten werden auf zwei bis fünf Milliarden Euro veranschlagt. Quelle: dpa
FöderalismusBund und Länder müssen ihre Finanzbeziehungen bis 2019 neu regeln. Dann läuft der Solidarpakt aus, der bislang den neuen Ländern zusätzliche Finanzmittel sicherte. Das bedeutet auch, dass der Länderfinanzausgleich langfristig neu ausgehandelt werden muss. Bayern und Hessen haben bereits gegen den derzeitigen Finanzausgleich geklagt, weil er ihnen zu teuer ist. Eine weiteres Problem im Bund-Länder-Verhältnis: Das Kooperationsverbot. Es schreibt fest, dass der Bund den Bundesländern kein Geld für Bildung überweisen darf. Dies wollen beide Seiten ändern. Quelle: dapd

Doch mit den Altschulden ist es den Ländern nicht getan. „Die Länder benötigen so viel Geld, dass die strukturellen Unterschiede auf der Einnahmenseite zwischen ihnen ausgeglichen werden können“, verlangt der Sachse Tillich Unterstützung. Wer allerdings zusätzliche Wünsche habe, solle diese realisieren, „ohne dass die anderen dadurch finanziell belastet werden“.

Sein neuer Kollege aus Brandenburg ergänzt: „Wichtig ist und bleibt, dass der Bund die finanzielle Ausstattung der Länder und Kommunen verbessert – und nicht die Sparanstrengungen der Länder konterkariert“, fordert Dietmar Woidke (SPD). Der Solidarpakt müsse weiterlaufen: „Auch nach 2019 wird notwendig sein, dass der Bund sich zur Lösung gesamtstaatlicher Aufgaben in den Ländern finanziell engagiert.“

Der Brandenburger, seit dem Frühjahr mit allen Hochwassern gewaschen, sieht den Bedarf nicht nur bei Bildung, Wissenschaft, Forschung und Infrastruktur, sondern auch beim Schutz vor Überschwemmungen. Und generell gelte: „Wir brauchen einen Ausgleich für strukturschwache Regionen – vollkommen unabhängig von Himmelsrichtungen.“

Das ist die neue Standardformulierung, die derzeit etliche Länderchefs im Munde führen. Die Hilfe für die neuen Länder soll umgebaut werden zur Unterstützung von Notgebieten in Ost und West. Die thüringische Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht nennt das „Deutschlandfonds“, über den „zeitlich und räumlich begrenzt Hilfe zu Selbsthilfe geleistet wird“.

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Die Energiewende bremsen

Unter der Leitung von NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) und Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) verhandelt eine eigene Arbeitsgruppe, was im Koalitionsvertrag zur Energieversorgung stehen soll. Die SPD-Spitzenfrau an Rhein und Ruhr steht für einen Kurs, der Rücksicht auf die traditionellen Stromerzeuger nimmt und an Kohlekraftwerken nichts Schändliches finden kann. Zudem kämpft sie dafür, dass energieintensive Industrien großzügige Ausnahmen von den Umlagen für Netzausbau und erneuerbare Energien erhalten.

Altmaier hält zwar offiziell die Fahne für die Energiewende hoch, doch in seiner Unions-Gruppe sind Wirtschaftspolitiker wie Energiewende-Skeptiker Thomas Bareiß (CDU) in der Überzahl. Stark ist auch der sogenannte Kohleflügel der SPD unter den Verhandlern. Wirtschaftsminister Heiko Maas vertritt im Saarland die Interessen von Kohle und Stahl, Ministerpräsident Dietmar Woidke das Braunkohleland Brandenburg.

Die Frage ist nicht ob, sondern wie viel Geld für Verkehr ausgegeben wird

Was die Große Koalition kosten würde
Ob Mütterrente oder Altersrente mit 63, mehr Geld für Bildung, Forschung und Infrastruktur, Pflegereform, Energiewende, Abbau heimlicher Steuererhöhungen oder die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen: Die Wunschliste der Koalitionäre ist lang – und würde pro Jahr einen mittleren zweistelligen Milliardenbetrag verschlingen. Mehr Neu-Schulden wollen Union und SPD nicht machen. Auf Steuererhöhungen soll – nach bisherigem Stand jedenfalls – verzichtet werden. Und ein Abbau von Subventionen und Finanzhilfen steht in den Sternen. Sich bei der Finanzierung der zusätzlichen Leistungen allein auf steigende Steuereinnahmen und prall gefüllte Sozialkassen zu verlassen, wäre aber äußerst riskant. Quelle: dpa
AusgangslageSelten konnte eine neue Bundesregierung mit so viel finanziellem Rückenwind starten. Schon für dieses Jahr sagen die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute einen Überschuss in den Staatskassen von drei Milliarden Euro voraus, der 2014 auf knapp acht Milliarden Euro klettern dürfte. Die Steuereinnahmen dürften in diesem Jahr höher ausfallen als im Mai geschätzt. Bis zum Jahr 2018 sagen die Top-Ökonomen ein Plus in den Staatskassen von rund 53 Milliarden Euro voraus. Ein beträchtlicher Teil dieses Überschusses aber sei konjunkturbedingt und sollte gemäß Schuldenbremse zum Schuldenabbau genutzt werden. Unterm Strich ergäbe sich ein Spielraum für neue Ausgaben von Schwarz-Rot von knapp 33 Milliarden Euro – vorausgesetzt, es bleibt beim vorhergesagten Konjunkturplus. Quelle: dpa
Kosten der WunschlisteSollte die „Kalte Progression“ vermieden werden, also heimliche Steuererhöhungen nach Lohnplus bei gleichzeitig hoher Preissteigerung, würde dies etwa 19 Milliarden Euro kosten. Die von der CDU geforderte Mütterrente für Frauen, deren Kinder vor 1992 geboren wurden, würde mit 6,5 Milliarden Euro zu Buche schlagen. Quelle: dpa
Die SPD-Rentenpläne kosten fast drei Milliarden, eine Pflegereform bis zu vier Milliarden. Quelle: dpa
Würde die Koalition Bildungsausgaben auf OECD-Durchschnitt von 0,5 Prozent der Wirtschaftsleistung anheben, ergäbe sich 2018 laut Forschungsinstituten ein Betrag von gut 18 Milliarden Euro. Der Zusatzbedarf bei Verkehrsinvestitionen wird bei jährlich sieben bis acht Milliarden Euro gesehen. Alles in allem: fast 56 Milliarden Euro. Eine Neuordnung der Bund-Länder-Finanzen ist noch unberücksichtigt – was den Bund auch richtig Geld kosten könnte. Quelle: dpa
RentenpläneJe nach Ausgestaltung kostet eine verbesserte Rente für ältere Mütter zwischen 6,5 und 13 Milliarden Euro im Jahr. Wenn die Beitragszahler dafür nicht aufkommen (was konsequent wäre, da es sich um eine versicherungsfremde Leistung handelt), müsste das Geld aus dem Bundeshaushalt kommen. Der SPD-Plan, die Rente mit 67 für langjährig Versicherte erträglicher zu machen und ihnen den Wechsel in den Ruhestand ohne Abschläge schon mit 63 Jahren zu ermöglichen, könnte langfristig mit rund zwei bis drei Milliarden Euro die Rentenkasse belasten. Würde – wie von der SPD gefordert – auf die sich abzeichnende Senkung des Rentenbeitrags verzichtet, blieben den Rentenkassen bis zu sechs Milliarden Euro Beitragseinnahmen erhalten, die anderenfalls wegfielen. Deren „eiserne Reserve“ ist mit rund 27 Milliarden Euro so gut bestückt wie schon lange nicht mehr. Quelle: dpa
VerkehrUm eine Finanzierungslücke von jährlich mehr als sieben Milliarden Euro beim Erhalt von Straßen, Schienen und Wasserwegen zu schließen, haben die 16 Bundesländer ein Konzept bis 2019 vorgelegt: Ein Sanierungsfonds aus zusätzlichen Bundesmitteln soll mit 40 Milliarden Euro über 15 Jahre gespeist werden. Eine Ausweitung der Lkw-Maut auf alle Bundesstraßen könnte 2,3 Milliarden Euro mehr einbringen. Zu prüfen wäre die Vereinbarkeit der von der CSU verlangten Pkw-Maut für ausländische Wagen mit EU-Recht. Quelle: dpa

NRW-Wirtschaftsminister Garrelt Duin (SPD) forderte bereits flott, auch Betreibern fossiler Kraftwerke müssten bis zu sechs Milliarden Euro Stütze gezahlt werden, damit diese eine sichere Stromreserve böten. Im Wahlprogramm hatte die SPD zwar noch einen Anteil von 75 Prozent erneuerbare Energien an der Stromversorgung bis zum Jahr 2030 angestrebt. Doch das galt als Programm für Rot-Grün – die Ökopartei forderte offiziell gar 100 Prozent Erneuerbare.

Das dürfte für reichlich Konflikte mit rot-grün oder grün-rot geführten Landesregierungen sorgen. Die neue Grünen-Chefin Simone Peter beklagte bereits, in der Arbeitsgruppe seien „die Kohlefreunde praktisch unter sich“. Billiger dürfte das Mammutprojekt unter diesen Vorzeichen nicht werden. Abstriche bei den Subventionen für Solarenergie oder Windkraft und Biogas sind gegen Grüne schwer zu erreichen. Und schon die jüngste Senkung der Einspeisevergütungen war am Widerstand einer ganz breiten Länderkoalition gescheitert: Der Norden wollte den Wind behalten, der Osten die Solarfabriken, und Bayern mochte den Solarbauern nicht die zusätzliche Verdienstchance vermiesen.

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Verkehr: Geld lockermachen

Gut eine Woche nach der Bundestagswahl einigten sich die 16 Verkehrsminister der Länder in Berlin auf eine Zahl, die bei den Koalitionsverhandlungen eine große Rolle spielen wird: 40 Milliarden Euro. So hoch sei der finanzielle Nachholbedarf bei Straßen, Schienen und Wasserwegen. Das Geld sei nötig, um den Sanierungsstau aufzulösen. Der Bund, so das einstimmige Petitum, möge das Geld doch künftig in einen Sonderfonds einlegen.

Die Chance der Ministerpräsidenten für mehr Geld war nie größer. In den Koalitionsverhandlungen wird Verkehr zu einem Top-Thema. Bei der Arbeitsgruppe mit Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) an der protokollarischen Spitze geht es vor allem um die Höhe der Investitionssumme, nicht um das Ob. Ramsauer kalkulierte den Finanzbedarf für die Bundeswege selbst zuletzt auf vier Milliarden Euro.

Doch es dürfte deutlich teurer werden. Denn mehr Geld soll es auch für Neu- und Ausbau geben. Zwar herrscht Einigkeit unter den Ländern, dass der Erhalt Vorrang hat. Doch „größeren Investitionsbedarf“ sieht Thüringens Ministerpräsidentin Lieberknecht auch bei „ausstehenden Neubauprojekten aus dem Bundesverkehrswegeplan“, so die CDU-Politikerin. „Über die Finanzierung brauchen wir eine Debatte ohne Tabus.“ Mit einer Ausnahme: „Für diejenigen, die schon Kfz-Steuer zahlen, muss sie kostenneutral sein.“

Mit ihrer Forderung steht Lieberknecht nicht allein. Die Länder schreiben gerade ihre Neubau-Wunschzettel für den künftigen Bundesverkehrswegeplan, den der Bund bis 2015 erstellt. Allein Bayern meldete 398 Projekte an. „Bliebe es bei der heutigen Geldzuweisung des Bundes an Bayern, würde es 160 Jahre dauern, bis alle angemeldeten Projekte abgearbeitet sind“, sagt Florian Pronold, Landeschef der Bayern-SPD und stellvertretender Vorsitzender der Bundestagsfraktion.

Bald doch Investitionen des Bundes in Bildung auf Länderebene möglich?

Länder wie Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen stehen den Bayern wenig nach und reklamieren ebenso selbstbewusst Neubaubedarf. Der billige Ausweg würde teuer: mehr Millionen in den Neubautopf, um Ärger mit den Ländern einfach wegzukaufen.

Auch die Kommunen fordern Geld – und dürften es bekommen. Schon in der vergangenen Legislaturperiode verbuchten die Länder im Auftrag der Kämmerer einen Teilerfolg. Ursprünglich wollte Kassenwart Schäuble die Entflechtungsmittel in Höhe von 1,3 Milliarden Euro ab 2014 abschmelzen. Doch Schäuble knickte ein, verlängerte die Finanzierung bis 2019. Angesichts maroder Straßen und Schienen etwa im Ruhrgebiet wäre ein Ende der Bundeszuweisungen nach 2019 bei einer großen Koalition unwahrscheinlich.

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Bildung: Wer hat das sagen?

Das Kooperationsverbot untersagt dem Bund, auf Länderebene dauerhaft in Bildung zu investieren. Die große Koalition 2005/2009 hatte dies den Ländern übertragen. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) nennt dies „eine der genialsten Verfassungsänderungen, die uns seit 1949 gelungen ist“ – und meint es ironisch.

Das bringt viele Länderhaushalte in finanzielle Schieflage. Vor allem SPD-geführte Regierungen pochen auf eine Abschaffung des Verbots. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigte sich zwischenzeitlich bereit, hier mitzuwirken. Die große Koalition könnte die Grundgesetzänderung mit ihrer Mehrheit ruck, zuck durchdrücken – und bekäme dafür wohl auch noch Stimmen von der Opposition.

Doch der Teufel liegt im Detail. Die Länder wollen vor allem mehr Geld für den Ausbau der Universitäten und Schulen, aber inhaltlich wollen sie sich bei der Bildungspolitik nicht hineinreden lassen. Wenig Widerstand ist bei den Hochschulen zu erwarten. Der Bund könnte einzelne Lehrstühle oder Professuren mit bundesweiter Bedeutung fördern.

Doch bei der Schulpolitik ist die Ausgangslage anders. Bayern, Sachsen und Baden-Württemberg pochen auf Unabhängigkeit. Länder wie Nordrhein-Westfalen brauchen dringend mehr Geld. Die Aufgaben sind immens: Ausbau der Ganztagsschule, Inklusion behinderter Kinder und Jugendlicher, mehr Sozialpädagogen für individuelle Förderung, eine Digitalisierungsoffensive und Sprachförderung. Trotz der horrenden Kosten gibt es im Bundesrat keine eindeutige Mehrheit für mehr Einfluss des Bundes in der Schulpolitik.

Denn dann müssten die Länder dem Bund auch etwas bieten: etwa mehr Wettbewerb bei schulischen Leistungen, bundesweite Bildungsstandards oder Anerkennung von Bildungsabschlüssen. Aus dieser Gemengelage ergibt sich am ehesten eine Chance auf ein Ende des Kooperationsverbotes „light“: Der Bund darf Hochschulen dauerhaft finanzieren, Schulen aber nur in Sonderfällen oder auf Umwegen.

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