Angela Merkel sei die drittmächtigste Person der Welt. Behauptet die Zeitschrift Forbes. Im Kanzleramt wird man sich freuen. Doch es bleibt Unsinn. Denn Forbes verwechselt da was. Merkel ist nicht besonders mächtig, weil Deutschland nicht besonders mächtig ist. Darum gebührt ihr in einer realistischen Weltrangliste der Macht sicher kein Platz unter den Top Ten.
Was ist Macht? Nach einer weithin akzeptierten Definition von Max Weber ist es die Möglichkeit des Macht-Habenden, ohne Zustimmung, gegen den Willen oder trotz Widerstandes anderer die eigenen Ziele durchzusetzen und zu verwirklichen. Hält man sich daran, wird deutlich, dass Angela Merkels Macht zwar innerhalb ihrer Partei riesig ist und in der deutschen Politik sehr groß, aber darüber hinaus sehr bald ziemlich gering wird. Ohne Zustimmung anderer, geschweige denn gegen deren Willen, kann sie schon innerhalb der EU kaum etwas durchsetzen.
Zweifellos nimmt Merkel eine zentrale Rolle innerhalb der EU und der westlichen Staatengemeinschaft ein. Nur wenn man Macht uminterpretiert als mediale Präsenz und Ansehen bei den globalen Eliten, dann gewinnt der hohe Ranglistenplatz für Merkel eine gewisse Plausibilität. Die Forbes-Autoren nennen Merkel das „Rückgrat“ der EU. Das stimmt wohl. Ohne Deutschlands ökonomische Stärke würde die EU wohl tatsächlich in sich zusammenfallen. So wie ohne starkes Rückgrat der Körper zusammenbricht. Aber ist derjenige mächtig, der unverzichtbar als Stütze ist? Die Eurokrise spricht eher dagegen. Deutschland kann, wie die ungebrochene Misserfolgsgeschichte der Wirtschafts- und Währungsunion zeigt, den südeuropäischen Ländern nicht seine Stabilitätskultur aufzwingen.
Merkel genießt weltweit höchstes Ansehen. Sie wird als Ruhepol in bewegten Zeiten geschätzt. Aber ihre tatsächliche Macht endet jenseits der deutschen Grenzen und da, wo es nicht mehr ums Hilfeleisten geht, sondern ums „Verändernkönnen“, das Heinrich Popitz als Kern von Macht definiert. Natürlich – banale Feststellung – regiert Merkel die stärkste Volkswirtschaft Europas und die viertgrößte der Welt. Aber für die Macht von Staaten spielen auch noch andere Dinge eine entscheidende, wohl wichtigere Rolle:
Vor allem – und leider wieder in steigendem Maße – die militärische Handlungsfähigkeit. Auf diesem Feld ist Deutschland nicht mal drittklassig. Ein Land ohne Atomwaffen kann nie in der obersten weltpolitischen Liga mitspielen. Schon gar nicht mit einer Bundeswehr, die mit schwarz gemalten Besenstielen als Ersatz für die fehlenden Maschinenkanonen ihrer Panzer in Übungen zieht und unter Militärs weltweit nicht gerade für ihre Kampfkraft bewundert wird.
Dazu kommt als Voraussetzung für Macht die Rücksichtslosigkeit und Bereitschaft, Gewaltmittel auch einzusetzen. Merkel ist hier –mit guten Gründen – sehr zurückhaltend. Deutschland verzichtet aus vielen bekannten Gründen mehr oder weniger freiwillig auf Macht, für die es ökonomisch durchaus die Ressourcen hätte. Das kann man begrüßen. Aber man sollte es sich bewusst machen: Deutschland ist ein reiches, aber kein mächtiges Land. Seine Kanzlerin kann ökonomisch einiges bewegen, aber darüber hinaus sehr wenig.
Es ist beängstigend, aber nicht zu leugnen: Was Macht wirklich bedeutet, haben in diesen bewegten Zeiten vor allem Recep Tayyip Erdogan (ein völlig unverständlicher Rang 56 im Forbes-Ranking!) und Wladimir Putin (ein durchaus berechtigter Rang 1) demonstriert. Zumindest was die Begründung für den ersten Platz von Putin auf der Forbes-Rangliste angeht, sind deren Autoren auch sehr realistisch: "Von seinem Heimatland über Syrien bis hin zu den US-Präsidentschaftswahlen - Russlands Führer bekommt auch weiterhin alles, was er will."