Forderungen der Wirtschaft Schäubles Investitions-Plan weckt Begehrlichkeiten

Trotz einer gesenkten Steuerprognose kündigt der Finanzminister zehn Milliarden Euro zusätzliche Investitionen an. Das weckt Begehrlichkeiten. Der Mittelstand weiß, wo die 10 Milliarden Euro am besten aufgehoben wären.

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Wolfgang Schäuble: Dem Drängen der internationalen Partner nachgegeben. Quelle: dpa

Berlin Wolfgang Schäuble überlässt nur selten etwas dem Zufall. Er habe jetzt gehandelt, damit in Deutschland nicht die allgemeine Depression ausbreche, frotzelt der Finanzminister, nachdem er gerade sein 10-Milliarden-Investitionspaket publik gemacht hat. Der 72-Jährige gibt sich gerne als abgeklärter Politikstratege, der über den Dingen im hypernervösen Berliner Machtbetrieb steht.

Dort wurde in den letzten Wochen manchmal schon der Untergang von Europas größter Volkswirtschaft heraufbeschworen, weil die Wachstumsaussichten sich eingetrübt haben. Zwischen Union und SPD flogen in der zweiten Reihe die Fetzen.

Nun will es der Finanzminister seinen Kritikern zeigen. Sparen, Haushalt sanieren, Investieren und die Konjunkturdelle reparieren - das soll alles mit dem Haushalt 2016 und der mittelfristigen Finanzplanung bis 2018 möglich werden. Schließlich dürften unter anderem die Zinsen für Kredite noch länger extrem niedrig bleiben.

Was Schäuble will, ist das eine, was die Wirtschaft will, das andere. Der Präsident des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft (BMW), Mario Ohoven, forderte, das Investitionspaket ausschließlich für die Forschungsförderung bereitzustellen. „Unternehmen des deutschen Mittelstands halten mit 500.000 Patenten mit Abstand die meisten in ganz Europa. Deshalb sollte Schwarz-Rot den Weg für die im Koalitionsvertrag ausgeklammerte steuerliche Forschungsförderung freimachen“, sagte Ohoven dem Handelsblatt (Online-Ausgabe).

Ohoven bemängelte, dass in 24 von 34 OECD-Staaten Investitionen in Forschung und Entwicklung unbürokratisch steuerlich gefördert würden, während in Deutschland kein vergleichbares Förderinstrument existiere. „Als Ergänzung zur bewährten Projektförderung würde eine steuerliche Forschungsförderung im Mittelstand ohne viel Bürokratie hohe Investitionsanreize erzeugen“, ist der Mittelstands-Präsident überzeugt. Er verwies dabei auf Studien, die belegen, dass jeder seitens des Staates eingesetzte Euro zusätzliche Aufwendungen für Forschung und Entwicklung von 1,25 Euro bewirke.

„Es ist gut, dass die Bundesregierung zehn Milliarden Euro in die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands investieren will“, sagte Ohoven weiter. „Die Stärke unserer Wirtschaft beruht wesentlich auf der Innovationskraft des Mittelstands.“ Rund die Hälfte der insgesamt 2.700 Weltmarktführer komme aus dem deutschen Mittelstand.


Gabriel will in Wachstumsbereiche investieren

Mit seiner Ankündigung reagiert Schäuble auf die Kritik aus Deutschland, aber auch aus der EU und von internationalen Organisationen, Deutschland müsse mehr Geld in die Verbesserung der Infrastruktur stecken. Im Koalitionsvertrag hatten sich Union und SPD lediglich vorgenommen, in der gesamten Wahlperiode bis 2017 fünf Milliarden Euro zusätzlich zu investieren. In den Jahren von 2016 bis 2018 will der Bund nun jährlich rund 3,3 Milliarden Euro aufsatteln. In Regierungskreisen hieß es, erste Projekte könnten auch schon 2015 auf den Weg gebracht werden. Allerdings benötigten vor allem große Vorhaben einen zeitlichen Vorlauf.

Schäuble sagte, sein Vorstoß sei mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) abgestimmt. Konkrete Vorschläge werde er bei der Aufstellung des Bundeshaushalts für 2016 im kommenden Jahr machen. Gabriel sagte, es solle vor allem in Bereiche investiert werden, die für Wachstum stünden: „Das sind zu allererst Energieeffizienz und Gebäudesanierung. Und natürlich müssen wir weitere Anreize für private Investitionen setzen“, forderte der SPD-Vorsitzende. „Mit den Mitteln, die wir für die Infrastruktur bekommen, werden wir unsere Netze weiter modernisieren und noch leistungsfähiger machen“, sagte der für Verkehr und digitale Infrastruktur zuständige Minister Alexander Dobrindt (CSU).

Mit Blick auf die anhaltende Kritik aus dem Ausland betonte Schäuble, Deutschland leiste seinen Beitrag zu den gemeinsamen Bemühungen in Europa, die Investitionen voranzubringen. Kurz zuvor hatte Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem erneut die Bundesregierung aufgefordert, ihre Etatspielräume zu nutzen, um mit mehr Investitionen das Wirtschaftswachstum in ganz Europa anzuregen. Die EU-Kommission hatte unlängst ihre Wachstumsprognose für die Euro-Zone in diesem Jahr auf 0,8 Prozent gesenkt. Auch die deutschen Konjunkturaussichten beurteilt die Brüsseler Behörde skeptischer.

Die zusätzlichen Milliarden will Schäuble aus Reserven im Bundeshaushalt nehmen, die sich etwa aus den niedrigen Zinsen ergeben. Außerdem werden die Steuereinnahmen weiter steigen - wenn auch langsamer als gedacht. Der Steuerschätzung zufolge werden Bund, Länder, Gemeinden und EU 2014 rund 640 Milliarden Euro in die Kassen bekommen, 2018 dürften es dann schon fast 100 Milliarden Euro mehr sein. Wegen der schwächeren Konjunktur ist der Anstieg aber nicht so steil wie bisher erwartet. So muss Schäuble von 2015 bis 2018 mit 5,5 Milliarden Euro weniger auskommen.


Grüne sprechen von lächerlicher Summe

Ökonomen begrüßten Schäubles Ankündigung als Schritt in die richtige Richtung. Um auf das Niveau von 2002 zu kommen, müsse die öffentliche Hand aber ihre Infrastruktur-Investitionen um 15 Milliarden Euro erhöhen, sagte Andreas Rees von Unicredit.

Die privaten und staatlichen Investitionen entsprechen derzeit nur noch 17 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts. Mitte der 90er Jahre waren es 23 Prozent, im Schnitt der Länder der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) sind es 20 Prozent. Um auf das OECD-Niveau zu kommen, müssten dem DIW-Institut zufolge 80 Milliarden Euro mehr investiert werden. Eine Bund-Länder-Kommission geht davon aus, dass dem Staat pro Jahr 7,2 Milliarden Euro alleine zum Erhalt der Verkehrswege fehlen.

Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter bezeichnete die zehn Milliarden Euro als „lächerlich“. Auch verschweige Schäuble, wo das Geld herkommen solle. In der Wirtschaft kamen die Mehrausgaben dagegen gut an. „Es ist richtig, dass die Politik den Spielraum nutzen will, um Investitionen zu stärken“, sagte der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie, Ulrich Grillo. Auch der Arbeitgeberverband BDA und der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) sprachen von einem positiven Signal.

Um private Investitionen anzukurbeln, sollten Abschreibungsmöglichkeiten verbessert werden, schlug BDA-Chef Ingo Kramer zudem vor. Schäuble machte deutlich, dass die finanziellen Spielräume begrenzt seien. So bekräftigte er das Ziel der Koalition, 2015 erstmals seit 46 Jahren einen Bundeshaushalt ohne neue Schulden vorzulegen. Der Bund sitzt auf einem Schuldenberg von über 1,3 Billionen Euro, für den jedes Jahr fast 30 Milliarden Euro Zinsen fällig werden.

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