Forsa-Chef Manfred Güllner „Diese Strategie der Union ist völlig idiotisch“

Mit einer Schärfung des rechten Profils zieht die Union die falschen Konsequenzen aus dem Debakel bei der Bundestagswahl, sagt Manfred Güllner. Im Interview sagt der Forsa-Chef, was CDU und CSU stattdessen tun können.

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„Wenn sich die CSU als Heimat-Partei versteht, warum ist sie dann nicht gewählt worden? Warum hat sie dann bei der Bundestagswahl so stark verloren – sowohl auf der linken als auch auf der rechten Flanke?“ Quelle: picture alliance/dpa

Berlin Auch wenn sie wieder stärkste Kraft im Bund wurde, leidet die Union unter den Folgen der Bundestagswahl. Als Konsequenz aus dem Debakel wollen CDU und CSU ihr rechtes Profil schärfen. Bei den Wählern werden die Parteien damit aber kaum punkten, ist der Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa, Manfred Güllner, überzeugt. „Die Mehrzahl der Abwanderer von der Union ordnet sich ja nicht rechts ein“, sagt Güllner im Interview. „Die Stammwähler von einst sind inzwischen eher links von CDU und CSU zu finden.“ Deshalb sei es auch ein „Irrglaube“, wenn die Union meine, sie könne mit dem Begriff „Heimat“ Wähler zurückholen. Mit Blick auf ein mögliches Jamaika-Bündnis rät Güllner zu einer raschen Einigung, bevor sich die Bürger „genervt abwenden“.

Herr Güllner, wie ist die Stimmungslage bei den Bürgern: Gibt es mehrheitlich eine Stimmung pro Jamaika?
Die Wähler haben so gewählt, dass es rechnerisch nur zwei Möglichkeiten gibt, eine Große Koalition oder ein Dreierbündnis. Und nachdem die SPD nicht mehr will und viele die Sozialdemokraten sowieso nicht mehr in der Regierung haben wollen, favorisiert die Mehrheit der Deutschen eine Jamaika-Koalition. Vor allem die Anhänger der FDP und der Grünen sind mit großer Mehrheit für ein solches Bündnis.

Für welche Partei steht bei Jamaika am meisten auf dem Spiel?
Es ist ein Missverständnis zu glauben, dass die Wähler das interessiert. Ärgerlich ist es für sie eher, dass die Parteien jetzt anfangen, Spielchen zu spielen, obwohl sie sich klar entschieden haben. Sicher gibt es Länder, in denen die Bildung einer Koalition länger dauert, wie etwa in den Niederlanden. Aber die Regel ist das nicht. Bei uns legt man ein viel zu großes Gewicht auf die Aushandlung eines Koalitionsvertrags. Zumal wir ja wissen, dass eine Legislaturperiode lange dauert und in dieser Zeit vieles passiert, was nicht durch den Vertrag abgedeckt ist. Koalitionsverhandlungen sind also ein Ritual, von dem sich die Leute eher genervt abwenden.

Aber ohne eine grobe Verständigung auf Regierungsinhalte wird es ja nicht gehen.
Mit diesem Ritual müssen wir leben. Die Leute interessiert aber nicht, was in einem Koalitionsvertrag steht. Das ist eine Diskussion unter Parteifunktionären. Für die Bürger steht vielmehr im Fokus: Drei Parteien haben jetzt eine Regierungsmehrheit, und die müssen sie sich zusammenraufen.

Wie kommt es dann bei den Wählern an, dass sich die Union in der Frage einer Flüchtlings-Obergrenze letztlich auf einen Formelkompromiss verständigte – also auf etwas, das auch schon viel früher hätte ausgehandelt werden können?
Es ist ziemlich irre, was da abläuft. Das ist auch nicht etwas, was das Vertrauen in die Politik stärkt. Die Integration von Ausländern und Flüchtlingen ist ein Punkt, aber nicht der einzig wichtige für die Menschen. Alles was mit der Zukunft unserer Kinder zusammenhängt, ist viel wichtiger, also: die Bildungspolitik oder der Zustand der Schulen. Es gibt viele drängende Probleme, die angepackt werden müssen. Aber stattdessen streitet man sich über eine Flüchtlings-Obergrenze.

Könnte vor allem mit Blick auf die Grünen das Zuwanderungsthema noch zu einer unüberwindbaren Hürde in den Sondierungen werden?
Aus Sicht der Wähler dieser drei Parteien nicht, aus Sicht der Funktionäre vielleicht. Wir beobachten ja schon seit Jahren, dass eine tiefe Kluft herrscht zwischen Parteifunktionären und den Wählern der Parteien. In der Union, vor allem aber in der CSU, sind die Funktionäre viel rechter als die Wähler. Ähnliche Phänomene stellen wir auch bei anderen Parteien fest. Fakt ist: Die Wähler sind nicht an Zuspitzung interessiert, sondern an Konsens. Sie denken viel lösungsorientierter und pragmatischer als manche Parteileute.


„Das ist problematisch. Denken Sie nur an die Weimarer Republik“

Es fällt auf, dass angesichts des AfD-Erfolgs bei der Bundestagswahl fast alle Parteien das Heimatthema in den Vordergrund gerückt haben. Ist es sinnvoll, hier Flagge zu zeigen?
Das ist eine Fehleinschätzung der AfD-Wähler. Die AfD hat das in Deutschland immer schon vorhandene Potenzial von Leuten einsammelt, die anfällig für ein rechtsradikales Weltbild sind. Die kommen nicht aus abgehängten Schichten, sondern meist aus der Mittelschicht. Es ist aber ein Irrglaube, dass ich diese Wähler mit dem Begriff Heimat zurückholen kann. Die CDU vergisst zudem, dass sie viele Wähler an den Friedhof verloren hat. Deshalb müsste die Union vor allem die jungen Wähler gewinnen. Stattdessen krähen CDU und CSU aber, man müsse das rechte Profil schärfen. Diese Strategie der Union ist völlig idiotisch. Die Jungen denken überhaupt nicht rechts, sie ordnen sich vielmehr links von der politischen Mitte ein.

Besteht in Deutschland also gar kein Bedarf für eine Heimat-Partei? Die CSU reklamiert das Thema schon immer für sich.
Wenn sich die CSU als Heimat-Partei versteht, warum ist sie dann nicht gewählt worden? Warum hat sie dann bei der Bundestagswahl so stark verloren – sowohl auf der linken als auch auf der rechten Flanke? Bei der Bundestagwahl 1998 haben in Bayern 0,5 Prozent der Wahlberechtigten die Linkspartei gewählt. Heute sind es rund fünf Prozent. Damit haben die Linken so viel zugelegt wie in keinem anderen Bundesland. Im Osten verliert die Linkspartei sogar. Das heißt: Die CSU hat die Ränder nicht mehr eingebunden, sie hat sie sogar noch stark gemacht. Wenn sie in dieser Situation davon spricht, Heimatpartei zu sein, dann ist das doch ein schlechter Witz.

Dann hat die CSU die AfD stark gemacht?
Natürlich. In Bayern hat die AfD im Vergleich zu anderen westdeutschen Bundesländern überproportional gewonnen. Dass die AfD im Osten so stark abgeschnitten hat, ist ja keine Überraschung.

Die AfD hat im Wahlkampf auf Themen wie Heimat und Patriotismus gesetzt. Lässt sich sagen, ob das auch bei den Wählern verfangen hat?
Das rechtsradikale Wählerpotenzial, von dem die AfD profitiert hat, gab es schon immer. Da geht es nicht um Heimat. Da spielen antidemokratische Aspekte eine Rolle. Die Dauer-Nichtwähler, die das demokratische System an sich ablehnen, sind zur AfD gewandert. Das ist problematisch. Denken Sie nur an die Weimarer Republik. Die NSDAP ist zur Massenpartei geworden, weil sie zunehmend die demokratiefernen Wähler mobilisieren konnte. Das ist auch der AfD gelungen – sowohl bei den Landtagswahlen als auch bei der Bundestagswahl. Die haben die AfD nicht gewählt, weil sie die deutsche Heimat so toll finden, sondern weil sie unser demokratisches System ablehnen.

Macht es dann Sinn, wenn die CSU von der Union eine stärkere Hinwendung zu klassisch konservativen Themen wie Leitkultur, Heimat und Patriotismus fordert?
Das ist Quatsch. Das zeigt, dass die CSU immer noch nicht verstanden hat, warum sie das Vertrauen der Wähler, die Bindekraft für breite Wählerschichten verloren hat. Die Mehrzahl der Abwanderer von der Union ordnet sich ja nicht rechts ein. Die Stammwähler von einst sind inzwischen eher links von CDU und CSU zu finden.

Andererseits dürften ja auch die Konservativen in der CDU einer „bürgerlich-konservativen Erneuerung“ der Union nicht abgeneigt sein. Das CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn regt sich ja schon darüber auf, wenn Kellner in Berliner Cafés nur Englisch sprechen.
Das ist Funktionärsmeinung. Die meisten Wähler interessiert das nicht. Es ist auch ein Märchen, wenn die Konservativen in der Union glauben, sie hätten ihre konservativen Stammwähler verloren. Die katholischen Kirchgänger sind die treuesten der treuen Wähler der Union. Das hat sich bis heute nicht geändert. Deswegen sind die ganzen Gedankenspiele in der Union falsch.


„Das sind komische Gedanken“

Was raten Sie der Union?
Da momentan noch die Älteren überproportional Union wählen, aber viele davon in Zukunft wegsterben, muss sich die Union fragen, wie sie jüngere Wähler an sich binden kann. Die kriegt man aber nicht mit einer bürgerlich-konservativen Erneuerung. Sie muss die Jungen ansprechen, die eben nicht rechts ticken, sondern eher links von der Mitte.

Interessanterweise beschäftigt das Heimat-Thema auch die anderen Parteien. Der Grünen-Politiker Robert Habeck empfiehlt seiner Partei, Begriffe wie Heimat und Deutschland nicht der AfD zu überlassen. Und die NRW-SPD will aus der SPD eine moderne Heimatpartei machen.
Das sind komische Gedanken. Nordrhein-Westfalen ist ein zerklüftetes Land. Die SPD hat schon früher versucht, ein Wir-Gefühl hinzubekommen, und es ist ihr immer misslungen. Die einzelnen Regionen in NRW sind so spezifisch, wie soll sich da ein gemeinsames Heimatgefühl entwickeln? Ein Thema, das wirklich alle berührt, ist die Ausdünnung der Infrastruktur im ländlichen Raum. Hier muss die Politik ansetzen. Gerade Nordrhein-Westfalen muss sich hier an die eigene Nase fassen. Hier wurde in den 1970er-Jahren eine radikale Gebietsreform umgesetzt. Mit schwerwiegenden Folgen. Es wurden die lokalen Identitäten zerschlagen. Darunter leidet das Land heute noch. Wer da von Heimat spricht, hat nichts verstanden.

In der Union gibt es den Wunsch, ein Heimatministerium auf Bundesebene zu etablieren, um die Bedeutung des ländlichen Raums zu stärken. Ist das eine gute Antwort auf die Sorgen der Bürger in Ost und West?
Wenn man das als Infrastrukturministerium für den ländlichen Raum sieht, dann ist das sicherlich eine richtige Überlegung. Das trifft den Nerv der Leute. Denn es gibt ja großen Unmut darüber, dass sowohl öffentliche als auch private Infrastruktureinrichtungen auf dem Rückzug sind. Die medizinische Versorgung funktioniert teilweise nur noch unzureichend. Mancherorts gibt es auch keine Einkaufsmöglichkeiten mehr, so dass man gezwungen ist, lange Strecken zurückzulegen. Und auch behördliche Anlaufstellen sind in ländlichen Gebieten kaum noch vorhanden. Deshalb ist es richtig, darüber nachzudenken, wie man verhindern kann, dass das Gefälle zwischen Stadt und Land nicht noch größer wird.

Also ist die Union hier auf dem richtigen Weg.
Das ist absolut richtig. Ob man das dann mit dem Etikett Heimatministerium versehen muss, ist eine andere Frage.

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