Forschung Warum wir so wenig über Reiche wissen

Reichtum in Deutschland lässt sich kaum messen. Woran das liegt – und wie Forscher versuchen, an wohlhabende Haushalte heranzukommen.

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Quelle: dpa

Das Sozio-ökonomische Panel (SOEP) ist die älteste und größte Haushaltsumfrage im Deutschland. Das beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) angesiedelte Projekt zählt zu den weltweit renommiertesten Querschnittsstudien auf Mikroebene.

Nur wenn es um die Reichen im Land geht, sind die Berliner Wissenschaftler ziemlich blank. Zwar werden im SOEP gleich zehn Vermögenskomponenten abgefragt. Diese reichen von Betriebs-, Geld und Immobilienvermögen über Bausparverträge bis hin zu teuren Sammlungen; 2017 ist zusätzlich der Wert von Fahrzeugen hinzugekommen.

Das Problem mit Deutschlands Reichen ist: Es gibt leider kaum Millionäre und Milliardäre, die an den Interviews teilnehmen. „Wir haben im oberen Vermögensbereich eine gravierende Datenlücke. Speziell der Superreiche und Hochvermögende ist für empirische Sozialforscher ein unbekanntes Wesen“, gesteht SOEP-Direktor Jürgen Schupp. „An die Milliardäre kommen wir Forscher derzeit nicht ran.“ Daher gebe es über diesen illustren Kreis auch „keine verallgemeinerbaren empirischen Erkenntnisse.“ Zwar haben die SOEP-Forscher vor 15 Jahren einmal mit hohem Aufwand eine Sonderstichprobe von 1000 wohlhabenden Haushalten aufgebaut, doch ist diese mittlerweile (nicht zuletzt altersbedingt) auf 500 zusammengeschrumpft.

Selbst über Umwege lässt sich Reichtum in Deutschland kaum messen und erforschen. Es gibt kein Register, aus dem empirisch arbeitende Ökonomen Adressen von wohlhabenden Haushalten abgreifen könnten. Und seitdem in Deutschland die Vermögensteuer nicht mehr erhoben wird und bei Kapitalerträgen die pauschale Abgeltungsteuer greift, lassen sich auch aus der Finanzstatistik „keine halbwegs belastbaren Rückschlüsse auf das exakte Volumen hoher Vermögen mehr ziehen“, klagt Schupp. Er stellt klar: „Um die Vermögensverteilung vernünftig analysieren zu können, brauchen wir eine neue Stichprobe im obersten Vermögenssegment“.

Genau das wollen die Wissenschaftler nun angehen. Gefördert vom Bundesarbeitsministerium tüfteln SOEP-Experten derzeit an „innovativen Wegen“, an wohlhabende Haushalte heranzukommen. Ziel ist es, ein Panel von rund 1000 Haushalten mit einem Nettovermögen ab zwei Millionen Euro aufzubauen. Derzeit läuft ein entsprechender „Pre-Test“, 2018 sollen erste Ergebnisse vorgestellt werden.

Die Information über Einkommen und Vermögen in Deutschland kommen derzeit generell aus drei Quellen. Dies sind neben dem jährlich fortgeschriebenen SOEP die alle fünf Jahre erhobene Einkommens- und Verbrauchsstichprobe der Statistischen Landesämter sowie zwei Vermögensbefragungen der Deutschen Bundesbank aus den Jahren 2010 und 2014. Doch in allen Surveys ist die monetäre Upper Class unterrepräsentiert oder kommt gar nicht erst vor. Im Bundesbank-Report finden sich unter den befragten Haushalten nur 246 mit einem Nettoeinkommen über einer Million Euro, im SOEP sind es 270. Die Einkommensklasse über drei Millionen Euro netto vertreten in beiden Surveys weniger als 50 Haushalte. „Damit lassen sich schwerlich belastbare empirische Aussagen zu dieser Gruppe treffen“, sagt Markus Grabka, Verteilungsforscher am DIW.

Die Folge: Wenn sich Wissenschaftler hierzulande mit Reichtum beschäftigten, müssen sie hochrechnen, ökonometrische Schätzverfahren einsetzen und mit Simulationen arbeiten – eine Vorgehensweise, die laut Grabka „mit hoher Unsicherheit behaftet“ ist. Ökonomen können aus den Daten folglich auch keine belastbaren Trendaussagen machen, also sagen, ob die Vermögen der Superreichen zu- oder abnehmen. Wenn es um Reichtumsforschung geht, ist in Ökonomenkreisen daher bereits von „Voodoo-Ökonomie“ die Rede.

Bisweilen greifen Wissenschaftler für Verteilungsanalysen sogar auf die Liste des US-Wirtschaftsmagazins „Forbes“ zurück, das seit 1987 jährlich alle Personen aufführt, deren (geschätztes) persönliches Vermögen eine Milliarde Dollar übersteigt. Aktuell sind darunter auch 114 Deutsche.

Zu übermäßigem Erkenntnisgewinn führt das nicht. Wie Ökonom Grabka von am "Forbes"-Ranking beteiligten Journalisten erfuhr, greifen diese auf allgemein zugängliche Quelle zurück und wissen so gut wie nichts über die Schulden der Reichen. Eine US-Studie, die über einen längeren Zeitraum die biologischen Abgänge der "Forbes"-Liste mit der Erbschaftsteuerstatistik abglich, kam zu dem Ergebnis, dass die Nettovermögen der verstorbenen Milliardäre deutlich überschätzt worden waren.

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