Forum der Freiheit Vom Wert der Freiheit im geteilten Deutschland

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Freiheit als gesellschaftliches Prinzip

Viel und leidenschaftlich wird über die Freiheit gesprochen. Doch was heißt das eigentlich? Einige Überlegungen zur wohlverstandenen Freiheit von den Philosophen Michael Oliva Córdoba und Rolf W. Puster.

Während sich in der Bundesrepublik eine „nivellierte Mittelschichtsgesellschaft“ herausbildete, entstand in der DDR nach der Vertreibung großer Teile des Bürgertums ein „Land der kleinen Leute“, die mit bürgerlichen Werten nicht viel anfangen konnten. Die neue sozialistische Elite verdankte ihren Aufstieg der SED, die unbedingte Loyalität und Pflichterfüllung erwartete. Unabhängig davon, wie der Einzelne zum SED-Staat und seinen ideologischen Vorgaben stand, wirkten nach dem Zusammenbruch der DDR bei vielen Menschen soziale Verhaltensstrategien der sozialistischen Diktatur weiter. Vor allem die Vorstellung, ein starker Staat könne alles regeln, wenn er nur wolle, hatte sich in vielen Köpfen festgesetzt. So verwundert nicht, dass bis zum heutigen Tag der Wert der Freiheit unter Ostdeutschen deutlich weniger geschätzt wird als unter Westdeutschen. Ostdeutsche votieren dagegen häufiger für mehr soziale Gleichheit als Westdeutsche.

Über den Wolken mag die Freiheit grenzenlos sein – auf deutschem Boden ist sie es nicht. Trotz staatlicher Einschränkungen bleibt sie das zentrale Prinzip und Lebenselixier für eine zivile Gesellschaft. Doch sie steht nicht alleine für diese Gesellschaft. Mit Blick auf die menschenverachtenden Verhältnisse in der sozialistischen Sowjetunion propagierte Albert Camus, der in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden wäre, einen Zusammenhang von Freiheit und Gerechtigkeit: „Ein einziges Gut wird unablässig vergewaltigt und prostituiert: die Freiheit. Und dann wird man gewahr, dass zugleich mit ihr überall auch die Gerechtigkeit in den Dreck getreten wird. Für uns alle kann heute nur eine einzige Parole gelten, in nichts nachgeben, was die Gerechtigkeit betrifft und auf nichts verzichten, was die Freiheit angeht.“

Ob „Freiheit“ tatsächlich als gesellschaftliches Prinzip wirksam ist, zeigt sich im Umgang der Mehrheit mit Minderheiten. Eine freiheitlich-demokratische, mithin zivile Gesellschaft schützt Minderheiten in besonderer Weise und gestattet das Recht auf Dissidenz. Grenzen der Freiheit setzt nur die Verfassung, die gerade diese Freiheit garantiert. Wer sie aber abschaffen will, muss daran gehindert werden. Allerdings erst dann, wenn verfassungsfeindliche Auffassungen in Aktivitäten umschlagen.

Im geteilten Deutschland entschied sich letztlich der Kampf der gegensätzlichen Systeme. Der stellvertretende sowjetische Ministerpräsident Mikojan betonte schon im Juni 1961 die Bedeutung der DDR hierfür: „Wenn der Sozialismus in der DDR nicht siegt, wenn der Kommunismus sich hier nicht als überlegen und lebensfähig erweist, dann haben wir nicht gesiegt.“ Er sollte Recht behalten. Etwa zwei Monate später begannen der Bau der Berliner Mauer und die vollständige Einbetonierung des SED-Staates; knapp drei Jahrzehnte später brachen erst die DDR und die anderen Satellitenstaaten und dann die Sowjetunion selber zusammen. Die Freiheit hatte über ihre Feinde gesiegt!

Klaus Schroeder leitet an der Freien Universität Berlin den Forschungsverbund SED-Staat und lehrt als Professor am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft. Gerade erschien von ihm das Buch „Der SED-Staat. Geschichte und Strukturen der DDR 1949-1990“, Böhlau-Verlag, Weimar u.a. 2013.

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