Freihandelsabkommen TTIP und Ceta „Die Welt darf keine Ware sein“

Zehntausende Demonstranten haben bundesweit ihren Unmut über die Handelsabkommen TTIP und Ceta gezeigt.

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Protestaktion auf einer der Kölner Rheinbrücken: Die Polizei geht von rund 40.000 Teilnehmern bei der Demonstration in Köln aus. Quelle: dpa

Köln Gemütlich schweben Katharina Walckhoff und Lutz Dudeck tanzend über den Kölner Bahnhofsvorplatz. Die 58-Jährige ist die Veranstalterin von „Tango gegen TTIP“ und organisiert die Aktion ehrenamtlich: „Aus einem ganz einfachen Grund: Schon lange tanze ich Tango“, im Jahr 2013 aber habe sie verstanden, „worum es bei den geplanten Freihandelsabkommen geht. Danach habe ich beim Tanzen den Kopf nicht mehr freibekommen.“

Drei Jahre später steht sie stolz vor ihren rund 15 tanzenden Paaren in Köln und möchte so ein Zeichen setzen gegen TTIP und Ceta. Das Tanzen sei eine deutlich wirkungsvollere Protestmethode, „als nur zu reden“, erklärt sie. Neu ist dieses Konzept nicht: Im vergangenen Oktober tanzten rund 250.000 Menschen in Berlin gegen TTIP, andere Städte folgten.

Nach Angaben der Veranstalter demonstrierten am Samstag rund 320.000 Menschen bei den Kundgebungen in Berlin, Hamburg, Köln, Frankfurt, Stuttgart, München und Leipzig gegen die geplanten Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA bzw. Kanada – alleine in der Domstadt sollen es 55.000 gewesen sein. Die Polizei sprach in den meisten Städten von viel weniger Menschen. Laut Behörden sollen sich im Kölner Stadtteil Deutz nur rund 40.000 Demonstranten getroffen haben.

Von dort aus ging es mit Plakaten und Trillerpfeifen in Richtung Innenstadt, anschließend über den Rhein wieder zurück nach Deutz zur großen Abschlusskundgebung. Zu den bundesweiten Demonstrationen hatten unter anderem das Bündnis „Mehr Demokratie“, der BUND, Verdi und Attac aufgerufen.

„Wir nehmen an diesen Demonstrationen teil, weil wir die NRW-Regierung dazu bewegen wollen, im Bundesrat gegen die Abkommen zu stimmen“, sagt Kirsten Eickler, Mitglied des Landesvorstands der Linken in Nordrhein-Westfalen. Seit zehn Uhr morgens passt die 47-Jährige auf den kleinen Stand der Partei auf dem Kundgebungsgelände auf. Entspannt sitzt sie in ihrem grauen Campingstuhl, sucht das Gespräch mit Demonstranten und Passanten. Jeder habe eine persönliche Verantwortung, „sich einzusetzen, wenn etwas schlecht läuft. Und das machen wir hier. Wir informieren und klären auf.“


Heftige Diskussionen in der Politik

Die Kritiker befürchten, dass durch die geplanten Freihandelsabkommen Ceta und TTIP Umwelt- und Sozialstandards verloren gehen. So könnten die Standards bei Lebensmitteln gesenkt werden oder europäische Arbeitnehmerrechte wie etwa der Kündigungsschutz in Gefahr geraten. Zudem kritisieren sie die mangelnde Transparenz der Verhandlungen.

In der Politik gibt es rege Diskussionen um die möglichen Abkommen: Grüne und Linke fordern einen Abbruch der Gespräche, halten TTIP und Ceta für gefährlich. Die SPD-Spitze ist dafür, die Basis rebelliert gegen Ceta. Innerhalb der Partei tobt nun ein heftiger Kampf. An diesem Montag will ein SPD-Konvent in Wolfsburg über Ceta beraten und abstimmen.

Ginge es nach dem 77-jährigen Lothar Eke, würden die Verhandlungen sofort unterbrochen. Er ist auch unter den Teilnehmern der Kölner Demonstration und seit 20 Jahren Attac-Mitglied. Der ältere Herr steht hinter dem Attac-Stand, den er früh morgens mit seinem silbernen Familienvan von Bonn nach Köln gebracht hat. Bedruckte Zelte, Tische von Aldi, Plakate, Fahnen, „das Auto war bis oben hin gefüllt. Ziemlich viel Arbeit war das, den ganzen Stand zu organisieren. Aber ich mache das gerne“, sagt Eke. Eine Großteil seiner Freizeit opfert er für die Vereinsarbeit, „meine Frau macht das zum Glück so gerade noch mit. Heute ist sie auch mit dabei.“

Eke sieht die Abkommen als eine Gefahr für die Demokratie: „Die demokratischen Errungenschaften der vergangenen Jahre müssten erhalten bleiben, die Welt darf keine Ware sein“, sagt er mit angestrengter Stimme. Er befürchtet, dass die Kommunen nicht länger die Daseinsvorsorge in eigener Hand behalten können. „In einem Papier steht, die Wasserversorgung von Bonn würde von einem Konzern übernommen werden. So etwas macht mir Angst.“

Befürworter von TTIP und Ceta versprechen sich von den Abkommen ein steigendes Wirtschaftswachstum. So auch die EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström. Sie warf den Kritikern in der „Bild“-Zeitung vor, gezielt Unwahrheiten zu verbreiten: „Viele TTIP-Gegner halten es mit der Wahrheit und den Fakten nicht so genau“, in der Debatte um TTIP und Ceta gebe es „viele Missverständnisse, Schauermärchen und Lügen“.

Die Diskussionen um die Abkommen werden anhalten, die Parteien debattieren, die Gegner protestieren. Und Katharina Walckhoff tanzt weiter Tango, ob in Berlin, Münster oder Köln: „Denn Tanzen gegen TTIP ist deutlich besser als Reden gegen TTIP.“

Mitarbeit: Arthur Stier

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