Fremdenfeindlicher Tweet Erika Steinbach und das Pippilotta-Prinzip

Die Empörung ist groß, aber Erika Steinbach schert das wenig. Die CDU-Abgeordnete findet nichts Anstößiges an ihrem fremdenfeindlichen Tweet. Mit ihrem Verhalten erinnert sie an eine literarische Kunstfigur.

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Klartext-Politikerin Erika Steinbach (CDU): . „Ich rede niemand nach dem Mund. Stehe für eigene Überzeugung.“ Quelle: dpa

Berlin Was haben Pippilotta Viktualia Rollgardina Pfefferminz Efraimstocher Langstrumpf und Erika Steinbach gemeinsam? Eigentlich nichts. Die eine ist eine literarische Kunstfigur von Astrid Lindgren, die andere eine CDU-Politikerin, die für ihre Fraktion im Bundestag zuständig ist für Menschenrechte und humanitäre Hilfe. Und doch erinnert ein Prinzip, das sich Pippi Langstrumpf auf die Fahnen geschrieben hat, in gewisser Weise an die Abgeordnete Steinbach.

Im Titellied zur Pippi-Langstrumpf-Fernsehserie singt das kleine rothaarige Mädchen: „Zwei mal drei macht vier, widewidewitt und drei macht neune, ich mach mir die Welt, widewide wie sie mir gefällt.“ Die Zeile ist ein Bekenntnis zu einer bestimmten Lebensphilosophie. Dahinter steht der unbedingte Wille, mit Abenteuerlust, dem Ausleben der eigenen Individualität und einer gehörigen Portion Spaß das Leben zu leben. Für Steinbach dürften diese Prinzipien sicher auch gelten, aber sicher nicht, wie von der Kinderbuchautorin Lindgren beabsichtigt, um Leser zu unterhalten und in eine Phantasiewelt zu führen.

Steinbach ist Politikerin, eine unbequeme dazu, deren Abenteuerlust eher darin zu bestehen scheint, in politischen Debatten nicht nur den politischen Gegner gegen sich aufzubringen, sondern auch die eigenen Parteikollegen. Sie provoziert und lässt Kritik dann an sich abperlen. Ohne Fehler einzuräumen. Selbst offensichtliche Fehltritte sind für sie keine, sie dreht und wendet die Dinge so, wie es ihr gefällt. Am Ende behält sie immer Recht.

Dass das Steinbach'sche Pippilotta-Prinzip funktioniert, zeigt ein Foto-Kommentar vom Wochenende zum Thema Flüchtlinge. Das „Deutschland 2030“ überschriebene „Inder“-Bild, das die CDU-Bundestagsabgeordnete am Samstag im Internetdienst Twitter verbreitete, zeigt ein von einer Gruppe dunkelhäutiger Menschen neugierig betrachtetes weißes Kind mit dem Untertitel: „Woher kommst Du denn?“

Steinbach findet nichts Anstößiges an dem Posting. Im Gegenteil. Die breite Empörungswelle kontert sie mit deutlichen Zurückweisungen, Bekräftigungen und der klaren Botschaft, dass sie sich von niemandem vorschreiben lässt, was sie zu denken und zu sagen hat. „Ich rede niemand nach dem Mund. Stehe für eigene Überzeugung“, unterstreicht die CDU-Frau ihre Lebensmaxime im Kurznachrichtendienst Twitter.

Steinbach will ihr Twitter-Posting auch in keiner Weise als fremdenfeindlich verstanden wissen. „Das ist keine Hetze, sondern für viele ein Albtraum. Zahllose Zuschriften zeigen das“, schreibt sie bei Twitter. Und: „Die einen wollten mich zur Revanchistin machen, die anderen jetzt zur Rassistin. Bin weder noch, liebe Hassisten.“


Unions-Spitze schaltet sich ein

In der „Bild“-Zeitung schiebt sie weitere Erklärungen nach. „Das Foto schickte mir ein besorgter Vater aus Frankfurt am Main, dessen Kind in seiner Klasse nur noch zwei weitere deutsche Mitschüler hat. Das Foto hatte er in der Mail mit angehängt“, sagte sie. Das Foto zeige lediglich ein Problem, das die Menschen umtreibe. „Es ist kein aggressives Foto. Es sind auch keine arabischen Flüchtlinge darauf zu sehen, sondern freundliche Inder, die das Kind neugierig und interessiert ansehen.“

Auf die Frage, ob Deutschland 2030 wirklich so aussehen könne wie auf dem Foto, antwortete sie: „Die Daten deuten darauf hin. In Großstädten gibt es jetzt schon einen erheblichen Anteil nichtdeutscher Bevölkerung.“ Im „afrikanischen Raum“ säßen schon „400 Millionen Menschen geistig auf gepackten Koffern“.

Allerdings: Ganz so, wie die CDU-Menschenrechtspolitikerin die mutmaßliche Realität darstellt, sieht sie freilich nicht aus. Das Ifo-Institut in Dresden hat untersucht, wie sich die stark gestiegenen Flüchtlingszahlen langfristig auf die Gesamtbevölkerung auswirken – und kommt zu dem Schluss: Auch unter der extremen Annahme von weiterhin starker Zuwanderung werde 2030 maximal jeder Dritte in Deutschland Migrationshintergrund haben. „Selbst wenn wir einige Jahre eine solch massive Zuwanderung erleben, bedeutet das noch lange keine Überfremdung“, sagte Ifo-Experte Marcel Thum zu „Bild“.

Dass sie mit dem von ihr geposteten Foto in eine fremdenfeindliche Kerbe schlagen könnte, sieht Steinbach auch nicht. „Ich hetze nicht, selbst wenn es so behauptet wird“, schreibt sie bei Twitter. Was sie dabei allerdings, wissentlich oder unwissentlich, ausblendet, ist der Umstand, dass das besagt Bild im September 2015 von dem prominenten neurechten Islamhasser „Michael Mannheimer“ veröffentlicht wurde, wie der „Kölner Stadt-Anzeiger“ berichtet. Gegen ihn wurde bereits wegen Volksverhetzung ermittelt.

Das Foto kursiert zudem in rechtsradikalen Blogs. Laut „Bild“  wird die Aufnahme seit 2011 im Netz regelmäßig von Fremdenhassern im In- und Ausland genutzt – mit unterschiedlichen Überschriften wie „Russland 2050“ oder „Slowenien 2030“. Auch bei Demonstrationen der fremdenfeindlichen Pegida-Demonstrationen wird das Foto demnach verwendet.

In der Union wird Steinbachs neuerliche Eskapade genervt zur Kenntnis genommen. Um das K-Wort „Konsequenzen“ machen aber alle einen großen Bogen. Der Vorsitzende der Unions-Bundestagsfraktion, Volker Kauder, erklärte in der „Mitteldeutschen Zeitung“ zu dem jüngsten Tweet seiner Fraktionskollegin lediglich: „Das ist nicht die Position der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und selbstverständlich auch nicht meine. Damit ist zu diesem Vorgang alles gesagt.“


Steinbach scheidet 2017 aus dem Parlament aus

Ähnlich dünn fielen auch andere CDU-Reaktionen aus. Generalsekretär Peter Tauber kritisierte am Wochenende die Parteifreundin mit den Worten: „Liebe @SteinbachErika, da ich nicht schon wieder Schimpfworte benutzen will, sage ich zu Deinem letzten Tweet jetzt nichts.“ Dann verkündete er heute: In einer Präsidiumssitzung sei klar gemacht worden, „dass wir das nicht für einen hilfreichen, passenden Beitrag in der aktuellen Zeit halten“. Zu Forderungen nach Konsequenzen äußerte sich Tauber auf Nachfragen aber nicht.

Der Kritik schloss sich auch Unionsfraktionsgeschäftsführer Michael Grosse-Brömer (CDU) an. Er kommentierte einen Tweet der „Rheinischen Post“ („Dieses Foto von @SteinbachErika finden wir einfach nur schlimm“) mit den Worten: „Ich auch.“

Mehr kommt dann aber auch von Grosse-Brömer nicht. Steinbach kann im Grund schalten und walten, wie sie möchte. Als sie im November mit einer Twitter-Nachricht zum Tod von Altbundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) scharfe Reaktionen auslöste, kam aus der Union auch nicht vielmehr als Kritik. Den Rüffel parierte die Politikerin mit einem Smiley.

Dabei hatte sich auch damals den Bogen schon beträchtlich überspannt. Steinbach hatte zu Schmidt getwittert: „Wir haben in unserer Fraktionssitzung seiner in Respekt gedacht.“ Dazu stellte sie ein Zitat des SPD-Politikers aus dem Jahr 1981, wonach Schmidt auf einer DGB-Veranstaltung sagte: „Wir können nicht mehr Ausländer verdauen, das gibt Mord und Totschlag.“ Steinbach wurde daraufhin vorgeworfen, den Tod Schmidts in der Debatte um die Ausrichtung der Asyl- und Flüchtlingspolitik zu missbrauchen.

Hinsichtlich etwaiger Konsequenzen für Steinbach, die schon seit ihrer Zeit als Präsidentin des Bundes der Vertriebenen (1998-2014) regelmäßig Proteststürme entfachte, spielt die CDU womöglich auch auf Zeit. Denn es ist absehbar, dass die Menschenrechtspolitikerin zumindest aus dem Bundestag heraus nicht mehr die Politprovokateurin wird geben können. Die 72-Jährige scheidet zum Ende der Wahlperiode 2017 aus dem Parlament aus.

SPD und Grüne geben sich mit dieser Aussicht nicht  zufrieden. Schon deshalb nicht, weil Mitte März drei Landesparlamente neu gewählt werden und die rechtspopulistische Alternative für Deutschland (AfD) gute Aussichten hat, deutlich die Fünf-Prozent-Hürde zu überspringen.


„Mit solchen Meinungen sollte Steinbach besser zur AfD gehen.“

„Frau Steinbach spaltet mit rassistischen Horrorvisionen die Gesellschaft. Ihre unsägliche und geschmacklose Aktion richtet sich direkt gegen die Integrationspolitik, zu der sich die Bundeskanzlerin öffentlich bekennt“, sagte der SPD-Bundesvize Ralf Stegner dem Handelsblatt. „So wie Frau Steinbach reden ansonsten nur die Rechtspopulisten beziehungsweise Rechtsextremisten von AfD, Pegida &Co.“

Stegner sieht nun die Union am Zug: „Wenn die christliche Union im Bundestag eine Sprecherin für Menschenrechtsfragen mit einer solchen irrwitzigen Haltung duldet, dann ist das erbarmungswürdig“, sagte der SPD-Politiker in Anspielung auf Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), der seinerseits Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) eine „erbarmungswürdige Politik“ in der Flüchtlingskrise vorgeworfen hatte.

„Vielleicht versteht Herr Schäuble jetzt besser, warum wir in sozialen Zusammenhalt unserer Gesellschaft investieren müssen, wenn schon seine eigene Parteifreundin Steinbach als Brandbeschleunigerin für  die Gefahren von rechts in Erscheinung tritt.“

Deutliche Worte zu Steinbach kommen auch vom menschenrechtspolitischen Sprecher der Grünen im Bundestag, Tom Koenigs, der die Zurückhaltung in der Union für nicht nachvollziehbar hält.  „Wenn einzelne in der CDU die jüngste Entgleisung nicht teilen, so hat doch bisher niemand ihre Ablösung als Sprecherin für Menschenrechte verlangt. Offenbar fühlt man sich in der Union von Frau Steinbach menschenrechtspolitisch weiter gut vertreten, obwohl ihr Tweet offen rassistisch ist“, sagte Koenigs dem Handelsblatt. „Mit solchen Meinungen sollte Steinbach besser zur AfD gehen.“

Koenigs erinnerte in diesem Zusammenhang daran, dass Steinbach für die gesamte Union spreche, egal ob im Netz oder im Ausschuss für Menschenrechte. „Das ist die Menschenrechtspolitik von CDU/CSU, mit der wir uns seit Jahren herumschlagen müssen.“

Für den SPD-Menschenrechtspolitiker Frank Schwabe machen die Aussagen Steinbachs deutlich, welchen Stellenwert die Unionsfraktion dem Thema Menschenrechte beimesse. „In einer solchen Situation würde ich erwarten, dass sich Menschenrechtspolitiker aller Parteien vor Flüchtlinge in Not stellen. Das gilt aber erst recht für eine Partei, die das C im Namen führt“, sagte Schwabe dem Handelsblatt.

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