Fremdenhass in Clausnitz und Bautzen Wirtschaft bangt um Standort Sachsen

Sachsens Ministerpräsident Tillich will heute zu den ausländerfeindlichen Vorfällen in seinem Bundesland Stellung nehmen. Das ist auch nötig, denn die Wirtschaft fürchtet schon Rückschläge wegen der Vorkommnisse.

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In Clausnitz (Mittelsachsen) hatten etwa 100 Menschen lautstark gegen Flüchtlinge protestiert und deren Ankunft in einer Unterkunft der kleinen Ortschaft blockiert. Quelle: dpa

Berlin Angesichts der jüngsten ausländerfeindlichen Übergriffe in Sachsen schlägt die Wirtschaft in dem Bundesland Alarm. „Jeder dieser Vorfälle bereitet auch der sächsischen Wirtschaft Sorgen, da zu befürchten ist, dass dem damit einhergehenden Imageschaden irgendwann auch messbare Nachteile, etwa bei Auftragseingängen oder der Fachkräftegewinnung von außerhalb Sachsens folgen könnten“, sagte der Hauptgeschäftsführer der IHK Dresden, Detlef Hamann, dem Handelsblatt.

Hinzu komme, dass insbesondere im Ausland die meisten Beobachter lokale Phänomene auf eine Gesamtregion „verallgemeinern“ dürften, sagte Hamann weiter. Ereignisse in Sachsen schienen in dieser Hinsicht „medial eine besonders hohe Priorität“ zu genießen. Vor diesem Hintergrund werde es für Sachsens Unternehmer daher „immer schwieriger, auf den Märkten ein positives Bild sächsischer Wirtschaftskraft zu präsentieren“. Auch die sächsischen Industrie- und Handelskammern könnten negative Auswirkungen auf den Wirtschaftsstandort Sachsen nicht ausschließen, fügte der IHK-Experte hinzu.

Hamann sieht nun maßgeblich die Politik am Zug, um den bestehenden Vorbehalten gegen Menschen aus anderen Ländern „wirksam“ den Boden zu entziehen. „Dazu gehört auch, die Befürchtungen der Menschen zur Kenntnis zu nehmen“, sagte der IHK-Hauptgeschäftsführer. „Eine Willkommenskultur, die Menschlichkeit, Verständnis und Integrationsangebote einfordert, muss auf klaren Regeln beruhen.“ Zudem seien Voraussetzungen zu schaffen, „um rechtsfreie Räume zu verhindern, Straftaten zu unterbinden, beziehungsweise Täter kurzfristig zu stellen und zu bestrafen“.

Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) will heute am frühen Nachmittag zu den jüngsten ausländerfeindlichen Ausschreitungen in seinem Bundesland Stellung nehmen. Am vergangenen Donnerstag hatten in Clausnitz (Mittelsachsen) etwa 100 Menschen lautstark gegen Flüchtlinge protestiert und deren Ankunft in einer Unterkunft der kleinen Ortschaft blockiert. In der Nacht zum Sonntag kam es in Bautzen zu einem Brandanschlag auf eine geplante Asylunterkunft.

Die Taten lösten bundesweit Entsetzen und eine Debatte über Fremdenfeindlichkeit in Sachsen aus. Die sächsische SPD sieht ihren Koalitionspartner CDU in der Pflicht. Die Union müsse das Thema Rassismus endlich ganz nach oben auf ihre Agenda setzen, forderte SPD-Generalsekretärin Daniela Kolbe.


Rückgang der Touristenzahlen

Die Ostbeauftragte der Bundesregierung, Iris Gleicke (SPD), sprach von Versäumnissen im Kampf gegen die extreme Rechte. „Das Problem des Rechtsextremismus in Ostdeutschland wurde zum Teil systematisch runtergespielt“, sagte Gleicke im Interview mit dem Handelsblatt. Menschen, die darauf hinwiesen, seien sogar „als Nestbeschmutzer beschimpft“ worden.

Dies habe den Boden dafür bereitet, „dass sich heute ein Mob auf die Straße stellt und Flüchtlingsbusse blockiert“, sagte die SPD-Politikerin und Parlamentarische Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium mit Blick auf die jüngsten Vorfälle in dem Ort Clausnitz. „Da muss sich was ändern.“ Diejenigen, die sich gegen Rechtsextremismus engagierten, müssten stärker unterstützt werden.

Die Geschehnisse schadeten dem Ruf Sachsens und ganz Ostdeutschlands im In- und Ausland. Gleicke verwies dabei auf den Rückgang der Touristenzahlen in Dresden, der bereits zu beobachten sei.

Der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, sieht eine Standortbelastung in einem weiteren Bereich. „Schon jetzt spüren dies Universitäten und Forschungseinrichtungen bei der Gewinnung von hochqualifizierten Experten und Fachkräften“, sagte Hüther dem Handelsblatt. „Je mehr der Eindruck entsteht, dass Staat und Zivilgesellschaft in Sachsen zu schwach sind, um solche Exzesse einzudämmen, umso größer wird diese Belastung.“

Hüther gab zu bedenken, dass insbesondere die Ost-Länder in den ländlichen Regionen vor einer gravierenden demografischen Auszehrung stünden. Die Alterung werde zum Investitionshemmnis, wenn nicht, etwa durch Zuwanderung, die Fachkräfteversorgung sichergestellt werde. „Der Pöbel kann so viel „Wir sind das Volk“ schreien wie es will, am Ende stehen Schrumpfung, weitere De-Industrialisierung und Verarmung“, betonte der IW-Chef. „Warum soll dann jemand Transfers an diese Leute zahlen? Sie sitzen am äußeren Ende des Astes, an dem sie sägen.“ Angst sei keine Schande, Rassismus sehr wohl, so Hüther. „Die neuen Länder, allen voran Sachsen, müssen das Problem dringend in den Griff bekommen.“


DIW erwartet für Sachsen schlechteres Wachstum

Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, sieht ebenfalls dringenden Handlungsbedarf: „Fremdenfeindlichkeit schreckt nicht nur Zuwanderer und deutsche Arbeitnehmer ab, sondern auch deutsche Unternehmen, deren Erfolg von Zuwanderern, Offenheit und Toleranz wie in kaum einer zweiten Volkswirtschaft weltweit abhängt“, sagte Fratzscher dem Handelsblatt. Er erwarte daher für Sachsen geringere Investitionen, ein schlechteres Wachstum und eine steigende Arbeitslosigkeit – „auch unter Deutschen, wenn die Politik sich nicht schneller und entschiedener der Fremdenfeindlichkeit entgegenstellt“.

Noch sind allerdings keine negativen konjunkturellen Effekte sichtbar. Laut einer Einschätzung von Ifo-Dresden liegt das Bundesland mit einem BIP-Wachstum von 1,9 Prozent über dem bundesdeutschen Durchschnitt von 1,7 Prozent. Mit einer Arbeitslosenquote von 7,5 Prozent hat Sachsen zudem die geringste Arbeitslosigkeit seit 24 Jahren und mit rund 1,55 Millionen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten zugleich den höchsten Beschäftigungsstand seit September 1991.

Nachdem die sächsische Wirtschaft bereits im Herbst 2015 ein Konjunkturhoch verzeichnen konnte, behält sie auch zu Jahresbeginn 2016 ihren dynamischen Kurs bei, wie aus der im Januar veröffentlichten Konjunkturumfrage der Sächsischen Industrie- und Handelskammern hervorgeht.

Die Lagebeurteilungen der Unternehmen haben sich demnach zum vierten Mal in Folge verbessert: So berichten aktuell 55 Prozent der 1.900 befragten Unternehmen aus Industrie, Bau, Einzel- und Großhandel, Dienstleistungen und Verkehr mit insgesamt mehr als 105.000 Beschäftigten von einer guten Geschäftslage (Herbst: 50 Prozent). Nur sieben Prozent geben schlechte Urteile ab (Herbst: neun Prozent).

Die Geschäftserwartungen der Unternehmen bleiben gegenüber dem Herbst 2015 nahezu unverändert. 89 Prozent der Betriebe erwarten in den kommenden Monaten bessere oder gleichbleibende Geschäfte (Herbst: 87 Prozent), 11 Prozent befürchten eine Verschlechterung (Herbst: 13 Prozent).
Der Geschäftsklimaindex weist zudem eine anhaltende Wachstumsdynamik der sächsischen Wirtschaft an. Das Stimmungsbarometer hat demnach infolge der äußerst positiven Lagebeurteilungen erneut zugelegt. Mit wieder 127 Punkten rangiert der Index trotz leicht verhaltener Prognosen nach 2011 und 2014 zum dritten Mal auf seinem Allzeithoch der letzten 15 Jahre.

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